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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Siebentes Heft (Juli 1906)
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Dülberg, Franz: [Rezension von: Karl Voll, Die altniederländische Malerei von Jan van Eyck bis Memling. Ein entwicklungsgeschichtlicher Versuch]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0140

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132

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Juli-Heft.

das Gipfelwerk der altniederländischen Malerei
erscheint, wird mit so warmen Worten besprochen,
dass die einschränkenden Bemerkungen des Schluss-
abschnittes, in dem diesem Meister gewidmeten
Kapitel nicht recht verständlich wirken. Neben
diesem Hauptstück erkennt Voll nur das Wiener
Altärchen mit Adam und Eva und der Beweinung
Christi und den Brügger Tod der Maria an. Das
„Pathologische“, das Voll diesem in der Zeichnung
zu den grössten Leistungen der Kunst aller Zeiten
zählenden Werke vorwirft, dünkt mich gerade ein
entscheidender Vorzug: die tiefe Seelenkunde, mit
der Hugo hier den religiösen Wahnsinn seiner
Klostergenossen, die wohl zu den Aposteln Modell
standen, festgehalten hat, steht bis zu Rembrandts
Auftreten ganz einzig da. Wertvoll ist die ein-
gehende, nach der grossen Kopie in der Prager
Galerie Noväk gefertigte Beschreibung des unter-
gegangenen Wandbildes „David und Abigail“. Die
Madonna des Städelschen Instituts hält Voll immer-
hin für ein Erzeugnis des „Kreises“, die Stifter-
flügel in Holyrood (nach den Photographieen) „für
ein freilich sehr altes Pasticcio“. Gegen die
Berliner „Anbetung der Hirten“ scheint mir der
Verfassser zu hart zu sein: „Werkstatt des
Hugo van der Goes“ wäre wohl eine gerechte Be-
zeichnung.
Der Beweis, dass wir in Aelbert van Ouwater
einen Nachfahren und nicht einen Vorgänger des
Dirck Bouts vor uns haben, scheint mir, wie ich
schon hervorhob, in keiner Weise erbracht. Die
Kunst der Raum- und Lichtbehandlung, die das
Berliner Lazarusbild offenbart, wird mit viel
Feinheit gewürdigt, auch über den Aufbau der
Komposition manches nachdenkliche Wort gesagt.
Ueber die Londoner Exhumation des hl. Hubert,
die verschiedentlich dem Ouwater zugeschrieben
wird und bei geringerer Energie aller Züge mancher-
lei mit ihm gemeinsam hat, spricht sich Voll nicht
aus.
Die Kunst des Josse van Gent leitet Voll
einerseits direkt von der des Jan van Eyck,
andererseits von der des Hugo van der Goes ab.
Er spricht dem in Urbino eingewanderten Künstler
äusser dem urkundlich gesicherten Abendmahl
nicht nur das Bildnis des Herzogs und die Philo-
sophenbilder im Palazzo Barberini und im Louvre,
sondern auch die Berliner und Londoner Allegorieen
der Wissenschaften zu. Bei diesen letztgenannten
Stücken schemt mir allerdings das Mischungs-
verhältnis so stark nach der italienischen Seite
geneigt zu sein, dass ich die Bilder kaum in einer
Geschichte der altniederländischen Malerei be-
sprechen möchte, mag auch eine nordische Hand
bei der Ausführung mit im Spiele gewesen sein.

Ganz ohne Zwang fügen sich die Berliner und
Londoner Bilder freilich auch den gesicherten
Werken des Melozzo da Forli, dem man sie bisher
zuschrieb, nicht an. Ueber das merkwürdige, ver-
mutlich stark aufgefrischte metallisch glänzende
Porträt des Herzogs in Windsor äussert sich Voll
nicht.
Hans Memling erhält den gleichen Raum wie
die van Eyck zugemessen — was gerade bei der
gedrängten Fassung des Buches als ein Missver-
hältnis erscheint. Er wird mehr als Fortsetzer des
Bouts, denn als Nachfolger des Rogier van der
Weyden betrachtet, mit dem ihn doch alte Nach-
richten gut zusammenbringen und dessen illustrie-
rende, im Grunde nicht eigentlich malerische Art
auch die seine ist. Die von Friedländer als be-
sonders frühe Arbeiten Memlings betrachteten
Bilder eines grämlichen Mannes und einer ge-
heimnisvoll verschlossen blickenden Frau in der
Berliner Galerie, sowie das etwas starre männliche
Bildnis im Städel’schen Institut erkennt Voll nicht
als Werke des Meisters an — dieses gibt er einem
unbekannten älteren Uebergangskünstler, jene
möchte er wegen der schon mehr summarischen
Behandlung an das Ende des 15. Jahrhunderts
setzen. Das Dreikönigsbild in Prado, wo statt
Weiträumigkeit Leere geboten wird, gilt Voll als
eine Schul Wiederholung des Brügger Floreinsaltars.
Die figur en wimmeln de Turiner Passion setzt er in
die Spätzeit des Meisters, der man den unschön
gehäuften Aufbau ungern zuschreiben möchte. Die
Beweinungen Christi in Brügge und im Palazzo
Doria betrachtet Voll als Arbeiten des Kreises.
Das unangenehme Hieronymusbild der früheren
Sammlung Schubart, das mehr in die Nähe des
späten Gerard David gehört, wird mit Recht aus-
geschieden. Mit feinen Worten würdigt der Autor
das Diptychon des Martin Nieuwenhove, das, mehr
eine Kostbarkeit als ein Gemälde, die Memling’sche
Kunst in glücklicher Beschränkung siegen lässt
und in dem nicht gerade tiefgründig, aber gross-
zügig angelegten Bildnis des lebensfrohen Beters
die altniederländische Porträtkunst in ihrer Reife
vertritt. Der Annahme, dass der Ursulaschrein
nur zum Teil eigenhändige Arbeit sei, kann man
vielleicht entgegenhalten, dass das Werk doch
eigentlich alle Vorzüge undFehler desMemling’schen
Geistes wie auf einer Musterkarte vereinigt und
jedenfalls kompositionell seine gelungenste Leistung
ist. Im Gegensatz zu Kämmerer betrachtet Voll
den Lübecker Altar, dessen in der Wirkung doch
recht geschlossene Aussenflügel er besonders
niedrig einschätzt, in der Hauptsache als Werk-
stattarbeit, die Budapester Kreuzigung und ihre
Wiener Flügel nur als späte Schulbilder. Hohes
 
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