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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Elftes Heft (November 1906)
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Gronau, Georg: [Rezension von: W. von Seidlitz, Ambrogio Preda und Leonardo da Vinci]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0215

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N o vemb er-Hef t.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

207

Melzi ebenso wenig und Francesco Napoletano ist
uns auch, erst kürzlich näher gebracht worden
(v. Guido Cagnolas Artikel in der Rassegna d’arte
Ann. V, 1905, No. 6, S. 81 ff.). Dass der letztge-
nannte mehrere der jetzt Preda oder Boltraffio zu-
geschriebenen Zeichnungen, fast möchte ich sagen,
verbrochen hat, davon bin ich überzeugt: besonders
die abscheuliche Frauenstudie in der Borghese-
Sammlnng (Rosenberg No. 92), wohl auch das
Studienblatt im Louvre (Müntz S. 215), das Seidlitz
für einen ganz frühen Boltraffio hält, und den
Jünglingskopf (Müntz S. 33).
Ganz und gar verschieden aber von Preda
scheint mir der vorläufig unbekannte Leonardo-
Schüler, der das viel umstrittene Berliner Bild des
„Auferstandenen mit den Heiligen Leonardo und
Lucia“ gemalt hat, und von dem gewiss auch die
Zeichnung in Windsor (Fig. 17, S. 36) herrührt-
Er hat mit Preda, mit Boltraffio nur so viel gemein’
als es alle aus dem Umkreis Leonardos an und für
sich haben; aber Farbengebung und Form ent-
fernen ihn von diesem, wie von jenem. Hier wird
uns wohl doch einer jener Unbekannten gegenüber-
stehen. Im British Museum hat Seidlitz eine un-
zweifelhafte Gewandstudie für den Christus dieses
Bildes aufgefunden.
Ebensowenig vermag ich das (mir im Original
nicht bekannte) Mädchenbildnis der Gallerie Czarto-
ryski dem Preda zu geben. An dieser Stelle hätte
Verfasser ein interessantes Bild einschalten müssen,
das er seltsamerweise mit Stillschweigen übergeht:
ich meine die Madonna mit einem Engel und St.
Joseph (?) in der Galerie des Seminario in Venedig,
die Venturi unter dem Namen des Boltraffio ver-
öffentlicht hat (Archivio stör, dell’arte VI, 1893,
S. 415; Photo Anderson 11797). Das Bild ist auch
darum merkwürdig, weil die Mittelgruppe — das
Kind namentlich — auf die Pariser „Vierge aux
rochers“ zurückgeht. Die ganz absonderliche und
unverkennbare Handform beweist schlagend, dass
der Maler dieses Bildes auch jenes Frauenbild ge-
schaffen hat.
Ferner vermag ich dem Verfasser in seiner
Auffassung betreffs des Londoner Exemplares der
Madonna in der Grotte nicht zu folgen, wenn er Leo-
nardos Anteil daran in der Hauptsache ausschliesst (s.
besonders S. 40;. Schon vor mehreren Jahren, in
einem kleinen Buche über Leonardo (in englischer
Sprache), habe ich die Ansicht vertreten, dass eine
so wesentliche Aenderung — das Weglassen der
zeigenden Hand des Engels — nicht ohne des
Meisters Zutun zu denken sei. Es ist, nach meiner
Auffassung, eine Selbstkorrektur, hervorgegangen
aus der richtigen Einsicht, dass hier zwei Motive
sich kreuzen und eine Disharmonie verursachen. |

Man kann nicht bestreiten, dass die Hand mit dem
ausgestreckten Zeigefinger die schöne Beziehung
zwischen Madonna und Christkind stört, dass Leo-
nardos Streben, mit Gesten der Hand eine möglichst
rege Beziehung zwischen den Figuren einer’ Kom-
position herzustellen, ihn hier um einen Schritt zu
weit geführt habe. Ein „Loch in der Komposition“
empfindet man auf dem Londoner Bild doch nur,
weil man eben das Pariser kennt. Dass aber die
Ausführung des Londoner Bildes keinem andern,
als dem Preda gehört, beweisen Dokument wie Stil.
Der Gruppe der an die Pala Sforzesca sich
anschliessenden Bilder gehört auch eine wiederholt
vorkommende Komposition der Madonna mit dem
ein Kreuz haltenden Christkind an, über die Ver-
fasser sich nicht äussert. Ein besonders gefälliges
Exemplar besitzt Lord Battersea in London (s. Illu-
strated Catalogue of pictures etc. Blatt XVII).
Die Handform der Madonna, das Bewegungsmotiv
des Kindes, besonders aber der Typus desselben
scheinen unzweifelhaft darzutun, dass eine Kompo-
sition des Preda diesen Bildern zu Grunde liegt.
Man vergleiche den Kopf des Kindes in seinen
Hauptformen mit der hässlichen Zeichnung in
Berlin (S. 4).
Noch einen kurzen Exkurs muss ich anfügen.
Verfasser hat auffallenderweise die früheste Er-
wähnung des Preda nicht angeführt. Im Jahre 1479
wird er mit seinem Bruder Bernardino unter den
Operai der Zecca von Mailand genannt. Motta hat
das betr. Dokument schon 1888 publiziert (Rivista
italiana di numismatica I, S. 80). Dass es sich in
der Tat um den Maler Giovan Ambrogio handelt,
beweist, von dem unmittelbar zuvor genannten
Bruder abgesehen, der Name des Vaters und die
Parochie, in der die Brüder noch Jahre lang später
wohnhaft sind. Also begann er seine Laufbahn in
einer Münzstätte; und er muss noch in späteren
Jahren in solcher Eigenschaft einen Namen be-
sessen haben; denn Maximilian beauftragt ihn,
nebst zwei anderen, im Jahre 1494 mit der Her-
stellung neuer Münzstempel. Sollen wir nun
nicht, möchte ich fragen, angesichts der Tatsache,
dass Preda notorisch mit der Münze zu tun gehabt
hat, das bekannteBlatt der venezianischen Akademie,
das seiner' Zeit Morelli ihm zugeschrieben hat, und
das man jetzt, Robert von Schneider folgend (Jahr-
buch der Sammlungen des Kaiserhauses XIV,
S. 187 ff.), für Gian Marco Cavalli in Anspruch
nimmt, dem Preda zurückgeben? Denn der Wiener
Gelehrte stiess sich daran, dass wir den Mailänder
eben nicht in seiner Beziehung zur Münze kannten,
und musste doch (für Kaiser Maxens Bildnis) zur
Annahme greifen, es sei nach Preda kopiert. Zu-
dem sieht auf dem Blatt Bianca Maria fast unver-
 
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