Wilhelm Steinhaufen.
Abendlandsckaft.
„ErprcssioniSmus" daS Feldgeschrei der Jüngsten wurde, so bedeutet daS eben nur, daß nach dein hitzigen Studium
der neuen bildtechnischen Mittel, nach dem Wie der Kunst sich eines TageS von selber wieder daS Was einstellte:
d. h. also ein Gefühl, daß cS doch nicht allein aus die bildtechnische Seite, aus die konsequente thematische Durch-
bildung ankomme, sondern daß in einem tieferen Sinne daS Thema entscheidend wäre.
In den Mitteilungen des Dktoberheftcö vom vergangenen Jahr wurde anschließend an daS „Reichcnbachtal"
von Wilhelm Steinhausen eine Verdeutlichung dieser Gegensätzlichkeit an dein bekannten Beispiel von der gutgemalten
Rübe und der schlechtgemalten Madonna versucht, das nicht mit Unrecht bei den Impressionisten beliebt war: denn
dieses Beispiel stellt die bildtechnische Seite der Malerei ins günstigste Licht. Nur wurde dabei gern übersehen, daß
die besagte Rübe schließlich ebensowohl ein religiöses Thema abgeben kann, wie eine gemalte Madonna eS entbehren
läßt. Die Religion liegt eben nicht im Objekt, sondern im Subjekt, d. h. die Anschauung, nicht der sogenannte
Gegenstand ist dafür entscheidend. Daß unter allen Arten der Anschauung aber die religiöse die vornehmste ist,
d. h. diejenige, die mehr als bildtechnisch und eine wirkliche Weltanschauung sein will (indem sie auS dem Gefühl
jene Einheit letzten Grundes von Objekt und Subjekt zu geben versucht, die auS den: Verstand auch daS höchste
Ziel des denkenden Menschen, der Philosophie bleibt), dies eben ist die Grundlage aller wirklichen Kultur. Wenn
wir nach einer solchen zu streben vorgeben und die Kunst in dieses Streben als ihr edelstes Mittel einbegreifen
wollen, bleibt uns keine Wahl, als ihre thematische (bildtechnische) Konsequenz demütig ihrem Ziel und Sinn unter-
zuordncn, sie zur Dienerin des Lebens werden zu lassen, für deren dienenden Wert dann eben die Anschauung rind
daS aus ihr gewonnene Thema entscheidend bleibt. Womit jenes Beispiel von der Rübe dann so zu fassen wäre,
daß eine empfundene Rübe ein besseres Kunstwerk sei als eine uncmpfundene Madonna.
Wilhelm Steinhaufen wird am 2. Februar siebzigjährig, daS will sagen, daß er seit einem halben Jahrhundert
inalt und mit seinen Mitteln aus einer Zeit kommt, die von der modernen Entwicklung der Malerei noch kaum
etwas ahnte. Aber wie sonst kein Meister von irgendwelchem Rang hat auch er sich dieser Entwicklung nicht ganz
zu entziehen vermocht. Wer daS empfinden will, stelle eine der abgebildetcn Landschaften zwischen je eine etwa von
Andreas Achenbach und Cezanne oder van. Gogh. ES wird bei solchen Betrachtungen der Kunst aus dem „modernen"
Gesichtswinkel allzuleicht vergessen, daß die wirkliche Meisterschaft immer über das Bildtechnische hinaus zielt, ja
daß jede neue bildtechnische Bemühung irgendwie in der von uns als höchstes Ziel der Kunst erkannten religiösen
Einstellung des Themas ihren Antrieb hat: nur von den Schülern und Lehrlingen, nicht von den Meistern, wird
diese höhere Absicht rnn der bildtechnischen Neuerung willen leicht verkannt. (Womit daS bittere Dichterwort sich
bestätigt, daß, wo die Könige bauen, die Kärrner zu tun haben.) Und nur diese Verkennung kamt dann dazu
führen, daß wirkliche Meister um ihrer „altmodischen" Mittel willen unterschätzt werden. In Wahrheit gibt cS das
beliebte Entweder (van Gogh) Oder (Steinhausen) in der Kunst nicht; je tiefer daS Urteil beiden gerecht wird, um
so mehr wird eS auf daS Gemeinsame zielen.
3