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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 1
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Hesse, Hermann: Es war einmal
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0034

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Cs war einmal.

Ich denke heute wieder an die Stadt mit den schönen
Kastanienbäumen, eine kleine alte Stadt im Schwaben-
land. In ihrer Mitte liegt die alte Burg, ein weitläufiges
Geschachtet von massivem Bauwerk, und um die ganze
weitläufige Burg herum liegt ein erstaunlich breiter,
längst trockener Graben, und um den Graben herum im
weiten Ring führt eine prächtige Straße, die hat auf
der einen Seite lauter niedere alte Hauser und kleine
Gärten, auf der freien Grabenseite aber einen mächtigen
Kranz von großen Kastanienbäumen.
Auf der einen Seite hängen Ladenschilder und
Wirtsschilder, hier klopfen Schreiner und schmettern
Spengler dröhnend auf ihr Blech, hier dämmern die
Höhlenwerkstatten der Schuster und stinken geheimnis-
voll die Lohgerbereien. Auf der anderen Seite der
breiten Straße aber ist Stille und Schatten, Laubgeruch
und grünes Lichterspiel, Bienengesang und Schmetter-
lingsflug. So haben die armen Teufel von Klopfern
und Bastlern ihren Fenstern gegenüber einen ewigen
Feiertag und Gottesfrieden liegen, nach dem sie häufig
Sehnsuchtsblicke schielen, und den sie an warmen Abenden
im Sommer nicht zeitig und nicht seufzend genug auf-
suchen können.
Acht Tage habe ich einmal in dieser kleinen Stadt
gewohnt, und obwohl ich eigentlich in Geschäften dort
war, machte ich mir doch eine Lust daraus, den Herren
Kaufleuten und Handwerkern gönnerhaft in die Fenster
zu schauen und mich recht oft und langsam, vornehm
spazierengehend, auf der schattigen Feiertagsseite der
Straße und des Lebens zu zeigen. Das Schönste aber
war, daß ich am Graben wohnte, in der Wirtschaft zum
„Blonden Adler", und abends und die ganze Nacht die
vielen blühenden Kastanien, rote und weiße, vor meinen:
Fenster hatte. Zwar genoß ich diese Augenlust nicht
völlig ohne Opfer, denn der anscheinend trockene Wall-
graben war noch feucht genug auf seinem moosgrünen
Grunde, um täglich hunderttausend hungrige Gelsen zu
entsenden. Aber ein junger Mensch auf Reisen schläft
in solchen heißen Sommernächten ohnehin nicht viel,
und wenn mir die Mücken zu frech wurden, rieb ich mich
mit Essig ein und setzte mich ohne Licht mit einer Flasche
Bier ans Fenster.
Was für höchst wunderliche Abende und Nächte!
Sommerduft und leichter warmer Straßenstaub, Mücken-
geschwirr und feine, elektrische Schwüle in der Luft ver-
teilt und heimlich Zuckend.
Jetzt, nach allen den Jahren, blicken mich diese warmen
Abende am Kastaniengraben so köstlich und ergreifend an
wie eine Insel im Leben, wie ein Märchen und wie eine
verlorene Jugend. Sie schauen so tief und selig und
flüstern so betörend süß und heiß und machen so wunderbar
traurig wie die Sage von: Paradies und wie das ver-
schollene Sehnsuchtslied von Avalun.
Noch an: Nachmittag war ich meistens mit meinen
„Geschäften" fertig. Alsdann promenierte ich mit dem
herrenmäßigen Hochmut des Nichtstuers ein oder zwei-
mal den ganzen runden Weg um die Burg herum und
genoß die Freiheit und den Müßiggang, zu den: ich
damals in mir viel Talent entdeckte. Ach, wenn ich es
jemals im Leben noch zu etwas Rechten: bringen wollte
(freilich — war das eigentlich wirklich so sehr notwendig,

wie man mir immer sagte?), dann mußte ich ja doch noch
so bitter viel arbeiten, daß ich mir jetzt die paar geschenkten
Tage wohl gönnen durfte.
Alsdann schlenderte ich zur Stadt hinaus und durch
die Vorstadtgärten hügelan auf irgendeine hohe, duftende
Sommcrwiese oder an einen heimlich dämmernden
Waldrand. Seit den Knabenzeiten hatte ich nimmer so
müßig und hingegeben den blitzenden Eidechsen und den
taumelnden Schmetterlingen zugesehen. In: Bach nahn:
ich ein Bad oder wusch mir doch den warmen Kopf, und
dann zog ich an verborgenen Ortern ein kleines Notiz-
buch mit kariertem Papier heraus und schrieb mit den:
spitzesten Bleistift Dinge hinein, deren ich mich schämte,
und die mich doch unglaublich froh, ja stolz machten. Ver-
mutlich sind meine Verse damals nichts wert gewesen,
und vielleicht würde ich lachen, wenn ich sie wieder sähe
— Nein, ich würde nicht lachen, gewiß nicht. Aber ich
möchte noch einmal beim Schreiben, oder bei irgend-
welchen: Tun, so närrisch froh und herzlich glücklich sein.
So wurde es Abend, und ich ging in das Städtlein
zurück. Bei einen: Garten nahn: ich eine Rose nut und
trug sie in der Hand davon, denn wie leicht hätte es ge-
schehen können, daß ich in Lagen kam, in denen man froh
ist, eine Rose zur Hand zu haben. Beispielsweise ge-
sprochen, wenn die Tochter des Zimmermanns Kiderlen
am Markteck mir in einem günstigen Augenblick begegnet
wäre, und ich hätte den Hut gezogen, und sie hätte vielleicht
nicht nur genickt, sondern es auf ein Gespräch ankommen
lassen, hätte ich da Bedenken getragen, ihr mit passenden
Worten die Rose anzubieten? Oder es hätte auch die
Martha sein dürfen, die im „Adler" Nichte und Kellnerin
war, und nach der man den „Schwarzen Adler" in den
blonden umgetauft hatte, und die immer so von oben
herunter mit mir tat. Vielleicht war sie gar nicht so.
Und so kam ich in die Stadt herein und lief hin und
her durch die paar Gassen, um dem Zufall die Hand zu
bieten, und dann kehrte ich in den „Adler" zurück. Im
Gang vor der Wirtshaustüre steckte ich meine Rose ins
Knopfloch und ging dann hinein, bestellte höflich Schinken
nut Senf oder eine Hare oder ein Ripplein mit Kraut
und ließ mir ein Vaihinger Bier dazu geben.
Bis das Essen kam, las ich noch einmal flüchtig in
meinem Versbüchlein, machte schnell noch irgendwo
einen Strich oder ein Fragezeichen, und dann aß ich und
trank und nahn: mir für das Reden und Benehmen die
älteren und feineren von den Herren Stammgästen zum
Muster. Es kam vor, daß der Wirt oder die Wirtin mir
nicht nur freundlich einen guten Appetit wünschte, sondern
sich auch ein wenig mir gegenüber setzte und ein kleines
Gespräch eröffnete. Dann gab ich mit bescheidener Leut-
seligkeit Bescheid, und es konnte vorkommen, daß ich
auch einen kernhaften Spruch, eine politische Meinung
oder einen Witz zum besten gab. Schließlich bezahlte ich
mein Abendessen, nahm eine Flasche Helles nut hinauf
und stieg in meine Schlafkammer, wo die Gelsen fleißig
summten, und wo ich mein Bier zum Kühlhalten ins
Waschwasser stecken mußte.
Und dann kamen die wunderlichen Abendstunden.
Da saß ich allein auf dem Fenstersims und fühlte halb-
bewußt, wie schön die Sommernacht und die leichte
Schwüle und das geisterbaft bleiche Leuchten der groß-

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