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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 1
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Oswald, Josef: Der Dichter der Geharnischten Sonette
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0036

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Der Dichter der Geharnischten Sonette.

wenig hoffnungsvolle Liebe zu einer Amtmannstochtcr
im Herzen. Erst sechzehn Lenze zählt das dunkellockige,
anmutige, leidenschaftlich dem Tanze ergebene Kind,
das, ehe der Sommer begonnen, einer Krankheit erliegt.
Mit dem Sonettenkranz zu Agnes' Totenfeier erwachst
Rückert das erste künstlerisch angelegte Produkt. Man
wird darin noch nicht einen vollen Herzensklang suchen.
Solche jünglinghafte Schwärmerei beschwingt nur die
Phantasie. Aber es ist die Pbantasie eines Dichters von
großen Gaben, und sie ist einer der Hauptbestandteile
dieses Dichters. Mag er prunkvoll-pathetisch beginnen
— bald vermählt sich die Einbildungskraft mit einem
reichen Naturgefühl. Da vergeistigt sich der Frühling
gleich der Verklärten, und die Verklärte versinnlicht sich
gleich dem Frühling. Oder er folgt ihrer Jdealspur
empor in das Reich der Sternbilder, wo er die goldene
Leier in ihrer Hand rauschen hört. Ja bis ins Jenseits
hinaus, ungewiß nur, ob es die blaue Gottesstadt oder
Elysium sei, ob Heiliginnen oder Helena sie als Schwester
grüßen.
Bei all ihrer Kühnheit bleibt seine Phantasie fest-
gewurzelt in einer gesunden Natur. Ist es auch ein
Labyrinth von Wirrungen, worin unmittelbar nach dem
Erblassen des ätherischen Erinnerungsbildes seine Liebes-
empfindung gerät, so konimt doch die Wirklichkeit, der sie
entblüht, die Sinnenkraft, die ihr Nahrung gibt, jeden-
falls seiner Dichtung zugute. Es handelt sich um eine
bei Künstlernaturen häufige Neigung, die bestrickender
Reiz über soziale und andere Abstände hinweg zu einer
Verbindung lockt, deren erträumter Himmel sich nur zu
oft als Hölle erweist. Jur Ehe mit der blutjungen Wirts-
tochter Marielies, die er Amaryllis nennt, kommt es
nicht: Schon der Vorhof ist genugsam für ihn mit Unbill
gepflastert. Wie denn ihr Liebster beschaffen sein müsse?
- fragt er einmal. Schöner als alle, antwortet sie.
Sicherlich war der junge Rückert nicht, was später Blau-
strumpf-Bosheit behauptet hat: „häßlich wie ein Pavian".
Allein das Einnehmende seiner Person lag vor allem in
seinem Geiste, und gerade diese Waffe prallte ab an des
Mädchens stcinhartem Bauernschlag wie der Papierpfeil
einer Amorette. Unablässig werbend mit einer Leiden-
schaft, die zuweilen bis zum Knechtsdienste ihn erniedrigte,
ergoß er den mächtig geschwellten Gefühlsstrom abermals
in die Sonettenform, sie mit der beweglichen Anmut
seiner Sprache erfüllend, zugleich die Szenerie mit allen
Einzelheiten spiegelnd, so daß dieser Sommer auf dem
Lande zum vollendeten Idyll wird.
Nicht so leicht ließ sich aus dem Abenteuer, wobei er,
nach seinem Geständnis, „durchaus heruntergekommen"
war, der Weg zu ernster Lebensführung zurückgewinnen.
Indessen kam die Jeit ihm zu Hilfe. Wenn man den von
greisen Schulterlocken umwallten Rückertkopf betrachtet,
wie ihn Berta Frorieb zwei Jahre vor seinem Tode ge-
malt hat, kann einem wohl der Gedanke kommen, daß
so der schwert- und liedergewaltige Bertrand de Born
ausgesehen habe. Ein solcher Troubadour wird er nun.
Mit kühnem Griffel und markigen Schriftzeichen schreibt
er die Geharnischten Sonette, die in dem 1814 unter dem
Namen Freimund Rainrar veröffentlichten Erstling ent-
halten sind. Wahrlich nicht der Geringste unter den poe-
tischen Stimmführern der deutschen Erhebung, bannt er

die Hauptmomente irr seine Verse, von einem Ethos
durchglüht, das bald in Jornesflammen, bald im Feuer
der Begeisterung lodert. Dabei geht ein fortreißender
Jug von Gedicht zu Gedicht, der ibren Inhalt panorama-
gleich entfaltet. Was bedeutet demgegenüber der Vor-
wurf gegen die Sonettenform? Freilich hat der JykluS
stets so eifrige Tadler als Bewunderer gefunden. Eine
Autorität wie Wilhelm Scherer tut ihn mit der Bemerkung
ab: „Rückerts Geharnischte Sonette überwanden nicht
einmal die Schwierigkeiten des Reinces". Die paar un-
reinen, auf das Auge statt auf das Ohr berechneten
Reime, die in andern Rückertschen Gedichten viel auf-
fallender sind, können allein nicht den Stein des Anstoßes
gebildet haben. Vielmehr muß die dürerhafte, ritter-,
tod- und teufelartige Sprache überhaupt, im Gegensätze
zu den welschen O.uadernarien und Terzinen, gemeint
sein. Doch sollen Klanggedichte, wenn sie in Wehr und
Waffen auftreten, wie Glockenspiele klingen? Und warum
sollen sie nicht einem Dichter auch zur Rüstung werden,
wenn er sie dazu zu machen versteht? Fremde Formen
sich anzueignen, heißt in allen Künsten, sie ihrer Fremd-
heit entkleiden. Wie Rückert auf dem rechten Wege war,
als er später Lieder und Epen der Araber, Perser, He-
bräer, Inder und Chinesen nicht etwa philologisch genau
übersetzt, sondern nachgedichtet hat, so war er es erst
recht, da er die ursprünglichsten, die deutschesten Sonette
geschrieben.
Die tiefe Enttäuschung nach den Befreiungskriegen
ließ seine politische Muse fortan verstummen. Wie ein
Programm klingt bereits das Frühlingslied, worin wieder
die Liebe als Kern und Stern gepriesen wird, indes er
mit einenc Anklang an Anakreons Leier Helden und
Weltvernichtern zuruft, sie mögen sich einen andern
Sänger suchen. Noch überwiegen die nationalen Klänge
in dem Bande, der 1817 auf den Schwingen des Klassiker-
greifs zum ersten Male seinen Namen hinausträgt.
Barbarossa, Gott und die Fürsten und sonstiges, was
von den Lesebüchern her zu dem Bekanntesten von ihm
gehört, findet sich Bärin. Anderseits zeigt sich schon der
sinnende Weise, der von dem Bau der Welt mit einer-
geistvollen Sprach- und Stoffbehandlung erzählt. Nach
kurzer Nedaktionstätigkeit an dem Stuttgarter Morgen-
blatte ermöglichte ihm Cotta eine italienische Reise, die
das merkwürdige Ergebnis hatte, daß sie zwar jenen
Geistestrieb in die Weite, der ihn seiner dichterisch-wissen-
schaftlichen Bestimmung zuführte, weckte, ebenso aber
auch die Herzenssehnsucht nach dem Behagen der Enge,
wo er sich zu Hause fühlte. „Ich bin nicht der Fremde
Kind, ich bin heim geboren", heißt es in Erinnerung an
diesen ersten und letzten Aufenthalt außer Landes in den
„Östlichen Rosen".
Diese morgenländisthe Anakreontik, deren Leitmotiv
in den Versen klingt: „Becherrand und Lippen — zwei
Korallenklippen — wo auch die gescheitem — Schiffer
gerne scheitern" — gründete sich auf ein emsiges Studium
des Persischen nach seiner Rückkehr, wenn auch erst
Goethes Vorbild das verwandte Werk hervorrief. Wie
froh Rückert das Erscheinen des West-östlichen Diwans
begrüßte, bezeugen die köstlichen Widmungsstrophen.
Bald aber sollte die dichterische Beweglichkeit, die ihn
von Agnes zu Amaryllis gezogen, zwei ebenso verschiedene

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