über das lustige Brücklein schritten, „so mußt du dir den
Zugang zum Lande der Zwerge vorstellen."
Die schmalen Wege im Jungferngärtlein waren mit
einem ockergelben, feinen Sand beworfen, und nie sah
man auf ihnen einen Schimmer von Unkraut, wie man
es sonst wohl auch auf gut gepflegten Gartenpfaden bis-
weilen antrifft. Fraulein Rechnens Rechen kam, waren
keine Gäste da, nicht zur Ruhe. Wagten sich irgendwo
ein paar fürwitzige Grasspitzen außerhalb der kleinen,
sammetweichen Rasen aus der Erde hervor: kaum waren
sie sichtbar geworden, hatte ihr Stündlein auch schon ge-
fchlagen.
Das Netz der Wege, von denen aus man die Rabatten,
das Berglein aus Tuffsteinen, den kleinen Teich und all
die anderen Herrlichkeiten im „grünen Raritätenkabinett
der lieben Regina" — so nannte der Großvater bisweilen
Fräulein Döderleins Garten — bewundern konnte, war
einigermaßen merkwürdig und verwickelt. Gerade Strecken
gab es da nicht. In rasch sich folgenden Bogen und Win-
dungen zogen die gelben Sandbänder dahin. Gemessen
und mit Bedacht mußte schreiten, wer auf diesen Schlan-
genpfaden wandelte, wollte er nicht irgendein Stücklein
bepflanzten Landes betreten. Auch war man genötigt,
sich unablässig zu überlegen, ob man links oder rechts
gehen wolle, da die Wege sich immer wieder teilten.
Die kleinen Beete und Grasfleckchen zeigten in ihren
Umrißlinien einen überaus reichen Figurenschatz, man
sah die Formen des Kreises, des Eies, der Birne, des
halben wie des Sichelmondes, des Kelchglases, des
Herzens, der Niere und der Träne. Quadrate fehlten
nicht, Rechtecke, Trapeze brauchte man nicht zu missen.
Dann gab es ein Rasenstück, das einem großen, ovalen
Teller mit gebuchtetem Rand glich. Und auf dieser
grünen Platte wurden drei schöne, goldig schimmernde
Brezeln dargereicht. Mit irgendeiner niederen gelben,
korbblütigen Pflanze war das geliebte Gebäck dargestellt.
Einzelne der Beetlein waren mit ganz schmalen Gras-
streifen, andere mit scharf gestutztem Buchs gesäumt.
Wieder andere waren mit Tuffbrocken, mit Rheinwacken,
mit Ammonshörnern oder mit Muscheln, mit kunstvoll
aneinandergereihten, dünnen roten Ziegeln oder Minia-
turbalustraden aus Granit oder getigertem Sandstein,
mit zierlichen Holzgitterchen oder Eisengeländerchen um-
bordet, und immer wieder lernte man neue Möglich-
keiten und Arten der Beeteinfassungen kennen.
Ungefähr in der Mitte des Jungferngärtleins träumte
zu Füßen einer unsagbar vornehmen Trauerweide ein
kleiner Weiher. Seine Ufer waren mit hohen silbrigen
Gräsern bewachsen, mit Schwertlilie, Froschlöffel und
Pfeilkraut. Nur an einer Stelle war der Gürtel, der
das Teichlein umschlang, nicht geschlossen. Da sah man
seines Wassers blanken Spiegel. Auf diesem schwammen
ein paar Seerosenblätter, unter denen, wenn die Sonne
gar zu heiß herabbrannte, die Goldfischlein schattigen
Schutz fanden, die in „Reginas Elfenseelein" — der
Großvater hatte in seiner heiteren Art alle Sehenswürdig-
keiten in Fräulein Döderleins Garten getauft — sich
ihres Lebens freuten.
Des Jungferngärtleins „romantische Landschaft": ein
mit Farnkräutern, Mauerpfeffer, Steinbrech und anderen
Felsenpflanzen besetztes Berglein aus Tuff- und Sand-
Das Jungferngärtlein.
steinblöcken, das von einer niedlichen Burg mit spitzem
Turm und zackigen Zinnen bekrönt war.
„Siehst du, Büble," sagte der Großvater, wenn wir
das köstliche kleine Gebirgsland mit seinen Schroffen und
mit seinen grünen Schluchten betrachteten, und deutete
auf das lustige Schlößlein, „das ist der Lichtenstein.
Weißt du, der Wilhelm Hauff hat bei Fräulein Regina
einen Stein im Brett. Darum darf in ihrem Raritäten-
kabinett auch das Schloß Lichtenstein nicht fehlen. Da
siehst du's, wie es dem Dichter zu Ehren stolz von der
Höhe herabschaut." Dabei lachte der große Mann mit
dem weißen Barte hell auf, blinzelte zu Fräulein Döder-
lein hinüber und dann lachten sie alle drei, Großvater,
Großmutter und Fräulein Regina. So oft ich während
der reiferen Bubenzeit bei den Großeltern zu Besuch
war und zum erstenmal die romantische Landschaft im
Jungferngärtlein wieder gesehen hatte, erwachte die Lust
in mir, die Sage vom Lichtenstein zu lesen. Und so kam
es, daß ich eine Reihe von Jahren hindurch im Sommer
jeweilen die Hauffsche Erzählung verschlungen habe.
Man wurde ordentlich müde, wenn man in Fräulein
Döderleins Sommerreich am Lerchenweg Umschau hielt,
und war froh, in einem Gartenhaus, inmitten von Jas-
min- und Fliederbüschen, ausruhen zu können. Da der
kleine achteckige Bau mit dem feinen Schieferdach auf
der Seite, von der man ihn betrat, eine Vorhalle mit
drei schlanken Säulchen hatte, nannte der Großvater ihn
„Rechnens Tempelchen". Die Wände im Innern des
Tempelchens waren blau gestrichen und mit Stichen in
Kirschholzrahmen geschmückt. Man betrachtete diese
Bilder, Ansichten aus dem Park in Weimar, jedesmal mit
Andacht. Da sah man das Gartenhaus am Stern, Carl
Augusts Borkenhäuschen, den Felseneingang zum Ge-
sundbrunnen, den seltsamen Schlangenstein, die Natur-
brücke, das römische Haus, den Dessauer Stein und schöne
Baumgruppen. Die Decke des freundlichen Raumes war
leicht gewölbt und trug in der Mitte ein kleines verblaßtes
Gemälde, das einen Ausblick zwischen zartgeröteten
Wolken hindurch in den blauen Himmel vortäuschte. Man
saß auf leichten, behaglichen Sesseln mit strohgeflochtenen
Sitzen und Lehnen um einen runden Tisch und freute sich
der duftenden Kühle. Es war herrlich, im Tempelchen
— bisweilen im Kampf mit dem Schlafe, in dem Groß-
vater meist unterlag — eine Stunde zu verträumen.
Das Gartenhaus in den Jasmin- und Syringen-
sträuchern war indessen nicht die einzige zur Ruhe ladende
Stätte des Jungferngärtleins. Eine zweite fand man in
einer Geißblattlaube, die eine grüne Bank beschattete.
Da Fräulein Regina es nicht liebte, daß im Tempelchen
geraucht wurde, verzog sich der Großvater, wenn es ihn
nach dem Genuß einer Pfeife gelüstete, unter das Geranke
des Jelängerjeliebers.
Auf den Beeten des Jungferngärtleins blühten neben
Reseden und Levkojen, Geranien, Fuchsien und den
übrigen bekannteren Gartenblumen auch Türkenbund,
Akelei und Knabenkräuter, die Fräulein Döderlein in den
Wäldern der Vorberge des Schwarzwaldes ausgegraben
und in ihrem Reiche angesiedelt hatte. Jede einzelne der
Pflanzen, die auf ihren Rabatten eine Heimat gefunden
hatte, kannte die Jugendfreundin der Großeltern, und
es machte ihr eine besondere Freude, einem Gast, der
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Zugang zum Lande der Zwerge vorstellen."
Die schmalen Wege im Jungferngärtlein waren mit
einem ockergelben, feinen Sand beworfen, und nie sah
man auf ihnen einen Schimmer von Unkraut, wie man
es sonst wohl auch auf gut gepflegten Gartenpfaden bis-
weilen antrifft. Fraulein Rechnens Rechen kam, waren
keine Gäste da, nicht zur Ruhe. Wagten sich irgendwo
ein paar fürwitzige Grasspitzen außerhalb der kleinen,
sammetweichen Rasen aus der Erde hervor: kaum waren
sie sichtbar geworden, hatte ihr Stündlein auch schon ge-
fchlagen.
Das Netz der Wege, von denen aus man die Rabatten,
das Berglein aus Tuffsteinen, den kleinen Teich und all
die anderen Herrlichkeiten im „grünen Raritätenkabinett
der lieben Regina" — so nannte der Großvater bisweilen
Fräulein Döderleins Garten — bewundern konnte, war
einigermaßen merkwürdig und verwickelt. Gerade Strecken
gab es da nicht. In rasch sich folgenden Bogen und Win-
dungen zogen die gelben Sandbänder dahin. Gemessen
und mit Bedacht mußte schreiten, wer auf diesen Schlan-
genpfaden wandelte, wollte er nicht irgendein Stücklein
bepflanzten Landes betreten. Auch war man genötigt,
sich unablässig zu überlegen, ob man links oder rechts
gehen wolle, da die Wege sich immer wieder teilten.
Die kleinen Beete und Grasfleckchen zeigten in ihren
Umrißlinien einen überaus reichen Figurenschatz, man
sah die Formen des Kreises, des Eies, der Birne, des
halben wie des Sichelmondes, des Kelchglases, des
Herzens, der Niere und der Träne. Quadrate fehlten
nicht, Rechtecke, Trapeze brauchte man nicht zu missen.
Dann gab es ein Rasenstück, das einem großen, ovalen
Teller mit gebuchtetem Rand glich. Und auf dieser
grünen Platte wurden drei schöne, goldig schimmernde
Brezeln dargereicht. Mit irgendeiner niederen gelben,
korbblütigen Pflanze war das geliebte Gebäck dargestellt.
Einzelne der Beetlein waren mit ganz schmalen Gras-
streifen, andere mit scharf gestutztem Buchs gesäumt.
Wieder andere waren mit Tuffbrocken, mit Rheinwacken,
mit Ammonshörnern oder mit Muscheln, mit kunstvoll
aneinandergereihten, dünnen roten Ziegeln oder Minia-
turbalustraden aus Granit oder getigertem Sandstein,
mit zierlichen Holzgitterchen oder Eisengeländerchen um-
bordet, und immer wieder lernte man neue Möglich-
keiten und Arten der Beeteinfassungen kennen.
Ungefähr in der Mitte des Jungferngärtleins träumte
zu Füßen einer unsagbar vornehmen Trauerweide ein
kleiner Weiher. Seine Ufer waren mit hohen silbrigen
Gräsern bewachsen, mit Schwertlilie, Froschlöffel und
Pfeilkraut. Nur an einer Stelle war der Gürtel, der
das Teichlein umschlang, nicht geschlossen. Da sah man
seines Wassers blanken Spiegel. Auf diesem schwammen
ein paar Seerosenblätter, unter denen, wenn die Sonne
gar zu heiß herabbrannte, die Goldfischlein schattigen
Schutz fanden, die in „Reginas Elfenseelein" — der
Großvater hatte in seiner heiteren Art alle Sehenswürdig-
keiten in Fräulein Döderleins Garten getauft — sich
ihres Lebens freuten.
Des Jungferngärtleins „romantische Landschaft": ein
mit Farnkräutern, Mauerpfeffer, Steinbrech und anderen
Felsenpflanzen besetztes Berglein aus Tuff- und Sand-
Das Jungferngärtlein.
steinblöcken, das von einer niedlichen Burg mit spitzem
Turm und zackigen Zinnen bekrönt war.
„Siehst du, Büble," sagte der Großvater, wenn wir
das köstliche kleine Gebirgsland mit seinen Schroffen und
mit seinen grünen Schluchten betrachteten, und deutete
auf das lustige Schlößlein, „das ist der Lichtenstein.
Weißt du, der Wilhelm Hauff hat bei Fräulein Regina
einen Stein im Brett. Darum darf in ihrem Raritäten-
kabinett auch das Schloß Lichtenstein nicht fehlen. Da
siehst du's, wie es dem Dichter zu Ehren stolz von der
Höhe herabschaut." Dabei lachte der große Mann mit
dem weißen Barte hell auf, blinzelte zu Fräulein Döder-
lein hinüber und dann lachten sie alle drei, Großvater,
Großmutter und Fräulein Regina. So oft ich während
der reiferen Bubenzeit bei den Großeltern zu Besuch
war und zum erstenmal die romantische Landschaft im
Jungferngärtlein wieder gesehen hatte, erwachte die Lust
in mir, die Sage vom Lichtenstein zu lesen. Und so kam
es, daß ich eine Reihe von Jahren hindurch im Sommer
jeweilen die Hauffsche Erzählung verschlungen habe.
Man wurde ordentlich müde, wenn man in Fräulein
Döderleins Sommerreich am Lerchenweg Umschau hielt,
und war froh, in einem Gartenhaus, inmitten von Jas-
min- und Fliederbüschen, ausruhen zu können. Da der
kleine achteckige Bau mit dem feinen Schieferdach auf
der Seite, von der man ihn betrat, eine Vorhalle mit
drei schlanken Säulchen hatte, nannte der Großvater ihn
„Rechnens Tempelchen". Die Wände im Innern des
Tempelchens waren blau gestrichen und mit Stichen in
Kirschholzrahmen geschmückt. Man betrachtete diese
Bilder, Ansichten aus dem Park in Weimar, jedesmal mit
Andacht. Da sah man das Gartenhaus am Stern, Carl
Augusts Borkenhäuschen, den Felseneingang zum Ge-
sundbrunnen, den seltsamen Schlangenstein, die Natur-
brücke, das römische Haus, den Dessauer Stein und schöne
Baumgruppen. Die Decke des freundlichen Raumes war
leicht gewölbt und trug in der Mitte ein kleines verblaßtes
Gemälde, das einen Ausblick zwischen zartgeröteten
Wolken hindurch in den blauen Himmel vortäuschte. Man
saß auf leichten, behaglichen Sesseln mit strohgeflochtenen
Sitzen und Lehnen um einen runden Tisch und freute sich
der duftenden Kühle. Es war herrlich, im Tempelchen
— bisweilen im Kampf mit dem Schlafe, in dem Groß-
vater meist unterlag — eine Stunde zu verträumen.
Das Gartenhaus in den Jasmin- und Syringen-
sträuchern war indessen nicht die einzige zur Ruhe ladende
Stätte des Jungferngärtleins. Eine zweite fand man in
einer Geißblattlaube, die eine grüne Bank beschattete.
Da Fräulein Regina es nicht liebte, daß im Tempelchen
geraucht wurde, verzog sich der Großvater, wenn es ihn
nach dem Genuß einer Pfeife gelüstete, unter das Geranke
des Jelängerjeliebers.
Auf den Beeten des Jungferngärtleins blühten neben
Reseden und Levkojen, Geranien, Fuchsien und den
übrigen bekannteren Gartenblumen auch Türkenbund,
Akelei und Knabenkräuter, die Fräulein Döderlein in den
Wäldern der Vorberge des Schwarzwaldes ausgegraben
und in ihrem Reiche angesiedelt hatte. Jede einzelne der
Pflanzen, die auf ihren Rabatten eine Heimat gefunden
hatte, kannte die Jugendfreundin der Großeltern, und
es machte ihr eine besondere Freude, einem Gast, der
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