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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 3
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Röttger, Karl: Von des Menschen Einsamkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0112

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Von des Menschen^Cinsamkeit.
Man könnte ja fragen, was Feigheit sei.
Vielleicht gibt es keine Feigheit. Vielleicht gibt es
nur physiologische Angst, gegen die niemand ankann —
wenn er sie hat.
Daß aber der tote Soldat, der da ein seiger Hund
war, einst mit eigener Lebensgefahr seine Frau aus dein
Wasser gezogen hatte, daß er einst als junger Mensch
auf der Schule aus Liebe zu einem Wesen einen Diebstahl
auf sich genommen hatte, das wußten die Offiziere nicht.
Denn wir Menschen sind alle einsam. Was weiß
einer vom andern? Was wissen wir von der Feigheit?
Was von der Pflicht? Es geschieht alles so selbstverständ-
lich, das Gute und das Schlimme. Die große Begeisterung
und das Opfer und das elende Sichverkriechen. Aber es
ist alles Rätsel.
Und es kann auf einmal sein, daß es den Obersten
dünkt, er kommandiert im leeren Weltraum und niemand
ist da, der ihn mehr hört. — Denn wie eng gepreßt wir
Menschen ost stehen und leben — ist doch zwischen allen
noch so viel Raum der Welt, daß die Einsamkeit darin
heulen kann. * *
4-
Die zweite Geschichte ist die von der Kraft des Bösen.
Der Mann lebte in Halle oder Leipzig. Ich weiß
nicht recht mehr. Irgendwo in einer Mittelstadt.
Er kam jede Woche ein paarmal abends ins Restau-
rant an den Stammtisch. Sie kannten ihn alle, der
Richter und der Oberlehrer und der Kaufmann. Er war
gutmütig und rücksichtsvoll; nur manchmal war ein
schwerer Zug um seinen Mund, der aus dunklem Bart
schien, manchmal waren seine Augen wie erloschen.
Was sein Gewerbe war, wußte niemand. Er galt nur
als Kaufmann, machte manchmal Reisen, und war wohl-
habend. Vielleicht reich. Aber Sicheres wußte man
nicht. Man nannte ihn Kaufmann. Er hatte vielleicht
Agenturen oder sonstwas .... Er sandte Dinge über See
und machte Geschäfte in Hamburg, Rotterdam, Ant-
werpen und Bremen. So lebte er länger als ein Jahr-
zehnt. In einer Mittelstadt mit Kleinstadtallüren, gekannt
und geachtet von vielen.
Man las am Stammtisch auch manchmal die Zeitung.
Und da konnte es sein, daß alle Jahr oder öfter der Ver-
lust eines Schiffes im Nachrichten- und auch im Handels-
teil gemeldet wurde. Und daß inan darüber sprach, daß
doch das Meer noch immer etwas sehr Unsicheres sei,
von wegen der Stürme und der Explosionsgefahr. Und
der Mann saß dabei und lächelte bescheiden. Und meinte:
Ja, es werde wohl immer eine Gefahr dabei bleiben,
nämlich bei Seefahren. Und ging heim, nachdem er eine
Flasche Wein getrunken hatte, zu Weib und Kind und
schlief die Nacht gut und ging am andern Morgen an
seine Geschäfte. Wartete auch von der holländischen
Versicherungsfirma die Nachricht ab, und das Geld für
das verlorene Gut, das er aufgegeben hatte nach Amerika,
und das mit dem Dampfer verloren gegangen war.
Und empfing dann den Betrag und brachte ihn auf die
Kasse.
4-
Und wußte niemand, weder seine Frau noch sonst
jemand, daß er keine Güter aufgab, sondern Höllen-
maschinen, Uhren in Sprengstoff verpackt, die auf hoher

See die Schiffe unfehlbar vernichteten. Schiffe und
Menschen.
Wer war der Mensch? — Jenseits der uns umgeben-
den Welt, die wir sehen, fängt etwas an. — Was denn?
Eine Weite, einsam, fein üüersungen vom Wind, der aus
dem Namenlosen kommt. Eine Wüste in fahlem Licht
einer dunkelblassen Nacht .... Über dies flache Feld
kommen sie alle, und treten auf die Bühne des Lebens
und agieren und verschwinden .... Auch dieser ver-
schwand, geräuschlos, wie er gewirkt hatte, indem er sich
im verschlossenen dunklen Zimmer erschoß, nachdem eine
Kiste, hochversichert, beim Verladen im Hafen vorzeitig
hinfiel und explodierte. Und Hunderte Menschen tötete.
* 4-
*
Aber der Mann hatte auch seine Stunde gehabt. —
Einmal, als der Stammtisch leer blieb am Abend. Als
nur der Richter da war und vor sich hinbrütete. Da hatte
es ihn gelüstet, den Mund aufzutun und einiges zu —
sagen. Etwas zu offenbaren! Au offenbaren! Nicht
fo, daß man ihn fasse. Aber doch immerhin etwas zu
offenbaren .... Denn den Menschen allen tut die Ein-
samkeit weh; wenn niemand ist, der da erkennt, was sie
find und tun. Und so hatte er begonnen, ein paar Worte
zu sprechen zu dem müd lauschenden Richter. Und war
dann doch ganz plötzlich verstummt.
4- 4-
4-
Und dies ist die Geschichte von dem Geheimnis der
Liebe.
Es war ein Mann, der hieß Knud, und wohnte hoch
oben im Norden auf einem Hof ganz allein. Und hatte
ein Weib und Kinder. Und Knechte und Mägde. Es
war ein Mann noch in der Kraft seiner Jahre, und sein
Weib war noch immer schön, wie einst, da er uni sie ge-
freit hatte — ihrem Vater und ihren Brüdern zum Trotz.
Und eines Morgens ritt der Mann fort auf einem
hohen schwarzen Pferd. Und es war zur Zeit des ersten
Grüns und der Kirschblüte, im frischen Frühling. Und
er sprach zu seinen: Weibe mit Lächeln, ich reite gen
Elversee, zum Arne, und werde in drei Tagen wieder
da sein.
Er ritt an den Weiden vorbei, durch die Birkenhaine
und an den Hellen Buchen vorbei mit dem ersten zarten
Grün. Er sah alles an und freute sich; sein Herz war
froh des Frühlings und sein Gesicht lachte in die Sonne.
Und kam auf den Nachmittag an einen See und rastete
da und saß auf einem Stein und aß vom Mitgebrachten.
Indem er so traumverloren saß, kam ein Mädchen des
Weges geritten auf einem Schimmel, und ritt zwischen
ihm und den: Wasser langsam vorüber. Da wieherten
die zwei Pferde, eins nach dem andern, und das Mädchen
sah eine Weile mit ihren Augen her und dann wieder
gerade aus. Und er sah, sie hatte langes, blondes Haar
und tiefliegende Augen. Ehe er sie grüßen konnte, sah
sie wieder gerade aus und ritt schon dahin.
Er aber sah wieder vor sich wie träumend. Er dachte
in seinem Sinn, ich kenne die einsamen Höfe hier herum,
ich habe aber dies Mädchen nie gesehen.
Er aß zu Ende, packte ein und stieg dann auf... .
Und ritt den Weg, den sie genommen hatte. Und traf
sie nach einigen Stunden auf einer Weide, da eine Herde
Fohlen ging. Die waren alle weiß, und nur drei davon

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