schwersten Adagios machen einem leicht, als wenn man in einen
dunklen Bergsee blickt: zuletzt wird man doch froh. Nicht immer
ist es not, die Musizi zu sehen: man seht sich, für eine Mark, oben
auf den Balkon, in eine der letzten, in die letzte Reihe; und hört.
Ganz sachlich streichen und blasen die da unten, ein Meister der
Bratsche, ein Meister des Fagotts, nicht ihre Person und Finger-
fertigkeit wollen sie vorzeigen, gute Musik wollen sie machen,
starke Streicher, starke Blaser, glückhafte Meister „Tätige, tüchtige
Männer" der Musik, Söhne Zelters.
^<v>oeller van den Bruck:
Der preußische Stil*.
Das Buch steht sichtlich unter dein Einflüsse des Weltkrieges.
Nicht etwa das Vorhandensein eines preußischen Stiles, sondern
vielmehr die Absicht, gerade in der jetzigen Zeit eine Epoche der
preußischen Kunstgeschichte als die preußische zu erklären, leitet
die Abfassung der Schrift. Der Architekt Gilly ist der Heros des
Buches, und in seiner klassizistischen Kunst wird vom Verfasser der
preußische Stil erkannt. Es versteht sich, daß deshalb alles andere
in dem Buche — sowohl die vorausgehenden, als die folgenden
Kapitel — nur als Beiwerk behandelt wird. Zweifellos steckt in
der preußischen Ausprägung des Klassizismus etwas Eigenes und
auch Wahlverwandtes — sie aber bedingungslos als den preußischen
Stil bezeichnen zu wollen, scheint mir zum mindesten übertrieben.
Das Buch ist mit dichterischem Schwünge und in künstlerischer
Sprache geschrieben. Wir werden in das geschichtliche Werden
des Preußentums eingeführt und der historische Ablauf wird vom
völkerpsychologischen Standpunkt vornehmlich beleuchtet. Der ge-
ringe Anteil, den Preußen tatsächlich an der Entwicklung der
deutschen Kunst gehabt hat, mag es rechtfertigen, daß „vom preußi-
schen Stil" in diesen Kapiteln wenig die Rede ist. Eigene Spezial-
studien innerhalb der preußischen Kunstgeschichte, in der sicher
auch noch für das Mittelalter und die Renaissance Entdeckungen
zu machen sind, hat der Verfasser offenbar nicht getrieben.
Wenigstens werden keine, seither unbekannten Ergebnisse zutage
gefördert. Dennoch ist das, was z. B. über Andreas Schlüter, über
den Zopfstil, das friderizianische Barock usw. gesagt wird, voll
eigener Gedanken, geistreich vorgetragen — und sehr unterhaltsam
zu lesen. In einer Zeit wie der unseren, in der das Preußentum
und die Erfolge seiner Vorzüge eine so große Rolle spielen, ist es
wertvoll, ein Buch wie das vorliegende zur Hand nehmen zu
können, auch wenn man ihm nicht überall zustimmen kann. Die
gute Ausstattung und die vorzüglichen Abbildungen erhöhen den
Wert des Buches noch wesentlich. f594sj
Hannover. vr. Habicht.
Reinhardt.
„Regie, das war Organisation, war der passive Bindestoff,
der die Teile zusammenhielt, war kein selbständiges künstlerisches Ge-
stalten." So wird von Heinz Herald gemeint, da er einen Ver-
such über das Wesen der modernen Regie, das sich ihm in Max
* München 1916.
Reinhardt konzentriert, geben will*. Doch ich bin auf anderer Spur.
Regisseur sein, das konnte doch wohl nie etwas anderes heißen,
als eigene Visionen verleiblichen, wobei allerdings der Grad der
Vision den Grad des Regisseurs machte. So darf man denn auch
nicht, wie Heinz Herald das tut, sagen, Max Reinhardt habe den
Begriff des Regisseurs neu gefüllt. Dieser Regisseur hat nur die
Visionen, die ein jeglicher kraft des Vorstellungsvermögens hat
und mittels dessen jedes Gelesene oder Gehörte plastisch vor den
Geist zu stehen kommt, in erhöhtem Maße. Und auch, daß Reinhardt
das künstlerische Erleben nach allen Seiten hat, nach dem Schau-
spielerischen, Malerischen und Musikalischen hin — wodurch ein
einheitliches Theaterkunstwerk entsteht—, nimmt mich nicht wunder.
Jedwedem Lesenden und Hörenden stellt sich Gelesenes und Ge-
hörtes in Bewegung, Farbe und Musik vor die geistigen Sinne;
wäre dem nicht so, kein Buch würde zu Ende gelesen, keine Erzäh-
lung zu Ende gehört: das Interesse erlahmte, so ein Miterlebnis
durch die Kraft der Vorstellung nicht möglich wäre. Was da einzig
zu bestaunen ist, ist die Intensität, mit der Reinhardt das Kunstwerk
des Wortes erlebt — und verleiblicht. Aber auch dem Übersetzer
seiner künstlerischen Gesichte in die Scheinwirklichkeit des Theaters
ist, ohne daß damit das Strahlende seiner Tat geschwärzt werden
soll, in Rechnung zu stellen: daß ein deutsches Theater angetroffen
wurde, das, nach einer armseligen Jugend, in Wien, Weimar
und Meiningen herangereift war und soeben von einer neu durch-
säfteten Menschheit, die in allen Angelegenheiten aufs Natürliche
zurückzugreifen den Drang in sich fühlte, auf Echtheit und Wahr-
haftigkeit hin untersucht wurde; ferner, daß der an der Gottheit
lebendigem Kleid stets fortwebende Menschengeist soeben um einiges
weitergekommen: durch eine neue, auch die Phantasie neu befruch-
tende Technik, in erhöhtem Maße Mittel gegeben wurden, künst-
lerische Gesichte in die Scheinwirklichkeit des Theaters zu über-
sehen. Und eck wird wohl sein, daß Reinhardt diese Technik, da sie
ihm Mittel zu seinem Zwecke wurde, durchseelt hat. Allerdings
anders, wie Heinz Herald das meint; denn das ist noch keine Durch-
seelung der Technik, daß man seine Hilfsmittel offen zeigt; das sind
weit eher Finessen und Nuancen für den sensationshungrigen
Publikus, der eigens darum ins Theater geht, um sich verblüffen
zu lassen. Und daß Reinhardt diesem Publikus, obgleich er das
eigentlich nicht nötig gehabt, hie und da, immerhin viel zu oft,
seine Reverenz erwies, davon sagt Heinz Herald nichts. Er hat
überhaupt keine Einwendungen, er sagt zu allem Bravo und findet
alles gut und schön. Auch die Arena, in welche sich Reinhardt von
seiner eminenten Fähigkeit zu Massenszenen hineinziehen ließ;
auch die Tournees, auf die sich dieser Regisseur kaum aus künst-
lerischen Gründen begab. Nein, Heinz Herald macht keinerlei
Einwendungen gegen seinen Meister. So müßte denn dieser Meister,
eben weil er ein Meister ist, gegen ihn die schärfsten Einwendungen
machen. Eine andere Liebe wie die Heinz Heraldsche tut Max
Reinhardt — und jedem Schaffenden — not. Eine Liebe, die züch-
tigt und darunter leidet, weil sie züchtigen muß. Solcher Art Liebe
finde ich in einem früheren Werke über Reinhardt: es ist von Sieg-
fried Iacobsohn, Reinhardts leidenschaftlichstem Bewunderer und
Beurteiler. f606j Willi Dünwald
* Heinz Herald: Max Reinhardt. Ein Versuch über das
Wesen der modernen Regie. Felix Lehmann, Verlag, Berlin.
Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der CH. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).
Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.
Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
dunklen Bergsee blickt: zuletzt wird man doch froh. Nicht immer
ist es not, die Musizi zu sehen: man seht sich, für eine Mark, oben
auf den Balkon, in eine der letzten, in die letzte Reihe; und hört.
Ganz sachlich streichen und blasen die da unten, ein Meister der
Bratsche, ein Meister des Fagotts, nicht ihre Person und Finger-
fertigkeit wollen sie vorzeigen, gute Musik wollen sie machen,
starke Streicher, starke Blaser, glückhafte Meister „Tätige, tüchtige
Männer" der Musik, Söhne Zelters.
^<v>oeller van den Bruck:
Der preußische Stil*.
Das Buch steht sichtlich unter dein Einflüsse des Weltkrieges.
Nicht etwa das Vorhandensein eines preußischen Stiles, sondern
vielmehr die Absicht, gerade in der jetzigen Zeit eine Epoche der
preußischen Kunstgeschichte als die preußische zu erklären, leitet
die Abfassung der Schrift. Der Architekt Gilly ist der Heros des
Buches, und in seiner klassizistischen Kunst wird vom Verfasser der
preußische Stil erkannt. Es versteht sich, daß deshalb alles andere
in dem Buche — sowohl die vorausgehenden, als die folgenden
Kapitel — nur als Beiwerk behandelt wird. Zweifellos steckt in
der preußischen Ausprägung des Klassizismus etwas Eigenes und
auch Wahlverwandtes — sie aber bedingungslos als den preußischen
Stil bezeichnen zu wollen, scheint mir zum mindesten übertrieben.
Das Buch ist mit dichterischem Schwünge und in künstlerischer
Sprache geschrieben. Wir werden in das geschichtliche Werden
des Preußentums eingeführt und der historische Ablauf wird vom
völkerpsychologischen Standpunkt vornehmlich beleuchtet. Der ge-
ringe Anteil, den Preußen tatsächlich an der Entwicklung der
deutschen Kunst gehabt hat, mag es rechtfertigen, daß „vom preußi-
schen Stil" in diesen Kapiteln wenig die Rede ist. Eigene Spezial-
studien innerhalb der preußischen Kunstgeschichte, in der sicher
auch noch für das Mittelalter und die Renaissance Entdeckungen
zu machen sind, hat der Verfasser offenbar nicht getrieben.
Wenigstens werden keine, seither unbekannten Ergebnisse zutage
gefördert. Dennoch ist das, was z. B. über Andreas Schlüter, über
den Zopfstil, das friderizianische Barock usw. gesagt wird, voll
eigener Gedanken, geistreich vorgetragen — und sehr unterhaltsam
zu lesen. In einer Zeit wie der unseren, in der das Preußentum
und die Erfolge seiner Vorzüge eine so große Rolle spielen, ist es
wertvoll, ein Buch wie das vorliegende zur Hand nehmen zu
können, auch wenn man ihm nicht überall zustimmen kann. Die
gute Ausstattung und die vorzüglichen Abbildungen erhöhen den
Wert des Buches noch wesentlich. f594sj
Hannover. vr. Habicht.
Reinhardt.
„Regie, das war Organisation, war der passive Bindestoff,
der die Teile zusammenhielt, war kein selbständiges künstlerisches Ge-
stalten." So wird von Heinz Herald gemeint, da er einen Ver-
such über das Wesen der modernen Regie, das sich ihm in Max
* München 1916.
Reinhardt konzentriert, geben will*. Doch ich bin auf anderer Spur.
Regisseur sein, das konnte doch wohl nie etwas anderes heißen,
als eigene Visionen verleiblichen, wobei allerdings der Grad der
Vision den Grad des Regisseurs machte. So darf man denn auch
nicht, wie Heinz Herald das tut, sagen, Max Reinhardt habe den
Begriff des Regisseurs neu gefüllt. Dieser Regisseur hat nur die
Visionen, die ein jeglicher kraft des Vorstellungsvermögens hat
und mittels dessen jedes Gelesene oder Gehörte plastisch vor den
Geist zu stehen kommt, in erhöhtem Maße. Und auch, daß Reinhardt
das künstlerische Erleben nach allen Seiten hat, nach dem Schau-
spielerischen, Malerischen und Musikalischen hin — wodurch ein
einheitliches Theaterkunstwerk entsteht—, nimmt mich nicht wunder.
Jedwedem Lesenden und Hörenden stellt sich Gelesenes und Ge-
hörtes in Bewegung, Farbe und Musik vor die geistigen Sinne;
wäre dem nicht so, kein Buch würde zu Ende gelesen, keine Erzäh-
lung zu Ende gehört: das Interesse erlahmte, so ein Miterlebnis
durch die Kraft der Vorstellung nicht möglich wäre. Was da einzig
zu bestaunen ist, ist die Intensität, mit der Reinhardt das Kunstwerk
des Wortes erlebt — und verleiblicht. Aber auch dem Übersetzer
seiner künstlerischen Gesichte in die Scheinwirklichkeit des Theaters
ist, ohne daß damit das Strahlende seiner Tat geschwärzt werden
soll, in Rechnung zu stellen: daß ein deutsches Theater angetroffen
wurde, das, nach einer armseligen Jugend, in Wien, Weimar
und Meiningen herangereift war und soeben von einer neu durch-
säfteten Menschheit, die in allen Angelegenheiten aufs Natürliche
zurückzugreifen den Drang in sich fühlte, auf Echtheit und Wahr-
haftigkeit hin untersucht wurde; ferner, daß der an der Gottheit
lebendigem Kleid stets fortwebende Menschengeist soeben um einiges
weitergekommen: durch eine neue, auch die Phantasie neu befruch-
tende Technik, in erhöhtem Maße Mittel gegeben wurden, künst-
lerische Gesichte in die Scheinwirklichkeit des Theaters zu über-
sehen. Und eck wird wohl sein, daß Reinhardt diese Technik, da sie
ihm Mittel zu seinem Zwecke wurde, durchseelt hat. Allerdings
anders, wie Heinz Herald das meint; denn das ist noch keine Durch-
seelung der Technik, daß man seine Hilfsmittel offen zeigt; das sind
weit eher Finessen und Nuancen für den sensationshungrigen
Publikus, der eigens darum ins Theater geht, um sich verblüffen
zu lassen. Und daß Reinhardt diesem Publikus, obgleich er das
eigentlich nicht nötig gehabt, hie und da, immerhin viel zu oft,
seine Reverenz erwies, davon sagt Heinz Herald nichts. Er hat
überhaupt keine Einwendungen, er sagt zu allem Bravo und findet
alles gut und schön. Auch die Arena, in welche sich Reinhardt von
seiner eminenten Fähigkeit zu Massenszenen hineinziehen ließ;
auch die Tournees, auf die sich dieser Regisseur kaum aus künst-
lerischen Gründen begab. Nein, Heinz Herald macht keinerlei
Einwendungen gegen seinen Meister. So müßte denn dieser Meister,
eben weil er ein Meister ist, gegen ihn die schärfsten Einwendungen
machen. Eine andere Liebe wie die Heinz Heraldsche tut Max
Reinhardt — und jedem Schaffenden — not. Eine Liebe, die züch-
tigt und darunter leidet, weil sie züchtigen muß. Solcher Art Liebe
finde ich in einem früheren Werke über Reinhardt: es ist von Sieg-
fried Iacobsohn, Reinhardts leidenschaftlichstem Bewunderer und
Beurteiler. f606j Willi Dünwald
* Heinz Herald: Max Reinhardt. Ein Versuch über das
Wesen der modernen Regie. Felix Lehmann, Verlag, Berlin.
Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der CH. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).
Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.
Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.