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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 4
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Fries, Heinrich de: Die werdende Form: zur Entwicklung der modernen Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0134

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Peter Behrens.

Turbinenhalle der A. E. G. Berlin (Seitenansicht von links).

die geistige Entwicklung und den Beginn einer neuen Zeit
in seiner Richtung bestimmt.
Man kann vielleicht diesen -Zeitabschnitt am Ausgange
des 19. Jahrhunderts nicht besser bestimmen, als wenn
man ihn durch das Faktum kennzeichnet, das nur für eine
weite und große Aukunft im tiefsten und letzten Sinne
maßgebend erscheint, und dieses wäre jener vollkommene
Umschwung der Kultur und des Geistes, den wir als die
neue Entdeckung des Lichtwertes bezeichnen könnten.
Der Begriff des Lichtes, hier nicht nur gesetzt als physi-
kalische Erscheinung, deren neue Wertung eine ganz
andere Technik, Wissenschaft und Kunst zu erschaffen im
Begriffe ist, sondern in erster Linie in einer überaus
starken Sehnsucht und einem leidenschaftlichen Willen
nach Wahrheit und Erkennen, auf deren ungeheuren
Intensität unser ganzes modernes Kulturleben basiert.
Inwieweit dieser neue heiße Drang nach letztem klarem
Wissen und Begreifen und die Leidenschaftlichkeit der
Arbeit, die in den Dienst dieser Idee gestellt wurde,
in die tausendfachen Formen und Verzweigungen unserer
gesamten Technik, Wissenschaft und Philosophie Früchte
getragen hat und noch trägt, das im einzelnen zu unter-
suchen, liegt nicht im Sinne dieser Betrachtung. Die un-
gemeine Fruchtbarkeit und Größe dieser Idee eines neu-
artigen Lebens liegt uns auch offen zutage, wo es sich
darum handeln könnte, der Entwicklung der neueren
Malerei und der Bildbauerkunst nachzugehcn. Denn der
Plcinairismus ist nicht eine neue Technik, die eben nur
der Malerei neue Möglichkeiten der Wirkung gab, son-

dern er ist das letzte und höchste Produkt eines langen
krampfartigen und verworrenen Ringens um ein neues
und reicheres Erfassen des Lebens. In diesem einen Be-
griff könnte der Sinn der Ankunft beschlossen scheinen.
Wir spüren kaum, wie wir uns wandeln, und dennoch
bedarf es nur geringen Empfindens, uni zu fühlen, wie
sehr uns der Begriff der Vergangenheit mit aller an-
haftenden Ehrfurcht und Rücksicht über das schwere
Ringen der Gegenwart hinweg in den Begriff der
werdenden Ankunft sich gewandelt hat. Es lohnt sich,
hier einen Augenblick zu verweilen, zu überdenken und
zu empfinden, daß wir heute vielleicht an der Pforte
eines ganz Neuen und unendlich Großen stehen und daß
die Formen einer unbegrenzten Vergangenheit einem
völlig neuen Werden und Gestalten zu weichen beginnen.
Und daß diese ungeheure Erschütterung und Umge-
staltung einer neuen Kultur in ihrer Kunst nach neuem
Ausdruck und neuer Erfüllung sucht, ist leicht faßlich.
Die Architektur, als die stärkste Form der Kunst, und dem
intensiven Kraftgefühl der Gegenwart am nächsten ver-
wandt, zeigt mit am deutlichsten den Niederschlag eines
neuen Geistes rind eines neuen Willens in die Ankunft, die
in der bewußten Kraft ihrer Jugendlichkeit die bequemen
Stützen der Vergangenheit leicht und gern entbehrt.
Es sei versucht, den Ausdruck dieser neuen Idee des
Lebens an Werken der modernen Architektur nachzu-
weisen und vielleicht zu zeigen, wie die bestimmenden
Momente einer Kultur sich in die sichtbaren und dauernden
Formen der Kunst umzusetzcn vermögen. Ein typisches

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