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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 4
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Röttger, Karl: Jesus als Kind: Legende
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0149

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Jesus als Kind.

reckte die rechte Hand über den Tisch, schräg in die Luft,
und saß so als ein Entrückter und lächelte .... Es mochte
aber der Schmetterling meinen, es sei die kleine rote
Kinderhand eine Purpurblüte und dufte; und vielleicht
mochte es sogar sein, daß aus seinem heiligen Blut
ein feiner Duft aufstieg (nur einem zierlichen Wesen
vernehmbar); — der Schmetterling setzte sich auf die
Hand.
Da stand Jesus auf. — Feierlich, wie ein alter Mann,
der etwas Großes vorhat, ging er mit vorgestreckten
Händen nach draußen, über den Rasen hinweg ....
Sein Vater hatte sich umgewandt und auch Maria sah
zur Seite ihm nach. Als er immer weiter ging, rief ihn
sein Vater: Jesus! Da legte ihm Maria die Hand auf
den Arm und bat ihn stumm mit den Augen: Laß ihn!
Und so schwieg der Vater.
Jesus aber hatte es doch gehört und war erschrocken.
Und seine Hand hatte einen Augenblick gezuckt und der
Schmetterling war fortgeflogen. Nun kehrte er zurück
mit herabhängenden Armen, ohne Lächeln; kam aber
nicht ins Haus, sondern setzte sich vor dem Hause ins Gras.
Er saß aber oft da. Er sann; niemand wußte, was;
denn es war im Haus so, daß selten einer von seiner
Seele sprach. Und sie alle hatten sich daran gewöhnt,
daß er viel allein saß und dann mit niemand sprach.
Denn sie wußten, er meinte es nicht böse.
An den schlimmen Herbst- und Wintertagen aber saß
er im Hause in der Stube. Da war eine Ecke, ein Winkel
zwischen Schrank und Hinterwand, da saß er oft. Das
Leben im Hause ging oft, als sei er garnicht da. Dennoch
war er da — und sah alles Geschehn aus seiner Ver-
borgenheit. Und da konnte es wohl geschehn, daß er mal
aufstand und aus seinem Vergessensein, aus seinem ein-
samen Denken, aus seiner Verborgenheit aufstand,
und daß er dann unter sie trat oder an ihnen vorbeiging;
so daß sie einen Augenblick fast erschrocken waren, als wäre
ganz plötzlich ein Fremder zwischen ihnen.
Denn nichts ist einfacher, klarer und begreiflicher,
als daß Jesus von allem Anfang an und seine ganze
Kindheit hindurch schon war, was er immer war, der
Sohn des einigen Gottes, nur daß es, je kleiner er war,
je weniger offenbar war. Und was wäre also auch klarer,
als daß er als ein solcher von den andern ein ganz klein
wenig abgesondert war; nicht, weil er das so wollte,
sondern weil es so sein mußte. Er war ein Kind wie andere
Kinder, er spielte mit ihnen, er freute sich wie sie der
Schmetterlinge und Blumen (nur vielleicht noch tiefer
und frömmer), er liebte seine Mutter; aber er war dennoch
ein anderer, als Kinder sonst sind; wenn er mit den Spiel-
kameraden sprach, hatte seine Stimme einen andern
Klang noch als ihre Stimme.
Sie machten Späße — er aber war heiter.
Sie trieben wohl Spott mit dem oder jenem — dann
ging er beiseite.
Sein Vater sah ihn manchmal an, groß, erstaunt;
schwieg aber. Jesus fühlte wohl den Blick auf sich ruhen
und wandte sich ab; als bedrückte es ihn, wenn einer an
ihn dächte. Doch war seine Mutter Maria da, in deren
Arme er sich gern schmiegte.... Und ihr Herz war
seinem Herzen nahe; das wußte und fühlte er, und es
war ihm kein Aweifel.
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Nun geschah es im Frühling, daß Maria in den Beeten
war und jätete; und zog aus das Unkraut, daß es die
Früchte nicht überwuchere; und es waren dabei auch
Blumen mancher Art, die aber doch müssen zum Unkraut
gelten, damit sie das Wachstum der Früchte nicht
hindern: roter, wilder Mohn und Hahnenfuß, wilde
Stiefmütterchen und einzelne Anemonen. Jesus kam
hinzu, saß auch mit nieder und half ihr; ob er gleich noch
jung war und schwache Hände hatte. Und sie schütteten
alles Ausgerupfte auf einen Haufen. Den wollten sic
dann zuletzt fortwerfen auf einen Haufen hinter dem
Haus. — Indem sie aber nun schon lange rauften, kam
Jesus der Gedanke, daß manche der Kraute doch hübsche
Blüten trügen, und es tat ihm leid, daß sie nun welken
mußten und sterben. Und er stand auf, ging hin und nahm
ganz heimlich einen ganzen Arm voll des Krautes, das
doch im Garten nicht nütze war, und trug es hinweg;
auf die Wiese, darum die Hecke war; ersah sich dort einen
Streifen Landes am Aaun entlang, wo kein Gras stand,
schaufelte es um und pflanzte dort die Pflanzen ein:
Mohn und Anemone und wilde Stiefmütterchen und
Hahnenfuß. Holte auch noch in einem Gießkännchen
Wasser und goß es darauf und dachte: vielleicht werden
sie wachsen; hier schaden sie niemand.
Es hatten aber Kinder sein Tun gesehn; hatten heim-
lich, leise hinter der Hecke gestanden und hatten darüber
gelacht. Pst, sagten sie zueinander: Jesus pflanzt Un-
kraut, ein kluger Gärtner ist er. Sollen wir ihn ver-
spotten? Nein, sagte einer, ich weiß etwas Besseres;
wir wollen zu seiner Mutter gehn, die im Garten sich
quält, das Unkraut auszurupfen, das Jesus wieder ein-
pflanzt; wir wollen ihr sagen: Jesus pflanzt, was Ihr
jätet. — So gingen sie hin und sagten es ihr. Maria aber
sah auf von ihrer Arbeit, sah alle Kinder nacheinander an
und sprach: Also dazu seid ihr gekommen, mir das anzu-
sagen; und meint wohl gar, ihr hättet eine rechte Untat
mir überbracht, die Jesus tat. So will ich euch nun sagen:
es ist wohlgetan, was mein Sohn tat; und daß ihr
schadenfrohe Angeber seid, da ihr zu mir kommt, mir das
zu sagen. Und wer unter euch ist, der vermag, sich zu
schämen, der gehe und denke nach: warum es wohl-
getan ist, was mein Sohn tat.
Da gingen die Kinder mit gesenkten Gesichtern fort
und schwiegen.
*
*
Und es war an einem Herbsttag, daß Jesus hinaus-
ging; an den Hügel, darauf die Stadt lag und von dem
sie hinaussieht in die Ebenen: gen Norden und gen Süden.
Und er sah, es wurden die Blätter gelb an den Eichen
und Birken; und fiel ihm bei, daß es nun Herbst sei
und daß der Winter nicht ferne sei mit vielem Regen
und daß dann trübe Tage sein würden, wo er in der
Stube sitzen müsse, und daß dann die Sonne oft fehlen
werde. In diesem Gedanken blieb er eine Weile stehn;
dann bückte er sich und fing an, die goldensten und
schönsten Blätter aufzuheben; er sprach dabei: Wie sind
sie schön; sie leuchten ja wie die Sonne. Man soll sie
mit nach Hause nehmen für die trüben Tage; da hat man
die Sonne und Farben drinnen in dunkler Stube. So
tat er, sammelte ein Häuflein, band sie lose in ein Tuch
und trug sie heim. Suchte im Haus eine leere Lade

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