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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 4
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Lang, Elisabeth: Das Bohnenlied
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0154

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Das Bohnenlied.

die sich zum Frühling bekehrt und gleich anderen Katzen
Herz und Gemüt in ihrem Inneren entdeckt, möchte
ich betreut wissen. Auf daß ich wohl freudig sterbe.
Vermache deshalb mein Haus und Garten samt allem,
was darinnen ist, nebst dem Goldschatz und den Gütern
vom ersten bis zum letzten Markstein dem Vinzli vom
Weidengäßchen und dem Lowisel vom Bannwald,
wenn selbige zwei gewillt sind, sich ohne Verzug in
den heiligen Stand der Ehe zu begeben und meine
Hinterlassenschaft zu übernehmen. Dieses entspricht
einem Testamente und ist mein letzter Wille.
Himbelingen, im Jahre des Heils den 7. Mai 1901.
Wendelin Knüllhuber."
Danach, als er dies geschrieben hatte, versiegelte er
es wohl und schloß es in den Eichenschrank. Nun fühlte
er sich aber so leicht und wie von Wolken getragen, wäh-
rend auch eine himmlische Musik das Bohnenlied silbern
übertönte. Der Stern, der ihn letztlich geführt hatte,
schwebte wieder über ihm, winkte und führte ihn, der
ihm sogleich folgte-und so war es ihm ein Kleines,
in den Himmel zu fliegen, der schon seine Tore geöffnet
hatte.
Als die grimme Gadrahul ein Stündchen später eine
Ahnung befiel, daß sich etwas zu ihren Gunsten könnte
ereignet haben, schlüpfte sie in ihre Filzpantoffel und legte
den gekrümmten Zeigefinger an die Türe, um damit
dreimal vernehmbar zu klopfen. Als aber nur das Kätz-
lein jammernd und klagend antwortete, trat sie ein
und gewahrte, daß der Herr des Hauses friedlich gestor-
ben war.
Nun ordnete sie rasch die Wehmutsfalten auf ihrer
Stirne, setzte die Leichenbittermiene auf, fuhr in ihr
schwarzes Staatsgewand und eilte stehenden Fußes zum
Schultheißen von Himbelingen, dem sie den Trauerfall
anzeigte. Und da sie eine Zwiebel unterwegs zerschnitten
und verzehrt, verhalf ihr der Genuß auch zu etlichen sanf-
ten Tränen, deren sie wohl bedurfte, da sie es an nichts
wollte fehlen lassen.
Der Schultheiß, der die würdevolle Person mit der
geziemenden Teilnahme empfing, verschaffte ihr Rat,
Tat und Beistand in ihrer Einsamkeit--.und das ganze
Dorf nahm einen schönen und herzbewegenden Anteil
an dem plötzlichen Verscheiden des guten alten Herrn
Knüllhuber.
Danach, als er begraben war, gedachte sie das An-
wesen ohne weiteres in Besitz zu nehmen, fegte die Katze
mit dem Besen hinaus, wenn sie das Bohnenlied sang,
und wandelte hocherhobenen Hauptes mit der Schere
nach der guten Stube, um das Unkraut und Ziefer
hinauszuschaffen. Aber jeder Schnitt, den sie an den
Wunderbohnen tat, mißlang ihr also, daß stets sechs neue
Ranken ansetzten, wo eine gefallen war — und sie
konnte dem Blühen keinen Einhalt tun.
Nun ward aber nach etlichen Tagen das Testament
eröffnet. Und sein Inhalt erregte ein so großes Befrem-
den bei der hohen Obrigkeit, daß man nicht wußte, an
wessen Verstände man zweifeln sollte — und doch wollte
man auch einem Toten nichts nehmen, das ihn: zu seinen
Lebzeiten unangefochten zuerkannt war.
Man rief denn eiligst den Vinzli und das Lowisel
herbei, samt der Gadrahul, die in Begleitung der schnee-

weißen Katze erschien, und unterbreitete ihnen das Hand-
schreiben mit dem letzten Willen des Herrn Knüllhuber.
Alsbald wurde die Gadrahul gelb bis in die Zehen-
spitzen hinunter, die Katze fing an rosenrot zu singen,
das Lowisel und der Vinzli aber verfärbten sich blaß
und dunkel und wußten nicht, wie ihnen geschehen.
„Nein," sagten sie, „wir haben ihn nicht gekannt,
niemals haben wir je ein Wort mit ihm gesprochen,
es müßte denn im Traum passiert sein, in welchem die
Seelen manchmal verschweben und etwas Unverständ-
liches tun. Aber wir wollen nichts Unrechtes, nichts, was
wir nicht verdient haben."
„Demnach", erwiderte der Schultheiß, „bliebe nur
die Katze übrig, die uns angesichts obwaltender Zweifel
zweckdienlichen Bescheid geben könnte, da sie doch zu des
Verblichenen Füßen ruhte in seinem letzten Stündlein."
Und er berührte ihre Schwanzspitze, zum Zeichen,
daß sie reden dürfe.
„Ja," sagte das brave Tier, „es hat alles seine Rich-
tigkeit, was man so glaubt-saß ich doch neben dem
Tintenfasse, als er die Feder darein tauchte und schrieb,
und das Schäfchen hat geblökt, wie es immer tat, wenn
es aus dem Rahmen sprang, da wir das Bohnenlied
tanzten."
„Sie ist wohl nicht bei Sinnen," antworteten die
hohen Herren, „das geht über das Bohnenlied, man
kann ihr Urteil nicht zu Protokoll bringen."
Jedoch die Katze unterbrach schnell: „Man möge
mich mein Alter nicht entgelten lassen, welches niemals
vor Torheit schützt, anderseits hingegen Weisheit und
Erfahrung bringt. Aber man sehe nach in einem alten
Folianten, ob nicht aus der guten Großmutterzeit ein
Bohnenspruch darin zu finden sei, der das Wunder er-
kläre. Zudem ist ja der Frühlingsgesang meiner Seele
auch ein klarer Beweis seltsamer Geschehnisse." Und
damit fing sie wieder an zu singen, als ob der Vollmond
am Himmel stünde.
Nun nahm das Lowisel sie auf den Schoß, streichelte
sie und lehrte sie stille sein. Und die Herren gingen einen
Aktenstoß nach dem andern durch, husteten, stöhnten
und hatten große Beschwer.
Als sie aber einen dicken schweinsledernen Folianten
herunterhoben und aufschlugen, sprang die Katze auf den
Tisch, worauf er lag, setzte sich daneben, blätterte darin
und räusperte sich alsbald vernehmbar.
Es erfolgte eine Totenstille. Sie strich bedächtig
ihren Bart und las:
„Es gibt eine alte Regel: Wenn zwei Liebende un-
verschuldetermaßen zwei Bohnen verlieren, so ihr Eigen-
tum sind, und die Tränen fallen beim Abschiednehmen
darauf, also, daß seine Träne auf die Bohne der Gelieb-
ten fällt — und umgekehrt hinwieder ihre Träne auf
die Bohne des Geliebten, und jemand findet sie, nimmt
sie auf und steckt sie im Zeichen des Zwillings bei zuneh-
mendem Monde in die Erde, so geschieht ein Wunder:
Weil dabei die Kräfte der Natur und Vorsehung gütlich
und unbehindert' walten können."
Als die grimme Gadrahul diesen Jauberspruch ver-
nommen, lief ihr die Galle über, daß sie eines augen-
blicklichen Todes verstarb, ehe sie noch ein Wort zu
ihrem Heile hätte sprechen können.

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