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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 6
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Bombe, Walter: Zur Rethel-Gedächtnisausstellung in Düsseldorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0214

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Alfred Nethel.

Abb. <b. Am Strande von Blankenberghe. Bleistiftzeichnung von 1850.
(Düsseldorf, Frau Else Sohn-Nethel.)

hebt. Aus diesem nur das Wesentliche andeutenden und
doch bis in alle Einzelheiten künstlerisch durchgebildeten
Blatte spricht der gleiche Ausdruck politischen Fühlens,
der in dem Tod als Volksaufwiegler seine Entladung
fand.
Die schönsten Blätter aus Rethels letzten Schaffens-
jahren sind in Vitrinen ausgebreitet. Mit Teilnahme
betrachtet inan die vielen Zeichnungen, mit denen er
seine schöne junge Braut erfreute, die Skizzen aus
Blankenberghe, wo er im Herbst 1851 sehnsüchtig auf
Briefe von ihr wartete (s. Abb. 6), die Blätter für ihr
Album, die zierlichen Bleistiftzeichnungen auf zwei Oster-
eiern, die er ihr verehrte, und die vielen anderen bei
abendlichem Erzählen rasch hingestrichelten Impressionen.
Im tiefsten ergriffen aber wird man von der wuchtigen
Kraft, die seinen letzten Arbeiten entströmt. Hier ist
nichts mehr zu spüren von der ruhigen Linienschönheit
des früheren Rethel. Urkräfte ringen miteinander, und
man fühlt den Pulsschlag seines Blutes in jeder Form,
in jeder Linie. Gerade die Werke der fünfziger Jahre,
zu einer Zeit geschaffen, als er bereits schwer gemüts-
leidend war, haben diese rätselhafte Ausdrucksgewalt.
Es liegt hier das merkwürdige Phänomen vor, das
sich in unseren Tagen bei van Gogh wiederholte, bei
dem gleichfalls das künstlerische Können länger als alle
anderen psychischen Kräfte der Krankheit Widerstand
leistete. Zu diesen Arbeiten, die bisher von der Kritik
meist als „krankhaft" abgelehnt wurden, gehört das
hierneben abgebildete erste Blatt des Lutberliedcs „Ein'
feste Burg", die letzte Fassung von Blatt VI des Hanni-
balszuges, die herrliche Komposition zur „Eroiea-Sym-
phonie", der „Aristophanes", gehören einige Bibel-
Illustrationen, wie das Blatt „Glaube, Liebe, Hoffnung"
und die Szene „Jakob empfängt die Nachricht vom
Tode Josephs", und die verschiedenen Entwürfe zu der
Komposition „Christus und die Ehebrecherin", alles Blätter
jenes knorrigen, kraftvollen Spätstils. Namentlich in
dem Lutherliedc „Ein' feste Burg" (s. Abb. 4) tritt die
ganze Größe der Formensprache Rethels neben der Tiefe

seiner religiösen und weltgeschichtlichen Aussaffungöweise
hervor. Die gleiche wuchtige Art der Linienführung
zeichnet die „Prophetie des Jesaias" aus (s. Abb. 5).
Der Prophet erblickt in visionärer Verzückung den von
Seraphim bewachten Thron des Herrn Zebaoth, und
aus den Worten der Weissagung steigt dem knienden
König von Juda und seinen in den Kampf ziehenden
Kriegern neben dein Gesicht der Herrlichkeit des Herrn
die Verheißung und die Erscheinung des Emanuel über
dem zerstörten cmd verödeten Jerusalem auf. Man
glaubt die Worte der Prophetie zu vernehmen: „Die
llberschwellen bebcten von der Stimme ihres Rufens,
und das Haus ward voll Rauchs". Wir bilden das
nur zehn zu elf Zentimeter messende Blatt in starker
Vergrößerung ab, da es erst so in den richtigen Maß-
stab hineinwächst. Als letzte künstlerische Äußerung
schließt die Reihe jene oben erwähnte Erinnerungs-
skizze nach der „Aurora" Guido Renis, sein Schwanen-
gesang. Einer der letzten Gänge Rethels in Rom,
als sein Geist schon begonnen hatte sich zu um-
nachtcn, war der Besuch der Villa Rospigliosi und der
Aurora. Frau Rethel erzählt, daß ihr dieser Besuch be-
sonders erinnerlich geblieben sei, um des tiefen Eindrucks
willen, den die Aurora auf Rethel machte: „Gar nicht
trennen konnte er sich von der herrlichen Gestalt! Zu
Hause angekommen, suchte er gleich nach einem Blatt
Papier, und weil dies schon cingepackt war, ergriff er
seine in einen groben grauen Bogen (ungeschlagenen
Pinsel, wickelte sie aus, und ungeachtet einiger Olflecken
skizzierte er aus dem Gedächtnis das ganze Bild . . ."
In genialer Synthese hat Rethel hier die etwas weich-
liche Anmutnote Renis zu monumentaler Größe ge-
steigert, die weit auseinandergezogene Komposition zu-
sammengedrängt und vereinfacht, die Energie jeder Be-
wegung vervielfacht, das sanfte Gesäusel des Morgen-
windes zu einein mächtigen Brausen gewandelt, das die
Wolken auspeitscht und sie hinter dem Sonnengott zu-
sammenschlagen läßt. Alles ist gedrängt, übervoll, bis
zum Bersten mit Ausdruck gesättigt. Als es Nacht um

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