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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Widmann, Fritz: Zeichenunterrichtslehre
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0237

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Fritz Hafner.

Küste.

kann wie man will, nur nicht „Sprache". Ist es nun
Schönheit durch ihre Wahrheit, oder Schönheit durch ihre
Kraft, oder erscheint die Gesetzmäßigkeit schön durch das
Wunder, daß sie Dinge schaffen kann, wie die Blumen,
die Organismen, die Kristalle? Jedenfalls ist diese
Naturschönheit anders geartet als die Kunstschönheit.
Die Naturschönheil ist nicht im Wesen geistige Schönheit,
wie z. B. ein Dom, und ein Dom ist keine natürlich-
organische Schönheit wie ein Gebirge.
Die Malerei ist ihrem geistigen Habitus nach nun
ähnlich wie die Architektur. Sie unterscheidet sich von
der Natur und verbrüdert sich mit der Architektur. Von
dieser Grundeinstellung zur Malerei wollen wir aus-
gehen. Wenn die Architektur nicht materialisiert werden
könnte in der Baukunst, so würde sie mit ihrer Ordnung
und Gliederung als Malerei bestehen. Die Malerei ist
eine immateriell gewordene Architektur. Sie ist ebenfalls
geistige Sprache, eine geistige Wirklichkeit, keine natür-
liche Wirklichkeit. Gemalte Blumen sind geistig beredt,
nicht wirklich beredt. Ebenso ist es mit der Bildhauerei.
Der Zeichenunterricht hat die Aufgabe, in diese
geistige Sprache einzusühren und sie, die in jedem Men-
schen in irgendeinem Grad und irgendeiner Art der An-
lage schlummert, zu wecken und auszubilden.
Aufgabe der Kunstakademie wäre es, in dieser Sprache
dichten zu lehren. Aufgabe des Zeichenunterrichts der

Schule kann nur sein, sie verstehen zu lehren. Und
zwar aus doppeltem Grund und mit doppelter Wir-
kung. Einmal soll dieser Unterricht den Zögling in
Verbindung bringen mit jenem höchsten Menschentum,
jenem durch die Menschheit und die Geschichte flutenden
schöpferischen Geist, aus dem alle unbedingten und letzten
Werte der Welt stammen und der vom Glauben, der
Sehnsucht, der Spekulation gefordert, einzig und allein
im Kunstwerk oder in der Kunst zur unmittelbaren An-
schauung und sinnlichen Gewißheit kommt. D. h. also,
er soll den einzelnen eingliedern helfen in das Ganze
der Kultur, diese Kultur in ihm zum Bewußtsein bringen
und zugleich ihren Begriff aufs höchste steigern und hei-
ligen. Und zweitens soll er im Zögling selbst im höchsten
Sinn kultivierend wirken, indem er ihn eine Tätigkeit
kennen lehrt, die sich spezifisch von jeder andern von
ihm geübten unterscheidet, indem sie ohne triebhafte
Interessiertheit rein auf das Schöne gerichtet ist: ein
geistiges Abwägen, verantwortungsvolles Beginnen,
dem ein Gelingen nur beschieden sein kann aus bestän-
diger Hochspannung eines adligen und reinen Wollens.
Und diese Tätigkeit als eine ihm selbst mögliche zu er-
fahren, das wird, ganz unabhängig vom objektiven Wert
des Erfolgs, den Zögling in seinen eigenen Augen adeln
und mithelfen, ihn den Weg zu dem ihm zugänglichen
höheren Menschentum finden zu lassen. Diese beiden

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