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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Wolf, Hugo: Der Leutnant: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0278

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Der Leutnant.
seine innere Erregtheit in die Außenwelt zu ver-
legen, seine Glut sich selbst sichtbar und genußreich zu
machen.
Hedwig hielt ihre Unterlippe mit den Zähnen ge-
faßt. Zwischen den Brauen drohten wilde Furchen.
Merseburg zuckte weiter mit den Armen und sagte:
„Ein großer Reichtum liegt in diesem Tod: er war die
Krönung eines königlichen Lebens. Wir können nur
nachahmen, niemals erreichen. Wir können Helden und
Eroberer werden im kleinen Stil. Ja, Erich, der Un-
sterbliche, hat nun den Auftakt gegeben. Er hat das Zeug
eines Napoleon in sich gehabt — zweifellos. Er nahm den
Säbel eines gefallenen Offiziers und führte an. Auch
Napoleon hat als ein kleiner Leutnant begonnen. Erich
wird . . . o mein Gott, jetzt erst bemerke ich, wie Ihre
Augen umschattet sind, und muß denken, daß alles, was
ich sage, Ihre Schmerzen nicht eindämmt! Verzeihen
Sie!" Er wollte Hedwigs Hand ergreifen, beugte sich zu
einem Handkuß nieder.
Aber Hedwig wickelte ihre Hände in den schwarzen
Schal und sagte: „Ich bin so müde, guter Herr . . ."
Der Kritiker wurde blaß: „Ich werde Erichs Ruhm in
alle Welt posaunen; Sie sollen sehen, was mir Erich
bedeutet! Ich werde eine Trauerfeier veranstalten, aus
seinen Werken lesen; natürlich muß ich nun auf ein
großes Ziel verzichten, denn wie sehr, o wie sehr verblaßt
meine Person vor dem großen Dahingeschiedenen —
aber Ihr Herz soll mir wenigstens Dank wissen,
Hedwig . . ." Nun streckte er männlich seine Rechte vor.
Hedwig legte die ihre zaghaft hin und zog sie gleich
wieder zurück, um sie auf den Briefbeschwerer nieder-
zusenken, der sich ganz eisig anfühlte.
Während Merseburg ging, pendelte auf seiner Brust
das Monokel. Er hatte dieses Mal vergessen, sich dessen
zu bedienen.
Hedwig setzte sich an den Schreibtisch und tauchte die
Feder ein. Aber was wollte sie? Eugen Lerch schreiben?
... Wie kalt war doch dieser Winter! Durch die Fenster-
ritzen schlich die Kälte. Da starb wohl mancherlei, das
sich noch zur Sommerszeit üppig gebärdet und mit süßen
Farben geflunkert hatte . . . Wenn sie bedachte, daß
man Erich als einen Halbgott pries und sie jene Frau
war, die seine letzten Jahre mit ihm geteilt und den Glanz
seines Wesens so lange genossen hatte, durchfuhr es sie
wie ein ehrfürchtiger Schauder. Ja, ein wenig durfte sie
wohl stolz auf ihn sein, der den Säbel erhoben und die
Soldaten geführt hatte wie ein richtiger Offizier . . .
Trotzdem war sie allein, von ihm verlassen. Und dies
konnte sie nicht verstehen: daß er fortgegangen war von
ihr wie ein Feind.
Es war schon dunkel im Zimmer von der frühen
Dämmerung und Hedwig merkte nicht, daß jemand bei
ihr eingetreten war. Da wurde ein Stuhl gerückt und
Hedwig erschrak.
Waldorf, der junge Dichter, bat um Entschuldigung,
wenn er gestört haben sollte. Er setzte sich schnell (weil
er fürchtete, in voller Größe stehend einen etwa auf-
steigenden Mißmut der schönen Dame zum Überfließen
zu bringen). Darum duckte er sich und suchte nur ver-
stohlen mit dem linken Auge den Anblick ihres bewunderns-
würdigen Gesichts zu erhaschen.

Aber auch Hedwig beugte den Kopf. Hinter ihr ragte
viereckig und grau der Ausschnitt des Fensters. Doch
plötzlich erblühte dort — mitten im Frostbelag — eine
gelbe Kugel, der Widerschein einer auf der Straße ent-
zündeten Laterne.
„Ich bedeute im Weltall so wenig wie Sie," sagte
Waldorf. „Nur der Strom der Liebe reißt uns Kiesel-
gestein oder Urgranit langsam in das duftende Meer der
Ereignisse."
Hedwig gab den Schal von ihrem Hals und legte ihn
hinter sich.
„Erichs Tod ist ein Symbol: er starb, um in der
tieferen Liebe unserer Herzen aufzuerstehen," sagte Wal-
dorf. Er sprach dies alles, wie etwas, das er vorbereitet
und sich öfters vorgesagt hatte — weich und getragen.
Hedwig aber zog die Kämme aus ihrem Haar und
ließ es auf die Schultern fallen.
Waldorf sagte: „Keiner von uns wird jemals das
Mysterium dieses Todes ganz erfassen. Wir können nur
um Auslegungen bemüht sein, sagen: Erich Thumann
hatte den Erlöserwillen."
Hedwig schien von einer Idee gepackr zu sein — sie
war unruhig, trat vor Waldorf hin, legte ihm die Hand
auf die Schulter: „Sie sind Dichter und sollen doch die
Ursachen erkennen, die unbewußt im Menschen wirken.
Erklären Sie mir: warum ist er in den Tod gegangen?
Warum hat er alles vergessen, was war — uns. Sie,
mich . . .?"
„Er starb mit Ihrem Namen auf den Lippen."
Hedwig grub Waldorf ihre Fingernägel in die Schul-
ter: „Wer sagt das?"
„Einer, der lebendig zurückgekommen ist."
Da stöhnte Hedwig. Und stöhnte noch einmal.
Waldorf suchte nach dem Taster zum elektrischen Licht.
Und drehte den Knopf. Und wie er die große, schöne,
schlanke Frau so mit steinernem Antlitz unter dem hoch-
flammenden Messingluster stehen sah, so tief eingewühlt
in ihrem Schmerz und regungslos, kniete er nieder und
küßte den Saum ihres Kleides. Dann verschwand er
lautlos.
Hedwig arbeitete sich durch einen rauchendenTrümmer-
haufen von Gefühlen und Gedanken. Sie vergaß, daß
sie lebte, daß sie gewesen war, sie rannte nur als ein
Phantom durch die Finsternis, dem roten Faden nach,
der da glühte, dieser winzigen Spur Blutes, die nach dem
Herzen geleitete, das sie suchte. Und plötzlich langte sie
an und ihr Gesicht wurde purpurn vor gewaltsamer
Freude, und ihre Finger, die an den Leib gepreßt lagen,
krümmten sich leise nach aufwärts, als wühlten sie sich
segnend in das Haar eines, der vor ihr kniete. Sie
flüsterte: „Bis zum letzten Blutstropfen . . ." Und ein
sanftes Lächeln führte ihre gefesselten, starren Lippen
allmählich in die Freiheit. Ihr Kopf nickte erkennend.
Als nach einer Weile die greise Mutter des Privat-
dozenten Lerch das Zimmer betrat, fand sie eine Auf-
rechte, Starke, in sich Beruhigte. Hedwig küßte der alten
Frau die Hand: „Sie kommen zu spät, um mich zu trösten.
Wundern Sie sich nicht über meine sieghafte Freude,
gnädige Frau! Würden Sie nicht auch jubeln, wenn Sie
wüßten, daß eine ganze Welt sich durch Nacht und Dunkel
müht und nur Sie besitzen das alleinseligmachende Licht?"

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