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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Oswald, Josef: Gustav Freytag
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0280

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Gustav Freytag.
sich so abhold zeigen wie die Freytagschen, die nur der
Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, unter fremde
Völker gehen — etwa als Kreuzfahrer — seelenfroh,
wenn sie wieder daheim sind.
Aus ganz bestimmten geschichtlichen Verhältnissen
erwuchs sein Dichterruhm, untrennbar von der Uber-
gangsepoche, da Deutschland sich der Schwelle seiner
langersehnten Einheit und Macht näherte und sie betrat.
In den „Briefen an seine Gattin" heißt es (1888):
„Bedürfnis und Sehnsucht einer Zeit richtig und schöpfe-
risch voraus zu empfinden ist die beste Begabung eines
Schaffenden. Er kann nicht lebendig gestalten, was noch
nicht geworden ist, aber er soll verstehen, was seine Nation
gebraucht, um höher zu wachsen." Dies war in hohem
Grade bei ihm der Fall. Gleichviel wie man rein poetisch
seine Werke einschätzen mag, unbestritten bleibt, wenn er
in jenen vertraulichen und aufschlußreichen Dokumenten
sich als einen, „der in seinem Volke leben wird", bezeichnet.
Wie entfaltete sich nun dies persönliche und literarische
Wesen in seinen wichtigsten Momenten? Glücksfälle,
die ihm allerdings reichlich zustatten kamen, hätten allein
nicht halb so viel vermocht ohne seine glückliche Natur-
anlage, die, durch Erziehung gefördert, Selbsterkenntnis
und Kritik zu Regulatoren seines Schaffens machte.
Mit der Freude des Anfängers über formales Gelingen
und geselligen Beifall hatte er den üblichen Gedichtband
veröffentlicht, doch da Originalbegabung fehlte, beschloß
er, dergleichen nur noch für den Hausbedarf zu schreiben.
Jetzt zielte sein ganzes Streben auf die Eroberung des
Theaters. Er studierte die bühnengerechten Franzosen,
pflog Umgang mit Mimen, verschaffte sich Zutritt zu
den Proben, Einlaß in alle Winkel der Kulissenwelt,
bis jegliches, was zum Handwerk gehört, ihm vertraut
war. In der Tat rückten die beiden Schauspiele „Die
Valentine" und „Graf Waldemar" die Laufbahn eines
Theaterdichters par excellence in erreichbare Nähe; —
waren sie doch echte Zeitkinder, einer wirksamen Technik
so wenig ermangelnd als interessanter und dankbarer
Rollen. Indessen warf das Sturmjahr 1848 seine
Dichterpläne über den Haufen. Während selbst in den
Schreckenstagen Hebbel in Wien an „Herodes und
Mariamne" weiterschuf und dazu bemerkt, das Werk sei
seine einzige Rettung gewesen, es habe ihm mit Frau
und Kind, für die er gezittert, in einer Linie gestanden,
wußte von einer solchen dämonischen Besessenheit des
Poeten Freytag nichts. Aber auch nichts von der Klugheit
des flachen, poesieleeren Fabrikanten, der sich gesagt hätte:
Nach wie vor werden Stücke, wie ich sie zu machen verstehe,
ziehen. Bei ihm brach einfach der nackte Staatsbürger-
gedanke durch. Daß die Zeit Politiker und nicht Dichter
fordere, entschied. Wenn er also zur Journalistik über-
ging, war es doch nicht wie ein Kleiderwechsel nach der
Mode, vielmehr fand er endlich den rechten bequemen und
dauerhaften Werktagsrock, indes die Poesie zum Sonn-
tagsstaat wurde, ähnlich wie in seiner Akademikerzeit.
Dadurch entstand eine neue Einheit, im Verein mit der
wissenschaftlich-poetischen eine Dreiheit, worin seine
Geistesnatur zur Vollendung reifte. Es ist bedeutsam,
daß unter den Helden der nun anhebenden Meisterwerke
am Anfang und Ende der Zeitungsschreiber, in der Mitte
der Gelehrte erscheint.

Im Ehebunde mit einer geschiedenen Gräfin lebte
Freytag in behaglichen Verhältnissen. Er hatte es nicht
nötig, gegen sichern Sold im Dienste einer Tageszeitung
die schöpferische Kraft zu zermürben. Doch als er mit
Julian Schmidt Teilhaber am Verlag der „Grenzboten"
geworden war, blieb er über zwei Jahrzehnte in leitender
Stellung. Er fand darin, was er wünschte: Selbständig-
keit und den Zeitbegebenheiten gegenüber die vorneh-
mere Distanz einer Wochenschrift, zudem gleichmäßige
Beschäftigung mit Fragen der Politik und Literatur.
Freilich auf Rosen gebettet war auch ein Redakteur
seines Schlages damals nicht. Das bewirkte schon sein
Standpunkt zwischen Demagogen und Reaktionären.
Gleichwohl war er mit Leib und Seele Journalist,
Schildträger Preußens wider die großdeutsche Partei.
Mit seinem gemäßigten Liberalismus stimmte literarisch
ein gemäßigter Realismus überein, den er sowohl gegen
die Nachzüglerschaft der Romantik ausspielte als auch
gegen die Jungdeutschen. Ihnen verzieh er insbesondere
nicht, daß sie Frankreich gern als Vorbild, Paris als
Kulturmekka priesen. Die Ferne, wohin er seine Lands-
leute führte, war die deutsche Vergangenheit. Aus
Journalskizzen entstanden allmählich seine berühmten
„Bilder", die reichstes Wissen in einer so diskret dichteri-
schen Behandlung boten, daß sie ebenso, wie das Herz
des Volkes, die Hochachtung der Zünftigen gewannen,
mochten diese Kritiker das Historische in ausgeprägterer
Kunstform — Roman und Novelle — ablehnen oder nicht.
Als er in Siebleben bei Gotha einen Sommersitz
erworben hatte, nahm sein Dasein die schöne Zweiteilung
an, die ihn nur im Winter an den Redaktionstisch fesselte.
Sobald der Frühling lockte und seine geliebten Baum-
sänger schlugen, zog er aufs Land. „Denn das ist eines
deutschen Dichters Reich, wo die waltende Natur sich
schaffend regt." Hier nahte auch ihm die Muse wieder.
Beobachtungen und Erfahrungen, wie sie der neue
Beruf in Fülle geliefert hatte, schufen die realen Grund-
lagen, Zeitkolorit und Kostüm einer Komödie, deren
Stimmung der „lustigen, leichtblütigen, der gescheiten
und zartfühlenden" Schlesiernatur entsprang, die schon
in der „Brautfahrt" bemerkbar gewesen. Das Beste tat
sein individueller Humor. Mit der Frohlaune, worin er
Bolz und Bellmaus, Schmock und die Übrigen schuf,
kam etwas Unverwüstliches hinein, das sie am Leben
erhielt, nachdem längst ihr soziales Wesen und Gebaren
altfränkisch erschienen war. So gehören die „Journa-
listen" dem schwach bevölkerten Elysium unseres klassi-
schen Lustspieles an. Gewiß überragt sie turmhoch die
im Zeitlosen gewurzelte urwüchsigere Komik des „Zer-
brochenen Krugs". Eins aber haben sie vor dem Ein-
akterkoloß voraus, daß dem Dichter spielend eine Form
gelang, die von vornherein, obne Bearbeiterkünste,
dem Erfolg entgegenkam. Einmal auf dem einen Kulm
der dramatischen Poesie, mußte es ihn reizen, auch den
tragischen zu bezwingen. Indessen vergingen Jahre,
es grünte ihm schon der Lorbeer des Erzählers, bevor
die „Fabier" erschienen. Es war ein Fehlschlag. Drama-
tisches schrieb er nicht mehr. Nur noch seine Einblicke
in die „Technik des Dramas" faßte er handlich zusammen.
Unmittelbar an das Lustspiel reiht sich der Haupt-
treffer unter seinen Romanen — „Soll und Haben" —

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