Mantegna.
und ihn unserm in dieser Zeit heiliger Opfer geweihten
und vertieften Empfinden näher bringt als die meisten
seiner Volks- und Zeitgenossen.
Mantegna hat die Zeit herbeiführen helfen, die wir
unter dem Namen Renaissance zusammenfassen. Wäre
sein Geist und der seines größeren Geistesverwandten
Michelangelo in jener großen Bewegung der Geister der
herrschende gewesen, so würde die wunderbar reiche Zeit
nicht das erschütternde Bild sittlicher Auflösung zeigen,
das uns Gobineau unter der glänzenden, in allen Farben
schimmernden Decke schauen läßt. Die Bewunderung
der Antike, die ihm geholfen hat, sich seine künstlerische
Sprache zu schaffen und die doch auch ihm ein Hindernis
gewesen ist, sich ganz auszusprechen, sank später, da der
sittliche Ernst fehlte, der bei Mantegna das starke Gegen-
gewicht bildete, zu einer Abhängigkeit von jener ver-
gangenen Welt hinab, nicht der Welt des Sophokles und
Plato, des Cato und Tazitus, sondern der Welt der
schönen Linien jenseits von gut und böse. Damit mußte
aber die Entwicklung stocken, denn ohne sittliche Idee ist
ja kein Fortschritt möglich.
Die ganze Kunst Mantegnas bezeugt seine begeisterte
Liebe zur Antike, sein unablässiges eifriges Studium
ihrer Denkmäler. Im Triumphzug Cäsars hat er ihr
ein Denkmal gesetzt. Aber in der Art, wie er die Antike
in sich selbst wiedergeboren hat, offenbart sich seine Per-
sönlichkeit. Die Form ist bei einem Genie, das nicht bloß
nachahmt, sondern umgestaltet, aus Altem Neues schafft,
immer psychologisch bedingt. Was ihn an der Antike
anzieht, ist die strenge, plastische Form. Darin fühlt er
etwas Wesensverwandtes.
Es geht seiner Kunst nicht die Anmut ab. Er ist auch
ein Meister in der Bildung von Gestalten, die jugendliche
Geschmeidigkeit und Anmut mit Kraft vereinigen. Bei-
spiele dafür bieten sein St. Georg, die Göttinnen auf dem
Parnaßbild, die herbe Zartheit mancher Madonna, seine
Puttenfiguren und Werke ähnlicher Art. Aber sein Ge-
fühl für die Harmonie der Formen, die Lust, sich in der
Welt des sinnlich Schönen einzubürgern, kommt immer
wieder in Widerstreit mit seiner starken, leidenschaftlichen
Seele. Er ist eine zu tiefe Natur, als daß er sich in der
Welt des schönen Scheins auf die Dauer heimisch fühlen,
und sein Inneres ist zu vielgestaltig, als daß es sich
in einem Wohllaut von Linien und Farben ausleben
könnte. Sein Bestes gibt er doch, wo er aus der
Tiefe seiner Seele schöpft und die Kraft der Empfin-
dung seinen Gestalten jene höhere Schönheit verleiht,
die den Kunstgenuß in ein inneres Erlebnis verwan-
deln kann.
Ihm ist der Menschenkörper wohl auch rein an und
für sich wert, in seinem wunderbaren Bau, dem Zu-
sammenhang seiner Glieder und dem Spiele der Muskeln
nachgebildet zu werden, und in seinen Kupferstichen an-
tiken Inhalts vertieft er sich mit leidenschaftlichem Ernst
in diese Aufgabe. Aber wichtiger ist er ihm als Mittel,
das Leben der Seele nachzubilden. So erfüllt er seine
Gestalten mit dem stärksten inneren Leben und schließt
es dann ein in einen Körper, der wie aus Stein ge-
meißelt i . Das ist das Merkmal seiner Kunst, starkes
inneres Leben in scharfer, strenger, plastischer Form. —
Solcherart sind seine Bildnisse. Besonders eindrucksvoll
ist die Darstellung der Hofgesellschaft der Gonzaga in
der Camera degli Sposi zu Mantua, einer Sammlung
höchst lebendiger und persönlich erfaßter Gestalten, die
„mitten im höchst gesteigerten Leben versteinert zu sein
erscheinen". Dieselbe Kunst und Größe der Gestaltung
bei tiefem seelischem Gehalt zeigen seine Fresken aus
dem Leben des Jakobus in den Eremitani zu Padua.
Sein Drang nach wahrheitsgetreuer Lebens- und
Seelenschilderung ist aber so stark, daß er mit dem
Streben nach einem festen klaren Stil in Streit gerät.
Die strenge fast starre Form hält den starken Gehalt oft
nur mühsam zusammen. Und da, wo er sein Innerstes
enthüllt und sein Gefühl am stärksten aufflammt, in den
religiösen Kupferstichen, ist die spröde Form im Feuer
leidenschaftlichen Empfindens geborsten und dieses hat
sich den ihm entsprechenden Ausdruck gebildet. Das be-
deutet den Sieg des Geistes über die bloße Form, ent-
sprechend dem Sieg, den im Menschen Mantegna die
Religion über die Anbetung der Schönheit errungen. Die
Kunst ist nur noch Ausdruck tiefster seelischer Erlebnisse.
Der aufreibende Kampf, den seine stolze reizbare Seele
mit den Störungen und Hemmungen ihres Lebens zu
führen hatte, die Enttäuschungen des hochstrebenden
Geistes, der Schmerz des ernsten Menschen über die Halt-
losigkeit seiner Zeit führte ihn immer mehr nach innen zu
den verborgenen Quellen der Kunst. Er muß zu dem
kleinen Kreise von Männern gerechnet werden, die sich
um Savonarola scharen, und deren Wirken der Kampf
des religiös-sittlichen Ernstes gegen den Verfall des
Glaubens und der Sitten darstellt.
Am nächsten steht ihm unter den Künstlern Botticelli,
der ihm auch in der Herbheit der Form verwandt ist.
Aber Mantegna ist die stärkere Natur; und wenn auch
jener mit dem schwermütigen Zauber seiner Madonnen
auf uns Deutsche zurzeit den tieferen Eindruck gemacht
hat, so werden wir jetzt reif sein, auf die Sprache der
Kraft zu hören, die aus unseres Meisters Werken so ein-
dringlich zu uns redet.
Ein Abgrund trennt seine Kunst von der der „Stillen
im Lande", die, der Weltwirklichkeit entrückt, sich an-
betend in das Göttliche versenken, von der Poesie der
Kölner Schule, der naiven Kindlichkeit Memlings, der
stillen Frömmigkeit Fiesoles, der gesammelten Ruhe
Bellinis, der träumerischen Sonntagsnachmittagsstim-
mung Peruginos. Auch er hat eine Madonna im Rosen-
hag gemalt. Aber welch ein Unterschied zwischen dem
schweren Ernst seines Bildes und der holden Poesie des
Lochnerschen Idylls! Ebenso unmöglich ist es ihm, die
religiösen Gedanken in das Festgewand Ghirlandajos oder
gar der Venezianer zu hüllen. Ihm ist das religiöse
Leben ein Leben im Kampf, ein Trauerspiel. Eine
schwermütig leidenschaftliche Kampfesnatur spricht aus
dem gewaltigen durchfurchten Bronzekopf seines Grab-
denkmals mit dem furchtbaren Ernst der nach innen
schauenden Augen. Seine Kraft gleicht nicht der eines
Rubens, die einem Uberschuß an Säften entquillt. Seine
Kunst zeugt vielmehr von dem Kampf einer starken
tiefen Persönlichkeit um ihre Selbstbehauptung. Und er
erreicht sie im Ringen um die höchste Kraft. Je älter
er wird, desto mehr tritt das hervor, desto mehr siegt in
ihm das Christentum über die Antike.
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und ihn unserm in dieser Zeit heiliger Opfer geweihten
und vertieften Empfinden näher bringt als die meisten
seiner Volks- und Zeitgenossen.
Mantegna hat die Zeit herbeiführen helfen, die wir
unter dem Namen Renaissance zusammenfassen. Wäre
sein Geist und der seines größeren Geistesverwandten
Michelangelo in jener großen Bewegung der Geister der
herrschende gewesen, so würde die wunderbar reiche Zeit
nicht das erschütternde Bild sittlicher Auflösung zeigen,
das uns Gobineau unter der glänzenden, in allen Farben
schimmernden Decke schauen läßt. Die Bewunderung
der Antike, die ihm geholfen hat, sich seine künstlerische
Sprache zu schaffen und die doch auch ihm ein Hindernis
gewesen ist, sich ganz auszusprechen, sank später, da der
sittliche Ernst fehlte, der bei Mantegna das starke Gegen-
gewicht bildete, zu einer Abhängigkeit von jener ver-
gangenen Welt hinab, nicht der Welt des Sophokles und
Plato, des Cato und Tazitus, sondern der Welt der
schönen Linien jenseits von gut und böse. Damit mußte
aber die Entwicklung stocken, denn ohne sittliche Idee ist
ja kein Fortschritt möglich.
Die ganze Kunst Mantegnas bezeugt seine begeisterte
Liebe zur Antike, sein unablässiges eifriges Studium
ihrer Denkmäler. Im Triumphzug Cäsars hat er ihr
ein Denkmal gesetzt. Aber in der Art, wie er die Antike
in sich selbst wiedergeboren hat, offenbart sich seine Per-
sönlichkeit. Die Form ist bei einem Genie, das nicht bloß
nachahmt, sondern umgestaltet, aus Altem Neues schafft,
immer psychologisch bedingt. Was ihn an der Antike
anzieht, ist die strenge, plastische Form. Darin fühlt er
etwas Wesensverwandtes.
Es geht seiner Kunst nicht die Anmut ab. Er ist auch
ein Meister in der Bildung von Gestalten, die jugendliche
Geschmeidigkeit und Anmut mit Kraft vereinigen. Bei-
spiele dafür bieten sein St. Georg, die Göttinnen auf dem
Parnaßbild, die herbe Zartheit mancher Madonna, seine
Puttenfiguren und Werke ähnlicher Art. Aber sein Ge-
fühl für die Harmonie der Formen, die Lust, sich in der
Welt des sinnlich Schönen einzubürgern, kommt immer
wieder in Widerstreit mit seiner starken, leidenschaftlichen
Seele. Er ist eine zu tiefe Natur, als daß er sich in der
Welt des schönen Scheins auf die Dauer heimisch fühlen,
und sein Inneres ist zu vielgestaltig, als daß es sich
in einem Wohllaut von Linien und Farben ausleben
könnte. Sein Bestes gibt er doch, wo er aus der
Tiefe seiner Seele schöpft und die Kraft der Empfin-
dung seinen Gestalten jene höhere Schönheit verleiht,
die den Kunstgenuß in ein inneres Erlebnis verwan-
deln kann.
Ihm ist der Menschenkörper wohl auch rein an und
für sich wert, in seinem wunderbaren Bau, dem Zu-
sammenhang seiner Glieder und dem Spiele der Muskeln
nachgebildet zu werden, und in seinen Kupferstichen an-
tiken Inhalts vertieft er sich mit leidenschaftlichem Ernst
in diese Aufgabe. Aber wichtiger ist er ihm als Mittel,
das Leben der Seele nachzubilden. So erfüllt er seine
Gestalten mit dem stärksten inneren Leben und schließt
es dann ein in einen Körper, der wie aus Stein ge-
meißelt i . Das ist das Merkmal seiner Kunst, starkes
inneres Leben in scharfer, strenger, plastischer Form. —
Solcherart sind seine Bildnisse. Besonders eindrucksvoll
ist die Darstellung der Hofgesellschaft der Gonzaga in
der Camera degli Sposi zu Mantua, einer Sammlung
höchst lebendiger und persönlich erfaßter Gestalten, die
„mitten im höchst gesteigerten Leben versteinert zu sein
erscheinen". Dieselbe Kunst und Größe der Gestaltung
bei tiefem seelischem Gehalt zeigen seine Fresken aus
dem Leben des Jakobus in den Eremitani zu Padua.
Sein Drang nach wahrheitsgetreuer Lebens- und
Seelenschilderung ist aber so stark, daß er mit dem
Streben nach einem festen klaren Stil in Streit gerät.
Die strenge fast starre Form hält den starken Gehalt oft
nur mühsam zusammen. Und da, wo er sein Innerstes
enthüllt und sein Gefühl am stärksten aufflammt, in den
religiösen Kupferstichen, ist die spröde Form im Feuer
leidenschaftlichen Empfindens geborsten und dieses hat
sich den ihm entsprechenden Ausdruck gebildet. Das be-
deutet den Sieg des Geistes über die bloße Form, ent-
sprechend dem Sieg, den im Menschen Mantegna die
Religion über die Anbetung der Schönheit errungen. Die
Kunst ist nur noch Ausdruck tiefster seelischer Erlebnisse.
Der aufreibende Kampf, den seine stolze reizbare Seele
mit den Störungen und Hemmungen ihres Lebens zu
führen hatte, die Enttäuschungen des hochstrebenden
Geistes, der Schmerz des ernsten Menschen über die Halt-
losigkeit seiner Zeit führte ihn immer mehr nach innen zu
den verborgenen Quellen der Kunst. Er muß zu dem
kleinen Kreise von Männern gerechnet werden, die sich
um Savonarola scharen, und deren Wirken der Kampf
des religiös-sittlichen Ernstes gegen den Verfall des
Glaubens und der Sitten darstellt.
Am nächsten steht ihm unter den Künstlern Botticelli,
der ihm auch in der Herbheit der Form verwandt ist.
Aber Mantegna ist die stärkere Natur; und wenn auch
jener mit dem schwermütigen Zauber seiner Madonnen
auf uns Deutsche zurzeit den tieferen Eindruck gemacht
hat, so werden wir jetzt reif sein, auf die Sprache der
Kraft zu hören, die aus unseres Meisters Werken so ein-
dringlich zu uns redet.
Ein Abgrund trennt seine Kunst von der der „Stillen
im Lande", die, der Weltwirklichkeit entrückt, sich an-
betend in das Göttliche versenken, von der Poesie der
Kölner Schule, der naiven Kindlichkeit Memlings, der
stillen Frömmigkeit Fiesoles, der gesammelten Ruhe
Bellinis, der träumerischen Sonntagsnachmittagsstim-
mung Peruginos. Auch er hat eine Madonna im Rosen-
hag gemalt. Aber welch ein Unterschied zwischen dem
schweren Ernst seines Bildes und der holden Poesie des
Lochnerschen Idylls! Ebenso unmöglich ist es ihm, die
religiösen Gedanken in das Festgewand Ghirlandajos oder
gar der Venezianer zu hüllen. Ihm ist das religiöse
Leben ein Leben im Kampf, ein Trauerspiel. Eine
schwermütig leidenschaftliche Kampfesnatur spricht aus
dem gewaltigen durchfurchten Bronzekopf seines Grab-
denkmals mit dem furchtbaren Ernst der nach innen
schauenden Augen. Seine Kraft gleicht nicht der eines
Rubens, die einem Uberschuß an Säften entquillt. Seine
Kunst zeugt vielmehr von dem Kampf einer starken
tiefen Persönlichkeit um ihre Selbstbehauptung. Und er
erreicht sie im Ringen um die höchste Kraft. Je älter
er wird, desto mehr tritt das hervor, desto mehr siegt in
ihm das Christentum über die Antike.
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