I- V. Cissarz.
Abb. 2. Skizze zum Hochzeitsmahl im Stuttgarter Ratskeller.
bogenförmige Giebelfelder. Das eine davon hat Cissarz in letzter Zeit bemalt. Die Aufgabe wurde so gelöst, daß der
weiße Wandgrund von drei freischwebenden Farbenflachen belebt wird. Die mittlere dieser Flächen geht von einem
liegenden Rechteck aus und ist naturgemäß die beherrschende, während gegen die Spitzen der Wandfläche kleinere
Farbenflächen das Mittelstück flankieren. Schon diese Angaben lassen erkennen, daß der Künstler hier streng architek-
tonisch vorgegangen ist. Die Malflächen sind freischwebend und doch innig mit den konstruktiven Funktionen des Giebel-
feldes, der im Mittel verankerten Last, die sich seitwärts abstützt, verwachsen. Diesen Flächenrhythmus hat dann Cissarz
fehr schön im Linearrhythmus der Bildkompositionen fortgesetzt. Die Mittelfläche wurde dreiachsig mit Figuren ausge-
bildet, so das Liegende der Grundfläche wieder aufhebend, eine Absicht, die fernerhin durch verschiedene, vom Gewölbe-
mittel ausgehende Diagonallinien unterstützt wird. Die fest ruhende Grundlinie des Bildes, eine stilisierte Erdscholle,
wurde mit kleinen Figuren belastet, damit den vielen Aufrechten eine einzige, starke Wagrechte gegenüberstehe. So
erscheint das Gesetz des Stützens und Tragens gut erfüllt und auch die bildmäßige Ökonomie wurde nicht überschritten.
Das Bild ist wohl ziemlich reich an Figürlichem und Gegenständlichem, aber alle Einzelheiten lassen sich auf ihren kom-
positionellen Sinn und auf die konstruktive Bestimmung zurückführen. Die großen Figuren verkörpern Natur, Jagd
und Ackerbau, und als freie, farbige Silhouetten gegen die Wand gemalt, legen sie auch schönes Zeugnis von der rein
malerischen Kultur des Künstlers ab. In gleicher Weise lassen sich die beiden Seitenfelder ergründen. Unnötig ist es
wohl, zu sagen, daß hier gegen die Spitzen des Grundfeldes nur Halbliegende Figuren in Betracht kommen durften.
Sie stellen Fischerei und Weinbau dar und sind zeichnerisch wie malerisch dem Mittelbild innig angegliedert. Dieses
Zeichnerische, und bei innerer Vorstellung auch das Malerische, lassen sich schön an zwei hier wiedergegebenen Abbil-
dungen verfolgen. Die Aufgabe mag eine ähnliche wie in Wiesbaden gewesen sein. Das große Mittelbild (Tafel 1)
geht allerdings von einem hochgestellten Rechteck aus, das sich nach oben außerdem bereits der Giebelfeldlinie
anschließt. Ganz rechteckmäßig ist jedoch das kleine Bild (Abb. 3) geblieben. Sehr wirksam sind hier die statischen Diago-
nalen dargestcllt. Die Figur, die Wehrkraft darstellend, verläuft in der Richtung der abstützenden Linie vom Gewölbe-
scheitel zum Auflager, während der Adler als Betonung eines diagonal aufregenden Bogenhalbmessers zu betrachten
ist. Im Hauptbild läßt sich dann eine pyramidale Figurenkomposition verfolgen, die jedoch nur bei einem ziemlich hohen
Feld wird angebracht erscheinen können, da sie bei einem flachen Bogen dem Gewicht des statischen Mittels nicht ent-
sprechen würde. Das Streben, den Blick auf die Mittelfigur, die Fortuna, zu verankern, ist hier besonders gelungen,
die Seitensiguren (Gewerbe und Merkur) wiederum verlieren an sich nicht, sie sind aber doch zu sehr der Mittelfigur
untertan, um kompositionell selbständig wirken zu können. Geradezu glänzend ist die Art zu nennen, wie Cissarz die
kleinen Einzelheiten, Figürchen, Handwerkszeuge, Brieftäubchen usw., verteilt.
Was nun zunächst das Zeichnerische angeht, so läßt sich das Streben nach einer malerischen Kontur nicht verschweigen.
Dies mag in gewisser Hinsicht gefährlich erscheinen, denn das malerische Zeichnen wird im allgemeinen als Vorbote
einer Manier angesehen. Bei Cissarz dürften jedoch diese Befürchtungen nicht zutreffen. Trotz der Lockerung der Kontur
bleibt sie fest, sie ist vielleicht in der Wirkung nur breiter, verschwächt aber auch so nicht die solide Grundform. Um zu
erkennen, ein wie gewissenhafter Zeichner Cissarz ist, braucht man nur seine Mappen zu öffnen, wo Hunderte von Studien
und Skizzen verstaut sind. Man wird dann bald erkennen, daß der Künstler rein bewußt seine neuesten dekorativen
Malereien in die breiten, mit Verve hingeworfenen Konturen fetzt, während sich in zahlreichen Einzelblättern eine so
peinliche zeichnerische Kultur verbirgt, wie etwa in der Graphitzeichnung des Kopfes (Tafel 2). Und der Akt in Abb. 12
ist eine wahre Oase fein gesehener Linien, die schon etwas gelockert sind, um dadurch das Körperliche mitwirken zu
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