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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 10/11
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Joest, Elisabeth: Jens Palmström: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0366

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Jens Palmström.

Sie bog in eine Allee ein und überschritt eine Brücke,
deren Pfeiler einen schwarzen Schatten in das Wasser
legten. Am jenseitigen Ufer nahm sie ein Automobil.
Sie zog ein großes dunkelgelbes Kuvert aus der Tasche
und gab dem Chauffeur die Adresse an. Eine Sekunde
lang erinnerte ihr Gesicht an Jens Palmström, die in
ihrer schmächtigen Schelmischkeit zwischen Kissen und
zerwühlten Decken saß. Aber dann gewann das Profil
wieder Oberhand und zeichnete sich kühl und scharf in
den weichen Frühlingstag.
Das Auto fuhr über Wege und Brücken, an einem
erwachenden Park vorbei, aus dem das erste, noch etwas
fröstelnde Jubeln der Kinder klang.
Jens Palmström kam wieder ganz nahe an die
Gegend, in der sie wohnte. Aber mit der Sicherheit
einer Dame enlstieg sie dem Auto, zahlte und schritt
durch den fremden Vorgarten. Ein Mann stand da
und deckte Beete auf. Den fragte sie.
„Wohnt im Gartenhaus," gab er zur Antwort
und bückte sich tiefer. Von! Jens trat ins Gartenhaus.
Sie studierte die Namen an den verschiedenen Türen
und stieg immer höher hinauf. Da wohnte ein Korvetten-
kapitän.
Sie fühlte sich müde und merkwürdig. Einen hastigen
Augenblick tauchte ihr Gesicht in eine empfindsame Kind-
lichkeit. Dann war sie an der vierten Etage. Da fand
sie ihn endlich, den sie suchte. Es stand groß und heraus-
fordernd da:
„Samuel S. Palmström."
Jens' zwanzigjähriges Herz hüpfte vor Neugier im
ganzen Körper. Aber die Frau von dreißig Jahren zog
mechanisch an den Klingelzug und holte das dunkelgelbe
Kuvert hervor.
Es war so still, nachdem sie geklingelt hatte. Nur
das Herz hüpfte, und die Hand umspannte mit kühler
Festigkeit den Brief.
Niemand kam um zu öffnen. Von den Höfen schallte
der idiotische Rhythmus teppichklopfender Dienstboten.
Die kleine Jens weinte, Jens Palmström aber
runzelte nur leicht die Brauen. Dann klingelte sie zum
zweiten Male.
Ganz in der Tiefe der Wohnung regte sich etwas.
Ein Schritt schlürfte über den Teppich und knickte oft,
wie von Schwäche übermannt, ein.
„Hier ist ein Brief, der an meine Adresse kam und
zweifellos Ihnen gehört, mein Herr," wollte sie sagen,
wenn man öffnete. Aber sie sollte nicht dazu kömmen,
denn die Tür wurde eben mit einem kraftlosen Ruck
aufgeklinkt, und ein blasser Mensch im Nachthemd stand
vor ihr auf schlotternden Knien.
„Verzeihung, meine Dame" .. . und sein Gesicht
wurde grau . .. „ich erwarte den Arzt und nahm an,
daß er es sei."
Seine Zahne knirschten vor Frost. Er schien für das
Peinliche der Situation genügend Abbitte geleistet zu
haben, denn er machte eine schwache Wendung. Die
kleine Jens wich verängstigt drei Schritte zurück und
faßte nach dem Geländer. Jens Palmström aber sagte,
mit einem merkwürdigen Schwung in der Feinheit
ihres Profils: „Legen Sie sich sofort hin, ich werde hier-
bleiben, bis der Arzt kommt!"

Der blasse Mensch humpelte den Korridor zurück und
verschwand in einem Zimmer hinter einer dunkeln
Portiere. Jens trat in einen Arbeitsraum und setzte
sich in das Licht des Fensters an einen mächtigen Schreib-
tisch. Die Platte war von angefangenen Manuskripten
bedeckt. Jens hatte das Gefühl, als habe der unbekannte
Namensbruder eben noch hier gesessen und sei nur
zwischendurch, wenn die Übelkeit zunahm, hinter der
dunklen Portiere verschwunden.
Sie wartete korrekt und gedankenlos. Sie sah auf
den Hof hinaus, wo die Kinder des Portiers mit ihren
Bällen spielten.
Dann klingelte es.
Ein kleiner, blonder, beweglicher Herr stand draußen.
Es war der Arzt.
„Nun, wo ist denn mein Patient? Ich bin doch
richtig hier? Man hat mich telephonisch rufen lassen!"
Er sah an Jens vorbei, indem er sich aus dem Mantel
schälte. Mit einem ergebenen Blick, der ihre Rolle voll-
kommen machte, führte sie den kleinen, blonden, beweg-
lichen Mann zu der bewußten Portiere.
Jetzt mußt du verschwinden, dachte Jens Palm-
ström, die Frau von dreißig Jahren. Aber die kleine
Jens war zurückgekommen und warf sich wohlig in
einen Klubsessel, der vor einem niedrigen Rauchtisch
träumte. Da gab Jens Palmström seufzend ihren
Widerstand auf und setzte sich zu der Kleinen nieder.
Sie lauschte in sich versunken den leise klirrenden
Bewegungen des Arztes. Dann hörte sie ihn zu dem
Patienten sprechen:
„Gut, gut! Nur Geduld, ich werde es der Frau
Gemahlin sagen. Also vorläufig nur Kartoffelpüree
und Spinat! . . . aber halt! Damit Sie keine Be-
schwerden haben ... ja, es ist absolut nötig" ... und er
rief in den Nebenraum:
„Gnädige Frau, darf ich bitten?" . . .
Jens erhob sich ohnmächtig und schwerfällig. Sie
sah weder das Ölgemälde einer Tänzerin, noch den
offenen silbernen Rasierapparat, es waren nur zwei
heiße, trockene, beschwörende Augen und eine ver-
löschende Stimme:
„Dort, im Wäscheschrank . . . unten links" . . .
Und dann empfand sie noch, daß jemand sagte:
„Bitte lauwarmes Seifenwasser bis zum Rand, gnädige
Frau!" . . .
Da kniete die Frau von dreißig Jahren, die kleine
süße Jens Palmström, vor dem fremden Wäscheschrank
ihres Herrn Gemahls.
Sie war in vielen Häusern ein und aus gegangen,
sie kannte die Kaffee- und Teehäuser und sie besaß In-
stinkt genug, um sich in dem Boudoir einer Dame zurecht-
zufinden — vor dem Wäscheschrank ihres Mannes aber
versagte sie und wurde vor Hoheit schlanker und blasser.
Da stellte sich jemand, der ihr bis zur Schuller
reichte, auf die Fußspitzen, und Jens, die kleine Jens
Palmström, steckte ihren Kopf in die weiße steife Wäsche
und holte mit ihrem schelmischsten Lächeln den gesuchten
Gegenstand heraus. — —
II.
Jens Palmström machte eine Reise. Die Kontur
des Riesenbahnhofs war grau, warm und weich. Es

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