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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Nr. 12
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Erzählungsbrüder
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0421

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Crzählungsbücher.

Männerarbeit leisten wellte in ihrer Kunst; selbst viel zu
sehr Frau, die aufmerksamen Herzens den eigenen
Stimmen lauschend Ehrfurcht genug vor dem besitzt, was
ein Frauenschicksal treibt, hat sie es immer für zu schade
gehalten zur Verarbeitung in den üblichen Frauenroman.
So gibt es von ihr nur eine nicht große Aahl von Novellen,
Skizzen, auch einen Roman und nun diese kleine Novelle.
Die Geschichte eines stillen Mädchens, das schon als Kind
früh den Sprung vom Kind zur Frau macht im Gefühl,
und dessen Leben in einer langsam wachsenden, schwer,
lebenden Liebe zwischen zwei Brüdern sich in reiner, fast
keuscher Weise vollendet. Man geht mit den ruhigen
Menschen von dem Küstenstrich da im Norden einige
Jahre durch die Landschaft und die fast biblisch einfach
gesehenen Gestalten; man hört in der klaren, wohl-
tuenden Sprache von ihrem Schicksal, das sich rein und
ohne Ausgewogenheit erfüllt. Wenn das Buch mit dem
Tode der jungen Frau schließt — die dem Manne, der
ihr in Liebe anhing, nun doch das Kind geschenkt hat, das
sein Bruder, der Glücklichere, dessen Frau sie war, nun
nicht sehen mag, weil es seiner Mutter Leben mitnahm —,
so scheiden wir von diesem Kreis wie von Freunden, die
wir irgendwo leben wissen und an deren Dasein es tröst-
lich ist, zuweilen zu denken.
Awei Novellenbücher sollen hier angereiht werden,
weil sie Typus sind für eine neue Kunst des Ausdrucks.
Das eine ist von einem Autor, Arnold Aweig, der schon
hier und da in Abschriften Proben seiner Erzählungs-
kunst zeigte; er wurde auch durch den Kleist-Preis aus-
gezeichnet. „Geschichtenbuch"*) heißt es. Es ist der Auf-
tritt eines jungen Meisters, der bemüht ist, das Ohr des
Publikums, das ihm allzu schnell von dem Nächsten nach
ihm wieder geraubt werden könnte, zu fesseln durch die
Meisterschaft seiner Sprachkunst, die er handhabt wie ein
Florettfechter seine Waffe. So steht man vor dem Band
wie vor dem Programm eines jungen Virtuosen, der
die Probe auf seine Könnerschaft ablegen will und nun
die feinen Künste auf allen Instrumenten zeigt. Da ist
die rokokohafte Musik galanter Anekdoten, das Duett
der zwei Geigen, die ihre Stimmen ineinander verflech-
ten in der Novelle „Tangente", da ist in der ersten Ge-
schichte „Abreise" die süße Flöte, das bräunlich-männ-
liche Cello im „Bürgermeister", es fehlt nicht das Cembalo
und die Gamba, und im vorletzten eine neue moderne
Musik, die unser Ohr erst ganz fern erlauscht. Es ist ein
Buch, das den Virtuosen zeigt in der Führung seines
Werkzeugs, ob ein Dichter dahinter steckt, das werden
spätere Bücher erst erweisen müssen, es ist etwas viel
wohlgefällige Freude an der eigenen Gebärde darin,
die wie ein Schatten immer davortritt, wenn man den
Dichter finden möchte.
Ludwig Strauß, der Verfasser des anderen Novellen-
bandes „Der Mittler"**), ist unleugbar der begabtere von
beiden; zweifellos jünger, ist er wie seine ganze Gene-
ration früh durch die Schule der kunstvollsten Erzähler
aller Sprachen gegangen, nicht ohne einen gewissen
Schaden an seiner Seele dabei zu leiden, die manche
Wunde davontrug im Umgang mit so zweischneidigen
Waffen. Es ist kein glückliches Antlitz, das aus diesen
*) Arnold Aweig, Geschichtenbuch, Verlag von Albert Langen,
München.
**) Der Mittler, Novellen von Ludwrg Strauß, Hyperionverlag.

Blättern schaut, und nicht ohne Trauer liest man die
Titel, die kaum etwas von einer jungen Seele verraten.
Und doch ist es ein neuer Wein, der da werden will, und
er gebärdet sich so, obschon die Süße noch kaum zu ahnen
ist. Das schwerste Stück hat der junge Dichter freilich
noch vor sich, es gilt nach dem Bibelwort, daß man neuen
Wein nicht in alte Schläuche fülle, nun dem neuen Lied
auch das neue Instrument zu finden. Trotz seiner Un-
gleichheit— das Bändchen enthält auch eine nach Grimm
erzählte Sage, die fast einfach schön berichtet wird —ist
der Band von Ludwig Strauß hoffnungsreicher als das
allzu vollendete Geschichtenbuch von Arnold Aweig.
Awei Geschichtenbücher anderer Art gehen in einem
ganz anderen Ton. Sie sind weder im Stil noch in der
Absicht modern und haben trotzdem einen Reiz, der zu
ihnen hinzieht wie zu alten Freunden der Jugend.
Beide sind im Verlag von Wilhelm Langewiesche-Brandt
erschienen und gehören zu der Reihe von Lebensdoku-
menten, die uns schon einige sehr schöne Bücher geschenkt
hat. Das eine ist die Erstveröffentlichung einer wert-
vollen Handschrift, die fast zweihundert Jahre unbekannt
in einer Bibliothek schlief. Es sind die Denkwürdigkeiten
eines Handwerkers*), der als Barbier in Halle im sieb-
zehnten Jahrhundert lebte und den ein wunderliches Ge-
schick auf weite Reisen mit den Walsischfängern ins nörd-
liche Eismeer führte, wo er die seltsamsten Abenteuer,
Krankheiten und Nöte erlebt, aber auch viel Geld er-
wirbt, sowie ein andermal als kurfürstlicher Feldscher mit
den Brandenburgern tief nach Ungarn wider die Türken.
Was ihm wiederuni Gelegenheit gibt zu den merkwürdig-
sten Erfahrungen und Betrachtungen. Er ist ein Mann
offenen Auges und nachdenksamen Herzens, der die Dinge
nicht nur von außen ansieht, und seine Schilderung eines
Schlachtfeldes wider die Türken ist von eindringlicher
Wirksamkeit und mehr als ein historischer Bericht. Er
lebt dann später in Halle als Hofbarbier und Chirurg,
nachdem er noch mancherlei andere Städte gesehen, und
führt dort ein arbeitsreiches, bewegtes Leben; er bekommt
eine zänkische Frau, Kinder, Arger mit dein Rat der
Stadt und bösen gehässigen Nachbarn und entrollt uns
ein Bild jener Aeitcn, da noch der Dreißigjährige Krieg
in seiner Verwüstung nicht ganz verwunden war und
wunderliche Vorschriften und Bräuche noch nicht ge-
wichen vor der Fackel der Aufklärungszeit. Seine Er-
zählungen davon liest man mit Erstaunen und manchmal
belustigt, zumal seine Sprache nicht ohne eine natürliche
Gabe des bildhaften Ausdrucks ist. Eine Seele, die trotz
dem Tumult, in dem ihr Leben dahingeht, im tiefsten
Grunde ihre Heimat kennt und sucht, eine rechte deutsche
Handwerkergestalt. Der Band enthält viele seltsame
Bildchen von den wunderbaren Dingen und Orten, mit
denen ihn seine Fahrten in Berührung brachten, manch
kraus erdachtes Heilverfahren und Wunderkur und
zwischendurch tiefe Weisheiten. Es ist ein rechtes Buch
zum Verschenken an solche, die gern Abenteuer und
Neisebeschreibungen lesen, und auch die Freunde lustiger
und boshafter Stückchen werden das ihre finden. Der
Preis ist so gering, daß er in dieser Aeit, da alle Genüsse
so sehr im Preis gestiegen sind, fast komisch wirkt.
*) Meister Johann Dieh erzählt sein Leben; Lebensdokumente.
Verlag von Wilh. Langewiesche-Brandt, München - Cbenhausen.
(Geb. M. 1,80.)

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