Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 11.1911/1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.52948#0097
DOI Heft:
Heft 7.
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Berger, E.: Kunst und Hochschulpädagogik
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heft 7.
Die Werkstatt der Kunst.
87
Redaktioneller Teil.
Rimlt unci tzockkckulpäÄLgogik
In der „Gesellschaft für Hochschulpädagogik" sind
gelegentlich ihrer Münchener Tagung (s8.—20. Ok-
tober a. c.) auch einige Themen zur Verhandlung
gekommen, die sich mit dem Studium der Kunst-
wissenschaft an den Universitäten und mit der Heran-
bildung der Künstler befaßten. Als erster Referent
sprach Prof. Or. Bruno Meyer (Berlin) über den
„Unterricht in Kunstwissenschaft", wie er in früheren
Zeiten an den Universitäten und technischen Hoch-
schulen gepflegt wurde, und wie er jetzt nach unserem
hochentwickelten Kulturzustande im Interesse der
Heranbildung tüchtiger Kunsthistoriker ausgestaltet
werden sollte. Noch vor HO Jahren sei die Kunst-
wissenschaft das Aschenbrödel der deutschen Wissen-
schaft gewesen, wenn auch hervorragende Männer
bemüht waren, manches wichtige Material zusammen-
zutragen. Die Kunstästhetik ist in erster Linie zur
Wertung des Kunstwerkes geeignet befunden worden.
Aber die auf persönlicher Einschätzung basierte
Aesthetik könne aber nicht Gegenstand der Kunst-
wissenschaft sein. Diese müßte sich vielmehr auf
die festgestellten Tatsachen der Kunstgeschichte gründen,
die sich nicht allein mit der Lebensgeschichte der
Künstler und der Registrierung ihrer Werke, sondern
mit dem Zusammenhängen zwischen Kunst und Leben
der Zeit zu befassen habe. Speziell für die Päda-
gogik komme es auf die Art an, wie der Jünger
in die Materie eingeführt werden soll. An den
Universitäten ist ein anderer Wissensumfang anzu-
streben als an den technischen Schulen, wo die rein
technischen Dinge mehr in den Vordergrund rücken.
Der Unterricht des Kunsthistorikers, der in der semi-
naristischen Tätigkeit am besten ausgeübt werden
könne, besteht in dem Sammeln und im näheren
Bestimmen des Materials und auf der geschichtlichen
Behandlung und Bearbeitung einzelner Werkstücke.
Vor allem ist erstes Erfordernis, die Kunstwerke selbst
zu zeigen und daran ihre Eigenart zu studieren.
Früher war man auf schlechte Reproduktionen an-
gewiesen, erst seit der Erfindung der Photographie
und der Eisenbahnen, die einem jeden ermöglichen,
an Ort und Stelle die Kunstwerke zu studieren,
kann von der Kunstwissenschaft mehr gefordert
werden. Zu den Vorträgen und Uebungen tritt
neuerer Zeit die Studienexpedition. Zu den Eigen-
schaften, die besonders zu pflegen sind, gehört der
Blick und das Gedächtnis für künstlerische Qualitäten,
dann auch das verständnisvolle Eingehen auf das
Technische der einzelnen Kunstarten (Malerei, Bild-
hauerei, graphische Künste) auf die Statik (bei der
Architektur) und einige gewerbliche Techniken bei
der angewandten Kunst. Nicht zu entbehren ist das
Hilfsmittel des photographischen Projektionsapparats.
An Stützpunkten aus anderen Wissenschaften treten
für die kunstwissenschaftliche Pädagogik noch hinzu:
Philologie (alte und neuere), Archäologie (mit Be-
ziehungen zur Kulturgeschichte und vorgeschichtlichen
Mythologie) dann Numismatik, Urkunden- und Manu-
skriptenkenntnis, Heraldik und Trachtenkunde, Ikono-
graphie, Thronologie. An Handfertigkeiten wären
sehr nützlich die Uebung in photographischen Auf-
nahmen, die Anfertigung von Rissen und Pausen.
Vom Lehrenden wird noch erwartet, daß er die Vor-
gänge der künstlerischen Produktion zu untersuchen
und zu erklären bestrebt ist, so daß auch Psychologie
und Aesthetik Hand in Hand zu gehen haben.
In scheinbarem Gegensatz zu dem weitausge-
dehnten Arbeitsprogramm des Vorredners führte
Prof. vr. K. Voll (München) in seinem Referate
(„Kunstgeschichtliche Pädagogik an unseren Hoch-
schulen") im Anschluß an einen Ausspruch Furt-
wänglers: „Ls gibt zurzeit noch keine Wissenschaft
der Kunstgeschichte", aus, daß es an einer richtigen
Pädagogik der Kunstgeschichte überhaupt noch fehle,
aber man auf dem Wege sei, danach zu streben.
Frühere Gelehrte haben zwar mit einer erlesenen
allgemeinen Bildung, mit feinem künstlerischen Sinne
in mehr dilettierender weise — im besten Sinne
des Wortes — sich der Aufgabe der Kunstwissen-
schaft hingegeben; dann kam eine Generation, die
schon speziell kunsthistorisch zu arbeiten verstand und
an Material zusammengerafft hat, was nur möglich
war. Ls wurde viel, aber zu schnell gearbeitet.
Dieser Typus des Kunsthistorikers des s9- Jahr-
hunderts (Sammlertypus) habe jetzt einer Art Platz
gemacht, die sich ihre Weisheit aus dem Finger saugt,
die viel „Artistisches" in die Wissenschaft hineinge-
bracht hat, und die sich in erster Linie auf die künst-
lerische Kritik versteht. Im stillen ist wohl eine
Masse positives geleistet und unsere Kenntnis außer-
ordentlich bereichert worden. Unsere Hochschüler
kommen jetzt ganz anders vorbereitet als früher;
nur fehlt ein Schulplan, ein Zusammenschluß der
kunstgeschichtlichen Lehre. Im Interesse der Heran-
wachsenden Kunstgelehrten sei eine strengere Disziplin
zu empfehlen, so barbarisch es auch klingen mag,
er schlage den „Drill" vor, der als Mittel gegen
Ligenbrödelei und den sich jetzt stark vordrängenden
Snobismus nötig sei. Auch gegen die Macht der
Kunsthändler, die aus Geldinteresse einen oder den
anderen alten Meister „lancieren", muß der Kunst-
historiker seine Ansicht geltend zu machen wissen.
Nach dem mit vielem Beifall aufgenommene Vortrag
volls, der aus seiner Praxis einige ergötzliche, wenn
auch nicht erfreuliche Beispiele zum besten gab,
sprach noch Geh. Hofrat Prof. Fried, v. Tiersch
über „Künstlerische Erziehung" mit besonderem hin-
weise auf die jetzt zur Hochschule für bildende
Künste ausgestaltete Münchener Akademie, die den
Zweck haben muß, die künstlerische Erziehung an-
zubahnen und zu vollenden. Auf keinem Gebiete
sei die Verschiedenheit der Anlage des Schülermaterials
größer als hier, und die Frage der geeigneten Vor-
Die Werkstatt der Kunst.
87
Redaktioneller Teil.
Rimlt unci tzockkckulpäÄLgogik
In der „Gesellschaft für Hochschulpädagogik" sind
gelegentlich ihrer Münchener Tagung (s8.—20. Ok-
tober a. c.) auch einige Themen zur Verhandlung
gekommen, die sich mit dem Studium der Kunst-
wissenschaft an den Universitäten und mit der Heran-
bildung der Künstler befaßten. Als erster Referent
sprach Prof. Or. Bruno Meyer (Berlin) über den
„Unterricht in Kunstwissenschaft", wie er in früheren
Zeiten an den Universitäten und technischen Hoch-
schulen gepflegt wurde, und wie er jetzt nach unserem
hochentwickelten Kulturzustande im Interesse der
Heranbildung tüchtiger Kunsthistoriker ausgestaltet
werden sollte. Noch vor HO Jahren sei die Kunst-
wissenschaft das Aschenbrödel der deutschen Wissen-
schaft gewesen, wenn auch hervorragende Männer
bemüht waren, manches wichtige Material zusammen-
zutragen. Die Kunstästhetik ist in erster Linie zur
Wertung des Kunstwerkes geeignet befunden worden.
Aber die auf persönlicher Einschätzung basierte
Aesthetik könne aber nicht Gegenstand der Kunst-
wissenschaft sein. Diese müßte sich vielmehr auf
die festgestellten Tatsachen der Kunstgeschichte gründen,
die sich nicht allein mit der Lebensgeschichte der
Künstler und der Registrierung ihrer Werke, sondern
mit dem Zusammenhängen zwischen Kunst und Leben
der Zeit zu befassen habe. Speziell für die Päda-
gogik komme es auf die Art an, wie der Jünger
in die Materie eingeführt werden soll. An den
Universitäten ist ein anderer Wissensumfang anzu-
streben als an den technischen Schulen, wo die rein
technischen Dinge mehr in den Vordergrund rücken.
Der Unterricht des Kunsthistorikers, der in der semi-
naristischen Tätigkeit am besten ausgeübt werden
könne, besteht in dem Sammeln und im näheren
Bestimmen des Materials und auf der geschichtlichen
Behandlung und Bearbeitung einzelner Werkstücke.
Vor allem ist erstes Erfordernis, die Kunstwerke selbst
zu zeigen und daran ihre Eigenart zu studieren.
Früher war man auf schlechte Reproduktionen an-
gewiesen, erst seit der Erfindung der Photographie
und der Eisenbahnen, die einem jeden ermöglichen,
an Ort und Stelle die Kunstwerke zu studieren,
kann von der Kunstwissenschaft mehr gefordert
werden. Zu den Vorträgen und Uebungen tritt
neuerer Zeit die Studienexpedition. Zu den Eigen-
schaften, die besonders zu pflegen sind, gehört der
Blick und das Gedächtnis für künstlerische Qualitäten,
dann auch das verständnisvolle Eingehen auf das
Technische der einzelnen Kunstarten (Malerei, Bild-
hauerei, graphische Künste) auf die Statik (bei der
Architektur) und einige gewerbliche Techniken bei
der angewandten Kunst. Nicht zu entbehren ist das
Hilfsmittel des photographischen Projektionsapparats.
An Stützpunkten aus anderen Wissenschaften treten
für die kunstwissenschaftliche Pädagogik noch hinzu:
Philologie (alte und neuere), Archäologie (mit Be-
ziehungen zur Kulturgeschichte und vorgeschichtlichen
Mythologie) dann Numismatik, Urkunden- und Manu-
skriptenkenntnis, Heraldik und Trachtenkunde, Ikono-
graphie, Thronologie. An Handfertigkeiten wären
sehr nützlich die Uebung in photographischen Auf-
nahmen, die Anfertigung von Rissen und Pausen.
Vom Lehrenden wird noch erwartet, daß er die Vor-
gänge der künstlerischen Produktion zu untersuchen
und zu erklären bestrebt ist, so daß auch Psychologie
und Aesthetik Hand in Hand zu gehen haben.
In scheinbarem Gegensatz zu dem weitausge-
dehnten Arbeitsprogramm des Vorredners führte
Prof. vr. K. Voll (München) in seinem Referate
(„Kunstgeschichtliche Pädagogik an unseren Hoch-
schulen") im Anschluß an einen Ausspruch Furt-
wänglers: „Ls gibt zurzeit noch keine Wissenschaft
der Kunstgeschichte", aus, daß es an einer richtigen
Pädagogik der Kunstgeschichte überhaupt noch fehle,
aber man auf dem Wege sei, danach zu streben.
Frühere Gelehrte haben zwar mit einer erlesenen
allgemeinen Bildung, mit feinem künstlerischen Sinne
in mehr dilettierender weise — im besten Sinne
des Wortes — sich der Aufgabe der Kunstwissen-
schaft hingegeben; dann kam eine Generation, die
schon speziell kunsthistorisch zu arbeiten verstand und
an Material zusammengerafft hat, was nur möglich
war. Ls wurde viel, aber zu schnell gearbeitet.
Dieser Typus des Kunsthistorikers des s9- Jahr-
hunderts (Sammlertypus) habe jetzt einer Art Platz
gemacht, die sich ihre Weisheit aus dem Finger saugt,
die viel „Artistisches" in die Wissenschaft hineinge-
bracht hat, und die sich in erster Linie auf die künst-
lerische Kritik versteht. Im stillen ist wohl eine
Masse positives geleistet und unsere Kenntnis außer-
ordentlich bereichert worden. Unsere Hochschüler
kommen jetzt ganz anders vorbereitet als früher;
nur fehlt ein Schulplan, ein Zusammenschluß der
kunstgeschichtlichen Lehre. Im Interesse der Heran-
wachsenden Kunstgelehrten sei eine strengere Disziplin
zu empfehlen, so barbarisch es auch klingen mag,
er schlage den „Drill" vor, der als Mittel gegen
Ligenbrödelei und den sich jetzt stark vordrängenden
Snobismus nötig sei. Auch gegen die Macht der
Kunsthändler, die aus Geldinteresse einen oder den
anderen alten Meister „lancieren", muß der Kunst-
historiker seine Ansicht geltend zu machen wissen.
Nach dem mit vielem Beifall aufgenommene Vortrag
volls, der aus seiner Praxis einige ergötzliche, wenn
auch nicht erfreuliche Beispiele zum besten gab,
sprach noch Geh. Hofrat Prof. Fried, v. Tiersch
über „Künstlerische Erziehung" mit besonderem hin-
weise auf die jetzt zur Hochschule für bildende
Künste ausgestaltete Münchener Akademie, die den
Zweck haben muß, die künstlerische Erziehung an-
zubahnen und zu vollenden. Auf keinem Gebiete
sei die Verschiedenheit der Anlage des Schülermaterials
größer als hier, und die Frage der geeigneten Vor-