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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 11.1911/​1912

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Heft 44.
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Redaktioneller Teil
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Thiersch, Friedrich von: Ueber künstlerische Erziehung, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.52948#0615

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Heft qq.

Die Werkstatt der Runst.

605

wenn mithin die Versendung in offenem wagen mit
Ihrem Einverständnis erfolgt und im Frachtbriefe
vermerkt ist, müssen Sie der Eisenbahn nachweisen,
daß die Beschädigung des Bildes nicht ihren Ursprung
in der besonderen Beförderungsart findet, oder daß
die Eisenbahnverwaltung ein verschulden trifft. Für
die k)öhe der Haftung ist die Wertangabe bedeutungs-
los. haben Sie dagegen das Interesse an der
Lieferung in der dafür bestimmten Spalte des Fracht-
briefs angegeben, so können Sie den Ersatz des vollen
Schadens bis zur höhe des versicherten Betrages be-
anspruchen, während Sie andernfalls lediglich die
Differenz zwischen dem gemeinen wert des Frachtguts
und dem werte im geschädigten Zustande erstattet
verlangen können.
Aeber künstlerische Erziehung*)
(Vortrag auf der zweiten Tagung der „Gesellschaft für
Hochschulpädagogik" in München am 20. Oktober t9N)
von Geheimrat Prof. Or. Friedrich v. Thier sch-München
Als die Frage an mich herantrat, in einem Vortrag
irgendein Gebiet des hochschul-Lrziehungswesens zu be-
handeln, mußte ich mich zunächst unbefähigt hierzu be-
zeichnen. Denn obwohl es mir an praktischen Erfahrungen
in meinem besonderen Lehrgebiet nicht fehlt, fo habe ich
mich doch mit der wissenschaftlichen Seite der Pädagogik
nur wenig befaßt. In den letzten Wochen erst strebte ich
mit einigen Fachmännern einen Meinungsaustausch an,
welchem ich manche hier verwertete Anregung verdanke**).
wenn Sie nun gleichwohl in Ihrem Kreise irgendeine
Meinungsäußerung von mir verlangen, so stelle ich mir
vor, daß unter Umständen die Anschauung eines von der
Theorie fast unberührten praktischen Lehrers und aus-
führenden Baumeisters eine oberflächliche Ergänzung zu
den tiefgründigen Gedanken bilden werde, die hier von
anderer Seite zum Ausdruck gelangen.
Ich werde kaum in der Lage sein, neues auszusprechen;
ich tröste mich aber mit dem Umstand, daß es bei dem
Kampf um unseren Hochschulunterricht kein Fehler ist,
immer wieder auf alte Grundwahrheiten zurückzukommen.
Im Dezember l9O6 sprach ich als Rektor unserer Hoch-
schule über die „künstlerische Erziehung der Techniker". Ich
bedauerte damals, daß es mir in dem knappen Rahmen
des Vortrags nicht auch vergönnt war, über die „technische
Erziehung der bildenden Künstler" zu reden. Ich ergreife
deshalb gerne die sich hier bietende Gelegenheit, um einige
Gedanken über künstlerische Erziehung im allgemeinen und
das Studium an den Kunsthochschulen im besonderen aus-
zusprechen.
Auf keinem Gebiet persönlicher Entwicklung findet
man fo große Verschiedenheiten als auf dem der Künstler.
Deshalb kann auch nicht von einem allgemein gültigen
oder normalen weg zur Erlernung der Kunst gesprochen
werden. Ebenso verschiedenartig wie die Ausübung der

*) Mit freundlicher Erlaubnis des Redakteurs Or.
Schmidkunz und des Verlages wiegandt in Leipzig der
„Zeitschrift für Hochschulpädagogik" entnommen.
**) Prof. Eugen v. Stieler, Syndikus der Hochschule
der bildenden Künste in München, äußerte sich hauptsächlich
über die Frage der Vorbildung. — S. h. Ernst, Prinz von
Sachsen-Meiningen, beleuchtete die Ursachen der Abneigung
gegen die Akademien. — h. E. v. Berlepsch-Valendas be-
rührte die Umwandlung der Kunstgewerbeschulen und die
Wichtigkeit der Naturbeobachtung. — Gberstudienrat Or.
Georg Kerschensteiner regte u. a. die Bildung einer Hoch-
schule für angewandte Kunst an.

Kunst selbst sind die Wege, welche den einzelnen zu jener
Vollendung leiten, die ihn die Bezeichnung „Künstler" mit
vollem Recht führen läßt.
Die Wege zu Wissenschaft und Technik sind in weit
bestimmtere Bahnen gelenkt. Das augenfällige hervor-
treten künstlerischer Begabung ist unabhängig vom Lebens-
alter. Nicht selten versagt die (Duelle künstlerischer Be-
tätigung schon im jugendlichen Alter, wenn der mit glänzen-
den Erfolgen arbeitende Schüler selbsttätig in die Welt
hinaustreten soll. Im Gegensatz dazu bricht sich oft erst
bei reiferen Männern das künstlerische Ingenium mit Ge-
walt Bahn.
Deshalb ist auch die Frage schwierig zu beantworten,
wie eine Hochschule für die bildenden Künste beschaffen
sein soll.
Feststehende Tatsache ist, daß Kunsthochschulen nur
einen Teil der künstlerischen Erziehung leisten, daß gleich-
zeitig in Privatkunstschulen, in gewerblichen Fachschulen
der verschiedensten Art sowie in Werkstätten tüchtiger
Meister ein großer Teil der künftigen Künstlergeneration
heranwächst. Außerdem ergreifen manche aus den ver-
schiedenen Lebensberufen und Volksschichten heraus, einem
inneren Zuge folgend, die Kunst und werden als Auto-
didakten selbständig.
vor allem ist es das Vorhandensein großer
Künstler an sich, das zu allen Zeilen Schule ge-
macht hat und immer Schule machen wird.
Die Hauptgründe zu der großen Verschiedenheit in
den Entwicklungswegen liegen einmal in der Ungleichheit
der Begabung, dann in der zeitlichen Ungleichheit des Er-
wachens wie der Entwicklung, endlich in der Ungleichheit
der äußeren Verhältnisse. Bei der Beurteilung des Indi-
viduums immer im voraus die Grenzen zu finden, inner-
halb derer die künstlerische Begabung liegt, oder vorher zu
sagen, daß die Begabung zur Erlangung der höheren
Stufen ausreichen werde, ist schwierig, vielleicht unmöglich;
denn Begabungen zeigen sich wie Erzlager: oft mächtig,
dann schwach und unvermutet abbrechend. Keinem auch
noch so erfahrenen Lehrer der Kunst werden deshalb Ent-
täuschungen und Überraschungen erspart, wie sie sich mit
dem Werdegang von Schülern immer verbinden. Sehr
verschiedenartig sind die Symptome, unter welchen sich die
Kunstbefähigung erstmals offenbart. Daß sich bei normal
beanlagten Menschen die Verstandes- und die Gefühlskräfte
im Gleichgewicht befinden, ist die Regel. Beim Künstler
sollen die Gefühlskräfte die des Verstandes überwiegen.
Ls will vielleicht im ersten Augenblick nicht einleuchten,
wenn behauptet wird, daß bei der Entwicklung künstle-
rischer Fähigkeiten die Naturbeobachtung eine ganz ähnliche
Rolle spielt, wie sie es bei den Erfindungen auf dem tech-
nischen Gebiete tut. Und doch läßt sich die Parallele nicht
ganz in Abrede stellen. Lin aufmerksamer Beobachter der
organischen Natur wird bald erkennen, daß es die Gesetze
einer zweckmäßigen Konstruktion sind, die das Wesen der
äußeren Erscheinung bedingen, und die zugleich auch die
Unterlage des aus der Natur zu schöpfenden Schönheits-
gefühles ausmachen, wer beispielsweise erkannt hat, daß
ein Blatt vom nächstbesten Strauch ein Werk von erstaun-
licher Zweckmäßigkeit und deshalb auch von vollendeter
Schönheit ist, wird zum nötigen Respekt vor der Natur
und zur richtigen Einschätzung seiner eigenen Schöpferkraft
erzogen.
Zur Beobachtung der Natur gesellt sich bei Künstlern
wie bei Technikern der zum Teil unbewußte Nachahmungs-
trieb und die zu freier Wiederverwertung führende Phan-
tasie. Auch die Suggestion kommt in Betracht. Das
künstlerische Sehen, das malerische Empfinden, das Gefühl
für Raum und Farbe wird, wie wir sagen, anerzogen,
oder es entwickelt sich — und das ist vielleicht die stärkste
Beeinflussung — durch Übertragung zwischen gleichzeitig
an ähnlichen Problemen arbeitenden Menschen von ver-
schiedener Anschauung und Begabung. Die Beeinflussung
ist vielfach völlig unbewußt. Mancher Künstler, der sich
für vollkommen selbständig hält, wird schwer gekränkt durch
 
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