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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 11.1911/​1912

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Heft 44.
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Redaktioneller Teil
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Thiersch, Friedrich von: Ueber künstlerische Erziehung, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.52948#0616

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606

Die Werkstatt der Kunst.

Heft

die Behauptung, daß er eben auch ein unfreiwilliges Pro-
dukt seiner Umgebung und der treibenden Ideen seiner
Zeit sei.
Gst wird auch die Begeisterung für einen künstlerischen
Berus mit wirklicher Begabung verwechselt. Dies trifft
aus allen Gebieten zu.
Tritt die Erkenntnis der Unzulänglichkeit des Talents
zu spät ein, so ist eine Umkehr in vielen Fällen ausge-
schlossen, das Endresultat ein verfehltes oder mittelmäßiges.
wir setzen voraus, die Kunst gehöre zu den edelsten
Blüten der Kultur eines Volkes; demnach wird man vom
Künstler erwarten, daß er an der Geistesbildung der
Zeit Anteil habe, daß er weiter innerhalb einer ge-
wissen Vielseitigkeit mit den praktischen handwerklichen
Seiten des Lebens in reger Fühlung stehe. Ausnahmen
davon lassen sich freilich auch konstatieren. Bei einzelnen
Persönlichkeiten läßt hervorragende Kunstbeanlagung die
Mängel an allgemeiner Bildung vollkommen in den Hinter-
grund treten. Das sind aber nur die Starkveranlagten.
Die Schwierigkeiten in der Erkenntnis der Kunstbe-
gabung werden bei der Berufswahl junger Männer be-
sonders lebhaft empfunden. Hängt auch die Berufswahl
mit der künstlerischen Erziehung selbst nicht zusammen, so
darf deren Betrachtung doch nicht ausgeschaltet werden,
da sie ein pädagogisches Moment darstellt. Unverdrossen
wird der junge Mann, welcher in sich den Beruf zum
Künstler fühlt, aus die Verwirklichung seiner Ideale zu-
steuern. Die Fragen der materiellen Sicherstellung und der
späteren Versorgung schalten bei ihm vollkommen aus.
Versetzen wir uns in die Lage von Eltern, deren Sohn
der Kunst zustrebt, so werden wir den Wunsch haben,
seinen Lebensgang in sichere Bahnen zu lenken. Eltern,
die dem Bürgerstand angehören, werden danach streben,
daß der Sohn die Mittelschule durchmacht, und daß er neben
den in der höheren Kunstschule oder im Atelier des Meisters
zu erlernenden Fähigkeiten seine allgemeine Bildung ver-
vollständigt.
Dies ist die Durchschnittsauffassung, bei welcher immer-
hin noch viel gewagt wird. Sicherer ist der Werdegang,
wenn sich der junge Mann zunächst dem Gewerbe zuwendet,
und wenn er dieses vollkommen erlernt und als positive
Unterlage für seine Existenz solange betrachtet, als es sich
nicht herausgestellt hat, ob ihn die hohe Kunst ernährt.
Die gebildeten Kreise unserer Zeit sind mit einem
unberechtigten Vorurteil gegen das Gewerbe belastet. Auch
ist die Kluft zwischen Kunst und Gewerbe nur teilweise
überbrückt. Man betrachtet es als ein Hinabsteigen, wenn
der Künstler gewerblich tätig sein soll. Und doch gehören
die Gebiete eng zusammen, denn echte Kunst ist auch
Handwerk. Das Gewerbe ernährt und bedarf einer großen
Anzahl künstlerisch beanlagter Menschen. Es war in alter
wie in neuer Zeit die Vorstufe zur höheren Kunst. Das
Kunststudium entzieht dem Gewerbe manche Kräfte, von
denen es sich erst später herausstellt, daß sie die höhere
Stufe nicht ersteigen können und daß sie im Gewerbe weit
besser aufgehoben gewesen wären. Andererseits schließt
der Gewerbestand vielfach künstlerische Kräfte in sich, ohne
deren Mitwirkung es um das Gewerbe schlecht bestellt
wäre.
Für solche Elemente, die als fertige Männer aus dem
Gewerbe kommend der Kunst zustreben, liegt der weg
verhältnismäßig einfach. Sie werden darauf bedacht sein,
neben ihren Kunststudien auch noch ein entsprechendes
Maß allgemeiner Bildung zu erwerben. Auch steht ihnen
die Rückkehr zum Gewerbe immer offen.
Auf den Akademien wird man einen nicht unbedeuten-
den Teil der Schüler finden, die dem Gewerbe angehören
und die sich auch noch während ihrer Studien durch prak-
tische Arbeit erhalten. Daß viele der bedeutendsten Künstler
aller Zeiten aus dem Gewerbe hervorgegangen sind, ist ja

hinlänglich bekannt. Die Erlernung eines Gewerbes will
manchem, der die Mittelschule verläßt, nicht einleuchten.
Auch bieten sich in der Praxis Schwierigkeiten dadurch,
daß das Lehrlingswesen im argen liegt, und daß die
kleinen Meister gegenüber der Industrie einen schweren
Stand haben, wem es trotzdem gelungen ist, Fühlung
mit dem Gewerbe zu gewinnen, dem wird die Erkenntnis
darüber aufgehen, in welch umfangreicher weise die Natur-
kräfte das Reich des praktischen Lebens beherrschen, und
daß der Künstler berufen ist, nicht nur die höchsten geistigen
Stufen zu erringen, sondern auch die Nützlichkeiten des
gewöhnlichen Lebens zu veredeln.
Die Frage des vorbereitenden Unterrichtes hat die
Akademien schon mehrfach beschäftigt. Line Zeitlang be-
stand ein zeichnerischer Vorkurs. Ls tauchte dann und
wann der Gedanke auf, auch den sogenannten theoretischen
Unterricht in den Hilfsfächern zu einer besonderen Vor-
schule zu vereinigen. Die Vorberatungen waren in München
schon unter dem Direktorium Piloty recht weit gediehen,
als er der Schule durch den Tod entrissen wurde.
Die Verhältnisse drängen uns die Frage auf, ob das
Bedürfnis nach dem vorunterricht nicht auch durch eine be-
stehende Schule gedeckt werden kann.
Die Kunstgewerbefchule ist in ihrer gegenwärtigen
Verfassung nicht unmittelbar als Vorschule für die Aka-
demie geeignet. Allerdings weist sie in ihrem Lehrgang
eine beträchtliche Anzahl von Fächern auf, die auch dem
höheren Kunststudium vorausgehen müßten. So wie sie
sich bisher ausgewachsen hat, würde ihr eher der Name
einer künstlerischen Mittelschule zukommen; schmückt sie sich
doch heute noch wie in früherer Zeit gerne mit dem
Namen „Kunstschule". Sie verfügt auch über eine weib-
liche Abteilung, hält Prüfungen für die Zeichenlehrerinnen
ab, wird von Kandidaten für das Lehrfach des Zeichen-
unterrichtes an den Mittelschulen frequentiert. Die Mün-
chener Kunstgewerbefchule, eine Schöpfung des Bayerischen
Kunstgewerbevereins, genoß zuerst staatliche Subventionie-
rung und wurde später ganz vom Staate übernommen.
Die starken Erfolge unserer Gewerbe- und Fachschulen
führen hoffentlich dazu, daß auch die Kunstgewerbeschule
in eine „Gewerbekunstschule" umgewandelt wird und daß
sich der Unterricht hauptsächlich in einer Gruppe praktischer
Werkstätten vollziehen wird. Line Anzahl schulmäßig zu
lehrender Fächer könnte nebenhergehen. Vielleicht hat es
etwas Bedenkliches, diesen Werdegang zu stören und von
den Gewerbekunstschulen auch zu verlangen, daß sie den
vorunterricht für die zukünftigen Akademiker mit über-
nehmen.
Ich hoffe jedoch immer noch, daß diese Vereinigung
möglich und daß der lästige Pleonasmus vermieden werde,
wie er sich ähnlich bei dem Wettbewerb zwischen den
wissenschaftlichen und technischen Hochschulen so unangenehm
geltend macht.
Das, was gegenwärtig an der Akademie von Hilfs-
fächern gelehrt wird, gehört zum Teil wenigstens nicht an
die Hochschule; es sollte vor dem Uebertritt erledigt sein.
Hierbei würden die Bleigewichte, welche die Akademie her-
abzuziehen scheinen, von selbst wegfallen.
(Schluß folgt.)

Zn den Monaten Juli und August
erschien die „Werkstatt der Kunst" in vierzehntägigen
Zwischenräumen. — Das nächste Heft wird am

2. September au-gegeben. K K
 
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