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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 11.1911/​1912

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Heft 36.
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Redaktioneller Teil
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Wantoch, Hans: Das Recht der Bohème
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D.W.D.K.: II. Internationaler Kunstkongreß zu Paris 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.52948#0501

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heft 36.

Die Werkstatt der Kunst.

Künstlers in nachhaltiger weise schützt, die materiellen
aber der Willkür preisgibt. Auch das Gesetz scheint sich
zu genieren, die Kunst als wirtschaftlichen Erwerb zu
qualifizieren, dem der Rechtsschutz jedes anderen erlaubten
Gewerbes zusteht. Ls führt zu einem peinlichen Plagiat-
prozeß, wenn ein Autor von dem anderen vier oder fünf
Sätze ohne Gänsefüßchen übernimmt, aber es führt zu
einer Kaffeehausanekdote, wenn der Verleger den ganzen
Verdienst des Autors in seine Tasche steckt. Die Mitwelt,
die den Künstler, wie in den Tagen Kleists und Lilien-
crons, verhungern läßt, lächelt dann unter gerührten
Tränen über die Naivität des Dichters, aber sie tut nicht
das mindeste dagegen, das dem Künstler ihr posthumes
Mitleid ersparen könnte. Ueberall sucht man den wirt-
schaftlich Schwächeren zu schützen, nur das Kunstwerk ist
freie Beute für den Verleger oder den Direktor, der dann
— dies ist der bekannteste Fall der Historie — einen Dtto
Ludwig ein für allemal mit generösen 2000 Gulden für
seinen „Lrbförster" abfinden kann und die Bagatelle von
ein paar hunderttausend Kronen unbehelligt in die eigene
Tasche schiebt.
Gibt es ein Analogon dafür im ganzen übrigen
Rechtsleben? Lin blöderBauer, der sein Rindvieh mit qo K
statt mit 200 K verkauft, kann das Geschäft nach drei
Jahren noch anfechten (BGB. ß 934), weil er dabei über
die Hälfte geschädigt worden ist. „Der Lrbförster" wird
dem Rindvieh nicht gleichgehalten, und Gtto Ludwig ist
vor österreichischem wie reichsdeutschem Gericht gleich schutz-
los, denn der Verlagsvertrag, der dem Verleger das Recht
zu Vervielfältigung und Absatz (BGB. tz N6H) gibt, ist
ein Handelsgeschäft, und auf Handelsgeschäfte findet das
Anfechtungsrecht wegen laesio ultra cllmiclium (Schmäle-
rung über die Hälfte) keine Anwendung (HGB. Art. 286).
welch eine neidvolle Vorstellung gewaltiger Reichtümer
überkommt das Lesergehirn, wenn es quer über dem Titel-
blatt einen Annoncenzettel: „5OOOO Exemplare in drei
Monaten" findet. Aber es ist die Frage, wem die Ein-
nahme für diese Bücherreihe zufällt! Ls muß nicht unbe-
dingt der Autor sein. Und während man gerade die
hundertste Aufführung seiner Dper feiert, kann er vielleicht
nicht einmal das Entree für einen Galeriesitz erschwingen.
So ist es dem Komponisten des „Lvangelimann" ergangen,
der mit 20000 X für sein Werk endgültig abgefunden
worden ist. So und nicht anders war es mit dem Sen-
sationsroman des Leutnants Bilse, und die Dichterin eines
Modewerkes, das vor zwei Jahren Buch der Saison war
und in über tooooo Exemplaren verkauft worden ist,
nahm daraus nicht mehr als 8000 Mk. ein. Für diesen
Schundlohn hatte sie sich überdies noch des Uebersetzerrechts
begeben. Und damit in der Ausbeutertragödie die ironische
Pointe nicht fehle, hat der französische Uebersetzer des
Romans für seine Arbeit 20000 Franken bekommen; die
Uebersetzung eines Buches wurde mit ^0000 X höher
honoriert als die Schöpfung des Buches. Eine grellere
Groteske ließe sich kaum mehr erdenken. Keine Satire
könnte die Unrechtszustände im Kunstbetrieb drastischer be-
leuchten als diese Wirklichkeit. Soll man da noch die Serie
fortspinnen und den Fall erdichten, daß einer dafür zahlt,
damit ein anderer dadurch ein paar hunderttausend Kronen
verdiene? Unmöglich! Sicherlich nicht: denn es kommt
vor, daß ein Autor einen sog. Druckkostenbeitrag stellt,
d. h. dem Verleger für seine Liebenswürdigkeit, das Buch
zu verhandeln, zahlt, und es kann vorkommen, daß solch
ein Buch ein Bombenerfolg wird und Tausende abwirft,
wer hat Hesse vor dem „Peter Lamenzind", Frenffen vor
„Jörn Uhl" oder gar unseren Rudolf Hans Bartsch vor
den „Zwölf aus der Steiermark" gekannt und buchhändle-
risch gewertet? Und wer bürgt dafür, daß nicht morgen
ein vierter aufsteht,, der mit seinem ersten Werk die Welt
erobert und, beim Abschluß des Verlagsvertrages ein völlig
Unbekannter, dem Verleger dankbaren Herzens 500 oder
tooo X auf den Tisch legte, ohne sich irgendein Recht
vorzubehalten? was kann ein so geprellter Autor hinter-
drein tun? Den Mund sich abwischen und den Mund


halten; denn er ist nicht um einen Ochsen, sondern
um ein Geistesprodukt übervorteilt worden, und der
Staat und sein Recht nimmt sich -er betrogenen
Ochsenhändler an, aber nicht der betrogenen
Künstler.
was ein Rindvieh wert ist, läßt sich ohne weiteres be-
stimmen. Den kaufmännischen wert eines Kunst-
werkes aber bestimmt erst sein Verbrauch, d h der
Ankauf durchs Publikum. Diese Ziffer ergibt sich jedoch nicht
heute und nicht morgen, das Schicksal manches Buches ist es
gewesen, daß es sich erst nach drei, fünf oder zehn Jahren durch-
gesetzt hat. Soll aber deshalb der Dichter verhungern,
während sein Verleger Fett ansetzt? Die Künstler freilich
tragen schweigend ihr Los, denn auch in ihnen spukt das
blöde Vorurteil einer Antinomie zwischen Kunst und Geld
nach. Aber die Geffentlichkeit hat doch schließlich ein
Interesse daran, daß die Kunst nicht geradezu unter Kummer
und Sorge ersticke. Die Geffentlichkeit könnte dem Künstler
dieselbe Rechtswshltat der Anfechtung gewähren, wie
sie sie ohne weiteres jedem Fleischwucherer zusxricht.
II. Internationaler NunstkongreK zu
Paris 1912
(Siehe Werkstatt der Kunst X. Ihg., heft 3 t, vom
t. Mai t9U, S. H07.)
Wie erinnerlich ist auf dem I. Internationalen
Kunstkongrsß zu Nom (April der Gedanke
aufgetaucht, ein permanentes Komitee für die Ab-
haltung von Kongressen zu begründen, das aus
Delegierten aller Nationen zusammengesetzt sein sollte
und dem die Aufgabe übertragen wurde, die Frage
der nächsten Kongresse zu beraten.
Die französische Sektion dieses Komitees (Lomite
permanent des Louvres ^.rtistic^ues Internationaux)
hat ihre Mitglieder im Januar d. I. nach Paris
eingeladen und es wurde der Beschluß gefaßt, den
nächsten Kunstkongreß im Juni dieses Jahres (zur
Zeit der Salon-Ausstellungen) in Paris abzuhalten.
Sie ladet, der Unterstützung des frunzösischen Gou-
vernements gewiß und im Verein mit den vier
großen französischen Künstlervereinigungen (Lociete
des ^.rtistos Xran^ais, Lociete Xationale des
Leaux ^.rts, Lociete Lentrale des ^rcbitectes,
Association lazllor) nunmehr die großen Künstler-
gesellschaften, Kunstakademien und Künstler (Maler,
Bildhauer, Architekten, Graphiker), die Interesse an
der gemeinsamen Veranstaltung der internationalen
Ausstellungen, an der Festlegung der Bedingungen
der allgemeinen Wettbewerbe, an der Begründung
des internationalen Schutzes des geistigen Eigentums,
sowie des Vervielfältigungsrechtes an Werken der
Kunst lebender Künstler u. a. haben, zur Teilnahme
an dem II. Internationalen Kunstkongreß ein, der zu
Paris am 1H., 15 und 16. )uui stattfinden soll.
Künstler, die sich an dieser Veranstaltung be-
teiligen wollen, oder Künstlervereinigungen, die
 
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