Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 11.1911/1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.52948#0630
DOI Heft:
Heft 45.
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Freund, Karl: Ein frischer Luftzug nach Darmstadt, 2
DOI Artikel:Kunsthändler Fritz Krauß in Berlin-Steglitz
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.52948#0630
620
Die Werkstatt der Kunst.
Heft HZ.
und arbeiten gegen den Kunstverein, so daß sie an dem
zu langsamen Anwachsen der Mitgliederzahl ein gut Teil
Schuld haben, derselben Mitgliederzahl, welche der aus
ihrer Mitte hervorgegangene Aufsatz als eine zu geringe
bemängelt.
Kunstvereine kleinerer Städte, deren Mitgliederzahl (der
hessische hat rund 850) keine allzugroße darstellt, haben
neuerdings einen nicht ganz leichten Stand, sowohl dem
Publikum als den Künstlern gegenüber. Seit vielen Jahren
sind sie mit den Erzeugnissen jenes Dilettantismus über-
schwemmt worden, der in den großen Kunstausstellungen
keine Unterkunft fand und in kleineren Städten auch keine
Kunsthandlung als bequeme Ausstellungs- oder Verkaufs-
möglichkeit zur Verfügung hatte. Die Flut dieser Arbeiten,
welche unter Freunden und verwandten ihrer Verfertiger
gutwillige Beschauer und Käufer gefunden, hat die An-
sprüche des Kunstvereinspublikums an ein Kunstwerk recht
bedenklich herabgesetzt. Sie hat die bedeutenden Künstler
vor der Beschickung der Kunstvereinsausstellungen abge-
schreckt. Sie hat schließlich auch der guten einheimischen
Kunst und den tüchtigen ortsansässigen Künstlern einen
gar nicht gering anzuschlagenden Schaden zugefügt. Ent-
gegen der in ihren Statuten festgelegten wahren Aufgabe
der Kunstvereine hat dies hochgekommene System nicht die
Kunst und nicht die Künstler, sondern den Dilettantismus
und die Gewöhnlichkeit gefördert.
Hier glaubte nun eine ganze Reihe von Kunst-
vereinen, darunter der hessische, indem sie sich auf ihren
eigentlichen Wirkungsbereich besannen, einen Frontwechsel
vornehmen zu sollen. Sie taten dies, indem sie eine
strengere Auslese wie bisher unten den ihnen zur Ausstel-
lung angebotenen Werken vornahmen und indem sie größere
Sammlungen in ihre Räume leiteten, Sammlungen, deren
Inhalt geeignet war, dem Publikum wie den Künstlern
mustergültige Werke der modernen Kunst vor die Augen
zu bringen. So brachte der Darmstädter Kunstverein im
vergangenen Frühjahr eine große Sammlung französischer
Impressionisten (Monet, Pissarro, Sisley, Renoir und
Degas); er brachte ferner eine aus nahezu soo Stücken
bestehende Sammlung „internationaler Graphik", welche
eine Auslese des Allerbesten darstellte, was die graphischen
Künste in den letzten 60 Jahren überhaupt hervorgebracht
haben. Und als einmal die Zahl der unter 200 Werken
von der Jury ausgewählten Arbeiten nicht ausreichte, da
schloß allerdings der Kunstverein lieber seine Räume auf
einige Wochen, als daß er eine Ausstellung gezeigt hätte,
deren Zusammensetzung ihm mit seinem künstlerischen Ge-
wissen nicht vereinbar schien. Zudem sind Einrichtungen
getroffen worden, die eine raschere Abwicklung des Ver-
kehrs mit den Künstlern garantieren, und die dafür sorgen,
daß die Künstler vor einem vergeblichen Linsenden ihrer
Arbeiten, wenn es irgend möglich ist, von vornherein be-
wahrt werden.
Auf einem solchen mit Ernst und Bedacht gelegten
Grunde glaubt der Hessische Kunstverein ein Anrecht zu
haben auf allgemeine Achtung, auf die wohlwollende Ge-
sinnung und auf Förderung feiner Absichten von feiten
der Künstler am Grte sowohl als auswärts.
Allerdings liegt es auf der Hand, daß eine Reorgani-
sation wie diese, welche darauf bedacht ist, das Niveau der
Kunstvereinsausstellungen grundsätzlich zu heben, auch auf
widerstände stoßen und den Widerspruch derjenigen Künstler
herausfordern muß, welche gewohnt sind, in den Kunst-
vereinen nicht etwa Vereinigungen von Kunstfreunden zu
sehen, sondern bloße Gelegenheiten zum verkauf, wie die
Kunsthandlungen sie bieten, mit dem Unterschied jedoch,
daß jene billiger sind und in einem vornehmeren Geruch
stehen wie diese. Darin nämlich, scheint es, besteht
der Hauptirrtum, in welchem die Verfasser des gegen
den Hessischen Kunstverein gerichteten Aufsatzes befangen
sind.
was endlich den beabsichtigten Austritt der Gießener
Vereinsmitglieder angeht, welchen der Aufsatz in Zusammen-
hang mit dem besprochenen Systemwechsel zu bringen sucht,
so genügt es, zu konstatieren, daß der Gießener Zweig-
verein schon vor jener Reorganisation sich abzugliedern
vor hatte, und daß es nur mit Freude zu begrüßen ist,
wenn dieser Zweigverein innerhalb des Gesamtvereins so
kräftig werden konnte, daß er ein selbständiges Dasein zu
führen unternehmen darf. Or. Xurl l^reunä.
Runltkänctler fritz RraulZ in Verlin-
Steglitz
(vgl. den Artikel „Zur Beachtung" in Heft 29)
Beschluß.
In der Privatklagefache
des Kunsthändlers Fritz Krauß in Steglitz, Lothar-
Bucherstraße ^6,
Privatklägers,
vertreten durch den Rechtsanwalt Fritz Juliusberger in
Berlin, Friedrichstraße 228,
gegen
den Redakteur Fritz Hellwag in Zehlendorf-Mitte, Ger-
traudstraße ^0,
Beschuldigten,
vertreten durch die Rechtsanwälte Justizrat Jrmler, Or.
Friedrich Rothe und Dr. Ebers in Berlin, Jägerstr. 20,
wegen Beleidigung
wir- -ie Privatklage auf Nssten -es Privatklägers
zurückgewiesen.
Grün-e.
Der Beschuldigte hat als Redakteur der Zeitschrift
„Die Werkstatt der Kunst" in der Ausgabe vom
tS. April t9l2 im Anschluß an einen Artikel des Kunst-
malers Braune, worin dieser seine Kollegen bat, ihm
ihre Erfahrungen über den Privatkläger mitzuteilen, vor
dem Privatkläger gewarnt, da dieser den Künstlern minder-
wertige Teppiche liefere und von ihnen dafür Kunstwerke
entnehme, deren wert in keinem Verhältnis zur Ware
stehe.
Selbst wenn die Warnung und der in ihr liegende
versteckte Vorwurf unangebracht gewesen fein würden, liegt
in dem Verhalten des Beschuldigten keine strafbare Hand-
lung, da er gemäß seiner Aufgabe, die Künstler zu schützen,
in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hat
und weder aus der Form noch aus den Umständen das
Vorhandensein einer Beleidigung hervorgeht.
Nach den vom unterzeichneten Gericht angestellten Er-
mittelungen fällt dem Beschuldigten aber auch objektiv
ein verschulden nicht zur Last. Die Vernehmung des
Zeugen Gleich hat ergeben, daß der Privatkläger tat-
sächlich für wertvolle Gemälde einen minder-
wertigen Teppich zum Tausch gegeben hat.
Aus dem vortrage der Privatklage geht hervor, daß
der Privatkläger die Teppiche durch die Künstler
taxieren läßt, ohne selbst den wert anzugeben,
also ein geschäftliches Verfahren einschlägt, bei dem ein
Irrtum der in bezug auf Teppiche unerfahrenen Künstler
sehr leicht vorkommen wird.
Berücksichtigt man ferner, daß der Privatkläger laut
Pfändungsprotokoll und Jnterventionsschreiben ohne Mittel
ist, daß er von dem Kunstmaler Maecker Bilder genommen,
aber seine Verbindlichkeiten nicht erfüllt hat, daß er gegen
den Kunstmaler Braune ins Gelag hinein eine Klage
anstrengt und diese auf den Einwand erfolgter Zession
zurückgenommen hat (8. L. 6. t2. A. G. Lharlottenburg),
und Braune wegen der fruchtlosen Pfändung nicht mal
die Kosten des Prozesses zurückerlangen kann, so erscheint
das Verhalten des Beschuldigten auch objektiv voll gerecht-
fertigt. Gera-e im Interesse -er Aünftler war er
Die Werkstatt der Kunst.
Heft HZ.
und arbeiten gegen den Kunstverein, so daß sie an dem
zu langsamen Anwachsen der Mitgliederzahl ein gut Teil
Schuld haben, derselben Mitgliederzahl, welche der aus
ihrer Mitte hervorgegangene Aufsatz als eine zu geringe
bemängelt.
Kunstvereine kleinerer Städte, deren Mitgliederzahl (der
hessische hat rund 850) keine allzugroße darstellt, haben
neuerdings einen nicht ganz leichten Stand, sowohl dem
Publikum als den Künstlern gegenüber. Seit vielen Jahren
sind sie mit den Erzeugnissen jenes Dilettantismus über-
schwemmt worden, der in den großen Kunstausstellungen
keine Unterkunft fand und in kleineren Städten auch keine
Kunsthandlung als bequeme Ausstellungs- oder Verkaufs-
möglichkeit zur Verfügung hatte. Die Flut dieser Arbeiten,
welche unter Freunden und verwandten ihrer Verfertiger
gutwillige Beschauer und Käufer gefunden, hat die An-
sprüche des Kunstvereinspublikums an ein Kunstwerk recht
bedenklich herabgesetzt. Sie hat die bedeutenden Künstler
vor der Beschickung der Kunstvereinsausstellungen abge-
schreckt. Sie hat schließlich auch der guten einheimischen
Kunst und den tüchtigen ortsansässigen Künstlern einen
gar nicht gering anzuschlagenden Schaden zugefügt. Ent-
gegen der in ihren Statuten festgelegten wahren Aufgabe
der Kunstvereine hat dies hochgekommene System nicht die
Kunst und nicht die Künstler, sondern den Dilettantismus
und die Gewöhnlichkeit gefördert.
Hier glaubte nun eine ganze Reihe von Kunst-
vereinen, darunter der hessische, indem sie sich auf ihren
eigentlichen Wirkungsbereich besannen, einen Frontwechsel
vornehmen zu sollen. Sie taten dies, indem sie eine
strengere Auslese wie bisher unten den ihnen zur Ausstel-
lung angebotenen Werken vornahmen und indem sie größere
Sammlungen in ihre Räume leiteten, Sammlungen, deren
Inhalt geeignet war, dem Publikum wie den Künstlern
mustergültige Werke der modernen Kunst vor die Augen
zu bringen. So brachte der Darmstädter Kunstverein im
vergangenen Frühjahr eine große Sammlung französischer
Impressionisten (Monet, Pissarro, Sisley, Renoir und
Degas); er brachte ferner eine aus nahezu soo Stücken
bestehende Sammlung „internationaler Graphik", welche
eine Auslese des Allerbesten darstellte, was die graphischen
Künste in den letzten 60 Jahren überhaupt hervorgebracht
haben. Und als einmal die Zahl der unter 200 Werken
von der Jury ausgewählten Arbeiten nicht ausreichte, da
schloß allerdings der Kunstverein lieber seine Räume auf
einige Wochen, als daß er eine Ausstellung gezeigt hätte,
deren Zusammensetzung ihm mit seinem künstlerischen Ge-
wissen nicht vereinbar schien. Zudem sind Einrichtungen
getroffen worden, die eine raschere Abwicklung des Ver-
kehrs mit den Künstlern garantieren, und die dafür sorgen,
daß die Künstler vor einem vergeblichen Linsenden ihrer
Arbeiten, wenn es irgend möglich ist, von vornherein be-
wahrt werden.
Auf einem solchen mit Ernst und Bedacht gelegten
Grunde glaubt der Hessische Kunstverein ein Anrecht zu
haben auf allgemeine Achtung, auf die wohlwollende Ge-
sinnung und auf Förderung feiner Absichten von feiten
der Künstler am Grte sowohl als auswärts.
Allerdings liegt es auf der Hand, daß eine Reorgani-
sation wie diese, welche darauf bedacht ist, das Niveau der
Kunstvereinsausstellungen grundsätzlich zu heben, auch auf
widerstände stoßen und den Widerspruch derjenigen Künstler
herausfordern muß, welche gewohnt sind, in den Kunst-
vereinen nicht etwa Vereinigungen von Kunstfreunden zu
sehen, sondern bloße Gelegenheiten zum verkauf, wie die
Kunsthandlungen sie bieten, mit dem Unterschied jedoch,
daß jene billiger sind und in einem vornehmeren Geruch
stehen wie diese. Darin nämlich, scheint es, besteht
der Hauptirrtum, in welchem die Verfasser des gegen
den Hessischen Kunstverein gerichteten Aufsatzes befangen
sind.
was endlich den beabsichtigten Austritt der Gießener
Vereinsmitglieder angeht, welchen der Aufsatz in Zusammen-
hang mit dem besprochenen Systemwechsel zu bringen sucht,
so genügt es, zu konstatieren, daß der Gießener Zweig-
verein schon vor jener Reorganisation sich abzugliedern
vor hatte, und daß es nur mit Freude zu begrüßen ist,
wenn dieser Zweigverein innerhalb des Gesamtvereins so
kräftig werden konnte, daß er ein selbständiges Dasein zu
führen unternehmen darf. Or. Xurl l^reunä.
Runltkänctler fritz RraulZ in Verlin-
Steglitz
(vgl. den Artikel „Zur Beachtung" in Heft 29)
Beschluß.
In der Privatklagefache
des Kunsthändlers Fritz Krauß in Steglitz, Lothar-
Bucherstraße ^6,
Privatklägers,
vertreten durch den Rechtsanwalt Fritz Juliusberger in
Berlin, Friedrichstraße 228,
gegen
den Redakteur Fritz Hellwag in Zehlendorf-Mitte, Ger-
traudstraße ^0,
Beschuldigten,
vertreten durch die Rechtsanwälte Justizrat Jrmler, Or.
Friedrich Rothe und Dr. Ebers in Berlin, Jägerstr. 20,
wegen Beleidigung
wir- -ie Privatklage auf Nssten -es Privatklägers
zurückgewiesen.
Grün-e.
Der Beschuldigte hat als Redakteur der Zeitschrift
„Die Werkstatt der Kunst" in der Ausgabe vom
tS. April t9l2 im Anschluß an einen Artikel des Kunst-
malers Braune, worin dieser seine Kollegen bat, ihm
ihre Erfahrungen über den Privatkläger mitzuteilen, vor
dem Privatkläger gewarnt, da dieser den Künstlern minder-
wertige Teppiche liefere und von ihnen dafür Kunstwerke
entnehme, deren wert in keinem Verhältnis zur Ware
stehe.
Selbst wenn die Warnung und der in ihr liegende
versteckte Vorwurf unangebracht gewesen fein würden, liegt
in dem Verhalten des Beschuldigten keine strafbare Hand-
lung, da er gemäß seiner Aufgabe, die Künstler zu schützen,
in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hat
und weder aus der Form noch aus den Umständen das
Vorhandensein einer Beleidigung hervorgeht.
Nach den vom unterzeichneten Gericht angestellten Er-
mittelungen fällt dem Beschuldigten aber auch objektiv
ein verschulden nicht zur Last. Die Vernehmung des
Zeugen Gleich hat ergeben, daß der Privatkläger tat-
sächlich für wertvolle Gemälde einen minder-
wertigen Teppich zum Tausch gegeben hat.
Aus dem vortrage der Privatklage geht hervor, daß
der Privatkläger die Teppiche durch die Künstler
taxieren läßt, ohne selbst den wert anzugeben,
also ein geschäftliches Verfahren einschlägt, bei dem ein
Irrtum der in bezug auf Teppiche unerfahrenen Künstler
sehr leicht vorkommen wird.
Berücksichtigt man ferner, daß der Privatkläger laut
Pfändungsprotokoll und Jnterventionsschreiben ohne Mittel
ist, daß er von dem Kunstmaler Maecker Bilder genommen,
aber seine Verbindlichkeiten nicht erfüllt hat, daß er gegen
den Kunstmaler Braune ins Gelag hinein eine Klage
anstrengt und diese auf den Einwand erfolgter Zession
zurückgenommen hat (8. L. 6. t2. A. G. Lharlottenburg),
und Braune wegen der fruchtlosen Pfändung nicht mal
die Kosten des Prozesses zurückerlangen kann, so erscheint
das Verhalten des Beschuldigten auch objektiv voll gerecht-
fertigt. Gera-e im Interesse -er Aünftler war er