Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 11.1911/1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.52948#0209
DOI Heft:
Heft 15.
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Marcus, Otto: Kunstpflege und Kunstgenossenschaft
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Heft ^5. Die Werkstatt der Kunst. isHH
beeinflussen. Zunächst soll daher versucht werden,
die Klagen kurz zu skizzieren, welche die Künstler
aus den einzelnen Gebieten der Kunstpslege erheben.
Ls wird geklagt:
Das Publikum tritt den Kunstwerken zu selten
mit innerlich empfundener Anteilnahme gegenüber,
sondern oft ganz ahnungslos oder mit einer ange-
lesenen fremden Meinung. Der Ausstellungs- und
Galeriebesucher, der, mit dem „Führer" vor der
Nase, für das Kunstwerk nur einen flüchtigen Blick
hat, um festzustellen, ob alles stimmt, ist schon eine
typische Figur geworden, wie seinerzeit der Eng-
länder, der die Naturschönheiten nur mittels Bä-
deker genoß. Der Mangel an eigenem Urteil und
natürlicher Kunstempsindung verführt die Käufer,
sich wertlosestes Zeug (sog. wiener Bilder, fliegenden
Kunsthandel) ausschwatzen zu lassen. Sind sie be-
mittelt, so haben sie Angst, sich zu „bekaufen", sie
wollen ihr Geld gut anlegen, kaufen lieber „Namen",
statt im Besitz des Kunstwerkes einen Lebensgenuß
zu sehen. Die gezahlten hohen Preise kommen nur
zu geringem Teile dem Künstler zugute. Aufträge
auf Kunstwerke wie in guten Kunstzeiten werden
immer seltener.
Die Kunsthändler lassen zuwenig das Be-
streben erkennen, die Künstler zu Leistungen anzu-
spornen, den Geschmack des Publikums zu erziehen
und eine bessere Verständigung zwischen Konsumenten
und Produzenten herbeizuführen. Man sagt ihnen
künstliche Preistreibereien nach, deren unvermeidlicher
Rückschlag die Kunstliebhaber unsicher in ihrem
Urteil und kaufscheu macht. Auch unter übertrie-
bener Heranziehung ausländischer und alter Kunst
leidet die lebende deutsche Künstlergeneration. Die
Verleger haben, natürlich mit rühmlichen Aus-
nahmen, die es auch sonst überall gibt, durch ein-
seitige Bevorzugung der Photographie ganze Kunst-
zweige verkümmern lassen.
Häufig angegriffen werden die staatlichen und
kommunalen Kunstbehörden. Da sie über jeden
verwendeten Pfennig Rechenschaft ablegen müssen,
bieten sie allerdings auch die breitesten Angriffs-
flächen. Besonders wird bedauert, daß als Berater
der Behörden weniger die praktisch tätigen Künstler
als die reinen Theoretiker herangezogen werden.
Man hat sich schon schmerzlich damit abgefunden,
daß die Verwaltung der Sammlungen fast ausschließ-
lich den Theoretikern überlassen ist, aber auch als
Ratgeber bei Ankäufen werden die Praktiker immer
mehr in den Hintergrund gedrängt, so daß die
Sammlungen oft mehr Zentralstellen für Sammel-
sport als für Kunstpflege gleichen. Die aufgewen-
deten Summen scheinen oft in keinem Verhältnis
zur praktischen Bedeutung zu stehen. Auch beim
Rnterrichtswesen fängt die Theorie an, die Praxis
zu genieren.
Unbeliebt bei den Künstlern ist in der Regel die
Kunstkritik. Der Aerger hat ja oft persönliche
Gründe, aber von diesen abgesehen, bleibt auch vom
ganz allgemeinen Standpunkt aus noch genug zu
klagen. Dem breiten Publikum, das auch den aller-
einfachsten künstlerischen Dingen fremd gegenüber-
steht, das eine kolorierte und lackierte Photographie
von Malerei nicht unterscheiden kann, werden
schwierige Kunstprobleme in einem noch dazu häufig
mißverstandenen Atelierjargon vorgeführt. Die
Kritik, die sich früher als die subjektive Meinung
des Schreibenden gab, kleidet sich jetzt gern in das
Gewand objektiver Wissenschaftlichkeit. Urteile in
Geschmacksfragen, die nur auf angeborenem Talent
beruhen können und immer problematisch bleiben,
werden dem Publikum als wissenschaftlich begründet
hingestellt. Der Praktiker faßt sich an den Kopf,
wenn in diesem Blatt Dr. Th. o. Frimmel den Vor-
schlag macht, „statt der Schönheit den künstlerischen
wert zu kritisieren und dadurch verstandesmäßig
festzustellen, ob ein Kunstwerk . . . gut, mehr oder-
weniger mittelmäßig, schlecht ist, verglichen mit
Vorhergehendem und verglichen mit Gleichzeitigem".
Schwupp, ist alle Zurymisere aus der Welt geschafft.
Darüber, daß die hier kurz aufgezählten Klagen
berechtigt und schwere Mängel vorhanden sind, sind
sich wohl fast alle Künstler einig. Schwierig wird
die Sache erst, wenn man daran gehen will, Mittel
zur Besserung vorzuschlagen. Sehr viele Kollegen
sind schon zufrieden, wenn ihnen mal einer aus dem
Herzen gesprochen hat, mal alles das in guter Form
gesagt, was sie selbst gedacht. Sie können aber
böse werden, wenn man von ihnen verlangt, sie
sollen sich in ihrer Bequemlichkeit stören lassen und
selbst irgend etwas tun. Andere wollen mit
einer Sache schon nichts zu tun haben, wenn der
Kollege F., den sie nicht besehen können, darin der-
selben Meinung ist, wie sie selbst. Von diesen hoff-
nungslosen Kategorien abgesehen, findet man meist
die Meinung: um die Uebelstände in der Kunstpflege
zu beseitigen, müßten die Künstler die anderen, die
Laien, reformieren, „man" müsse den Laien, den
Kunsthändlern, den Behörden, den Kritikern, klar-
machen, daß sie auf dem Holzwege sind. Bei dem
„wie" scheitern allerdings schon die besten Absichten.
Ls muß leider konstatiert werden, daß Meinungs-
äußerungen der Künstler, wie sie jetzt wieder in
einer Broschüre, „Die kranke deutsche Kunst", zum
guten Ausdruck kommen, größtenteils nur in den
Reihen der Künstlerschaft selbst verbreitet werden,
daß sie in die große Masse des Publikums über-
beeinflussen. Zunächst soll daher versucht werden,
die Klagen kurz zu skizzieren, welche die Künstler
aus den einzelnen Gebieten der Kunstpslege erheben.
Ls wird geklagt:
Das Publikum tritt den Kunstwerken zu selten
mit innerlich empfundener Anteilnahme gegenüber,
sondern oft ganz ahnungslos oder mit einer ange-
lesenen fremden Meinung. Der Ausstellungs- und
Galeriebesucher, der, mit dem „Führer" vor der
Nase, für das Kunstwerk nur einen flüchtigen Blick
hat, um festzustellen, ob alles stimmt, ist schon eine
typische Figur geworden, wie seinerzeit der Eng-
länder, der die Naturschönheiten nur mittels Bä-
deker genoß. Der Mangel an eigenem Urteil und
natürlicher Kunstempsindung verführt die Käufer,
sich wertlosestes Zeug (sog. wiener Bilder, fliegenden
Kunsthandel) ausschwatzen zu lassen. Sind sie be-
mittelt, so haben sie Angst, sich zu „bekaufen", sie
wollen ihr Geld gut anlegen, kaufen lieber „Namen",
statt im Besitz des Kunstwerkes einen Lebensgenuß
zu sehen. Die gezahlten hohen Preise kommen nur
zu geringem Teile dem Künstler zugute. Aufträge
auf Kunstwerke wie in guten Kunstzeiten werden
immer seltener.
Die Kunsthändler lassen zuwenig das Be-
streben erkennen, die Künstler zu Leistungen anzu-
spornen, den Geschmack des Publikums zu erziehen
und eine bessere Verständigung zwischen Konsumenten
und Produzenten herbeizuführen. Man sagt ihnen
künstliche Preistreibereien nach, deren unvermeidlicher
Rückschlag die Kunstliebhaber unsicher in ihrem
Urteil und kaufscheu macht. Auch unter übertrie-
bener Heranziehung ausländischer und alter Kunst
leidet die lebende deutsche Künstlergeneration. Die
Verleger haben, natürlich mit rühmlichen Aus-
nahmen, die es auch sonst überall gibt, durch ein-
seitige Bevorzugung der Photographie ganze Kunst-
zweige verkümmern lassen.
Häufig angegriffen werden die staatlichen und
kommunalen Kunstbehörden. Da sie über jeden
verwendeten Pfennig Rechenschaft ablegen müssen,
bieten sie allerdings auch die breitesten Angriffs-
flächen. Besonders wird bedauert, daß als Berater
der Behörden weniger die praktisch tätigen Künstler
als die reinen Theoretiker herangezogen werden.
Man hat sich schon schmerzlich damit abgefunden,
daß die Verwaltung der Sammlungen fast ausschließ-
lich den Theoretikern überlassen ist, aber auch als
Ratgeber bei Ankäufen werden die Praktiker immer
mehr in den Hintergrund gedrängt, so daß die
Sammlungen oft mehr Zentralstellen für Sammel-
sport als für Kunstpflege gleichen. Die aufgewen-
deten Summen scheinen oft in keinem Verhältnis
zur praktischen Bedeutung zu stehen. Auch beim
Rnterrichtswesen fängt die Theorie an, die Praxis
zu genieren.
Unbeliebt bei den Künstlern ist in der Regel die
Kunstkritik. Der Aerger hat ja oft persönliche
Gründe, aber von diesen abgesehen, bleibt auch vom
ganz allgemeinen Standpunkt aus noch genug zu
klagen. Dem breiten Publikum, das auch den aller-
einfachsten künstlerischen Dingen fremd gegenüber-
steht, das eine kolorierte und lackierte Photographie
von Malerei nicht unterscheiden kann, werden
schwierige Kunstprobleme in einem noch dazu häufig
mißverstandenen Atelierjargon vorgeführt. Die
Kritik, die sich früher als die subjektive Meinung
des Schreibenden gab, kleidet sich jetzt gern in das
Gewand objektiver Wissenschaftlichkeit. Urteile in
Geschmacksfragen, die nur auf angeborenem Talent
beruhen können und immer problematisch bleiben,
werden dem Publikum als wissenschaftlich begründet
hingestellt. Der Praktiker faßt sich an den Kopf,
wenn in diesem Blatt Dr. Th. o. Frimmel den Vor-
schlag macht, „statt der Schönheit den künstlerischen
wert zu kritisieren und dadurch verstandesmäßig
festzustellen, ob ein Kunstwerk . . . gut, mehr oder-
weniger mittelmäßig, schlecht ist, verglichen mit
Vorhergehendem und verglichen mit Gleichzeitigem".
Schwupp, ist alle Zurymisere aus der Welt geschafft.
Darüber, daß die hier kurz aufgezählten Klagen
berechtigt und schwere Mängel vorhanden sind, sind
sich wohl fast alle Künstler einig. Schwierig wird
die Sache erst, wenn man daran gehen will, Mittel
zur Besserung vorzuschlagen. Sehr viele Kollegen
sind schon zufrieden, wenn ihnen mal einer aus dem
Herzen gesprochen hat, mal alles das in guter Form
gesagt, was sie selbst gedacht. Sie können aber
böse werden, wenn man von ihnen verlangt, sie
sollen sich in ihrer Bequemlichkeit stören lassen und
selbst irgend etwas tun. Andere wollen mit
einer Sache schon nichts zu tun haben, wenn der
Kollege F., den sie nicht besehen können, darin der-
selben Meinung ist, wie sie selbst. Von diesen hoff-
nungslosen Kategorien abgesehen, findet man meist
die Meinung: um die Uebelstände in der Kunstpflege
zu beseitigen, müßten die Künstler die anderen, die
Laien, reformieren, „man" müsse den Laien, den
Kunsthändlern, den Behörden, den Kritikern, klar-
machen, daß sie auf dem Holzwege sind. Bei dem
„wie" scheitern allerdings schon die besten Absichten.
Ls muß leider konstatiert werden, daß Meinungs-
äußerungen der Künstler, wie sie jetzt wieder in
einer Broschüre, „Die kranke deutsche Kunst", zum
guten Ausdruck kommen, größtenteils nur in den
Reihen der Künstlerschaft selbst verbreitet werden,
daß sie in die große Masse des Publikums über-