DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1903)
DOI Artikel:Bonus, Arthur: Begeisterungsreden
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0579
Jnmitten von Zeitungsphrasen und Begeisterungsreden konnte man
vor einiger Zeit in Berlin einige Reden hören, die wie ein Stück Kultur
in einer Wüste berührten. Es waren die Reden der Vertreter eines
Volkes, von dem die Begeisterungsredner rühmten, daß es zur Kultur
im europäischen Sinne fähig wäre.
Die europäische Kultur ist nämlich die Kultur überhaupt! Es
gibt einerseits niedere Kulturzustände, die in uns das Bild ihrer der-
einstigen herrlichen Zukunft verehren. Und wir andrerseits sind bereit,
die Segnungen unserer Kultur über sie ausströmen zu lasfen und sie zu
unserer Kulturstufe heraufzuziehen.
Mir scheint, es ist hier eine böse Verwechslung. Kulturstoffe freilich,
Materialien für eine Kultur find wohl in keinem Winkel der Erde in
solcher Masse aufgespeichert wie bei uns. Aber eine Kultur? Haben
wir überhaupt eine Kultur?
Jch werfe diese Frage nicht aus Pessimismus auf, sondern aus
Optimismus. Jch setze einen günstigen Fall damit, daß ich für
fraglich halte, ob wir eine Kultur haben; nicht etwa, weil ich Kultur
geringschätzte, sondern weil ich sie ersehne. Wäre unfragüch, daß wir
eine haben, so wäre damit nur gesagt, daß auch die bloße Möglichkeit,
zu einer zu kommen, verpaßt sei. Wir hätten dann Kultur in dem
Sinne, in dem ein Bucklicher Körperoollendung hat. Natürlich hat er
sie. Einen besseren Körper wird er nicht bekommen. Seine Körper-
entwicklung ist zu Ende. Das ist eben sein Unglück.
Kultur ist natürlicher Ausdruck gesteigerter geistiger Kräfte. Wenn
man denken müßte, daß unsere sogenannte Kultur ein natürlicher Aus-
druck der wirklich vorhandenen Kräfte sei, so wäre damit bewiesen, daß
unsere geistigen Kräfte bis in ihren Grund hinein verbogen und verlogen
stnd. Dann wäre aber auch unsere Arbeit völlig hoffnungslos — Saat
in einer Kiesgrube — dann sollten wir den Kunstwart lieber unter den
Zulus erscheinen laffen als in Deutschland. Unsere Hoffnung ift, daß
wir noch keine Kultur haben, sondern Barbarei unter einem schlechten.
2. Ianuarbeft
4:37
vor einiger Zeit in Berlin einige Reden hören, die wie ein Stück Kultur
in einer Wüste berührten. Es waren die Reden der Vertreter eines
Volkes, von dem die Begeisterungsredner rühmten, daß es zur Kultur
im europäischen Sinne fähig wäre.
Die europäische Kultur ist nämlich die Kultur überhaupt! Es
gibt einerseits niedere Kulturzustände, die in uns das Bild ihrer der-
einstigen herrlichen Zukunft verehren. Und wir andrerseits sind bereit,
die Segnungen unserer Kultur über sie ausströmen zu lasfen und sie zu
unserer Kulturstufe heraufzuziehen.
Mir scheint, es ist hier eine böse Verwechslung. Kulturstoffe freilich,
Materialien für eine Kultur find wohl in keinem Winkel der Erde in
solcher Masse aufgespeichert wie bei uns. Aber eine Kultur? Haben
wir überhaupt eine Kultur?
Jch werfe diese Frage nicht aus Pessimismus auf, sondern aus
Optimismus. Jch setze einen günstigen Fall damit, daß ich für
fraglich halte, ob wir eine Kultur haben; nicht etwa, weil ich Kultur
geringschätzte, sondern weil ich sie ersehne. Wäre unfragüch, daß wir
eine haben, so wäre damit nur gesagt, daß auch die bloße Möglichkeit,
zu einer zu kommen, verpaßt sei. Wir hätten dann Kultur in dem
Sinne, in dem ein Bucklicher Körperoollendung hat. Natürlich hat er
sie. Einen besseren Körper wird er nicht bekommen. Seine Körper-
entwicklung ist zu Ende. Das ist eben sein Unglück.
Kultur ist natürlicher Ausdruck gesteigerter geistiger Kräfte. Wenn
man denken müßte, daß unsere sogenannte Kultur ein natürlicher Aus-
druck der wirklich vorhandenen Kräfte sei, so wäre damit bewiesen, daß
unsere geistigen Kräfte bis in ihren Grund hinein verbogen und verlogen
stnd. Dann wäre aber auch unsere Arbeit völlig hoffnungslos — Saat
in einer Kiesgrube — dann sollten wir den Kunstwart lieber unter den
Zulus erscheinen laffen als in Deutschland. Unsere Hoffnung ift, daß
wir noch keine Kultur haben, sondern Barbarei unter einem schlechten.
2. Ianuarbeft
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