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Die Gartenkunst — 1.1899

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Hein, Heinrich: Rasengräser, Grassamen und Grassamenmischungen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20975#0081

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DIE GARTENKUNST

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Dasein bildet die treibende Kraft und die Mittel und Woge,
welche diese benutzt, sind nicht immer lauter und rein
wie ein krystallklarer Quell: vielmals sind die Wege ver-
worren und dio Mittel scheuen das Licht des Tages. —
Quousquo tandem?

Die nachfolgenden Zeilen beschäftigen sich mit einem
Gegenstande, der von vielen noch als ein Noli me tangere
angesehen wird, weil man sich nicht getraut — oder zu
bequem ist, einmal mit dem Althergebrachten, Unzoitgo-
mäfsen zu brechen. Zwei mächtige Gewalten stehen sich
hier feindlich gegenüber; auf der einen Seite Unwissenheit,
auf der anderen Gewinnsucht. Der Kampf neigto sich
bisher zu Gunsten der letzteren. Dem unterliegenden
Teile kann nur durch Aufklärung und eigenes Aufraffen
geholfen werden!

Nach der Natur der Sache mufs auch dieser Mahn-
ruf ein Prühlingsgrufs werden, denn mit dem einkehrenden
Prühlinge drängt sich der Gedanke als zeitgemäfs zur Lippe
und fliefst belehrend aus der Feder auf das fliegende Blatt
— und du, allbelobender Frühlingshauch, trag' es fort in
die weite, weite Welt!

Das Saatgut für Rasenanlagen.

Kaum ist ein neues Jahr ins Land gekommen, so
kommen sie alle miteinander und nacheinander, die vielen
hübsch geschmückten Frühlingsboten, welche unsere Samen-
händler in die Welt hinaussenden, die reich illustrierten
kleinen und grofsen, dicken und dünnen Kataloge: alle,
alle wetteifern, sich unsere Gunst zu erobern, jeder in
seiner eigenartigen ganz besonderen Weise. Wir heifsen die
hübschen Frühlingsboten alle herzlich willkommen,bringensie
uns doch alljährlich Neues und Schönes und so Manches,
was unser Interesse erregt. Wenn wir auch nur einen
bescheidenen Bedarf haben — das grofse Angebot er-
leichtert uns die Auswahl ungemein; können wir auch
nicht von allen kaufen, so findet doch jeder seine Ab-
nehmer und durch den fortwährenden Wechsel der Wankel-
mütigen wird ein weiterer Ausgleich vermittelt. Wohl ist
alljährlich ein riesiger Samenbedarf zu decken, doch riesig
ist auch das Angebot, so grofs, dafs doch die Konkurrenz
auf die raffiniertesten Kniffe sinnt, dem andern den Rang
abzulaufen. Solango ein solcher Wettbewerb um dio Gunst
des kaufenden Publikums auf reellen Bahnen sich bewegt,
kann das Publikum nur dadurch profitieren, werden aber
bewufst oder unbewufst Wege beschritten, welche die
nähere Prüfung nicht als einwandfrei anerkennen kann, so
ist man berechtigt, nach den bestimmenden Gründon zu
forschen, da das kaufende Publikum geschädigt wird.

Auf kaum einem anderen Gebiete sind Täuschungen
leichter möglich, als auf demjenigen des Grassamenhandels,
weil auf diesem Gebiete noch bei Verkäufern und Käufern
eine merkwürdige Unwissenheit und Unsicherheit herrscht.
Soweit es sich um reine Samen bestimmter Arten handelt,
ist es leichter möglich, sich gegen Schaden zu schützen,
als wenn Grassamenmischungen in Betracht kommen.
Letztere bieten für unlautere Manipulationen gewissenloser
Händler ein äufserst ergiebiges Operationsfeld. Im all-
gemeinen ist anzunehmen, dafs der Händler von

der Ware mehr kennt als der Kauf er. Daraus folgert,
dafs der erstere gegenüber dem letzteren immer im Vorteil
ist und dafs der Käufer dem Händler ein Vertrauen ent-
gegenbringen mus, das ihn diesem völlig ausliefert. Wohl
ist es daher gerechtfertigt, dafs man nach Mitteln und
Wegen gesucht hat, die Ungleichheit zwischen beiden auf
einMindestmafs herabzudrücken. Die Samenkontrollstationen
und die vielfachen Versuche, die Beteiligten aufzuklären,
haben sich vorzüglich bewährt. Eine Reihe Hilfsmittel
zur Verbreitung von Kenntnissen über Gräser und Gras-
samen sind nicht umsonst den Konsumenten zugänglich
gemacht worden und die Wandlung, die sich im Laufe
der letzten zwanzig Jahre auf dem Gebiete des Grassamen-
handols ganz allmählich vollzogen hat, bedeutet immerhin
einen enormen Schritt zum Besseren. Man braucht nur
die Kataloge, welche vor etwa 20 Jahren von den nam-
haften Firmen des Grassamenhandels herausgegeben sind,
mit denjenigen der gegenwärtigen Zeit zu vergleichen und
man wird von dieser Wandlung leicht überzeugt werden.

Aber es mufs noch anders und besser werden, wenn
wir diejenigen Ziele orreichen wollen, welche zu orreichen
sind! Mit Wort und Schrift und allem einschlagenden
Demonstrationsmaterial mufs dahin gearbeitet werden, dafs
auch im Grassamenhandel an Stelle des bisherigen blinden
Vertrauens ein solches mehr berechtigtes vorherrschen
kann und wirklich vorherrscht. Zu diesem Zweck ist es
nötig, dafs zunächst sich Käufer und Verkäufer noch mehr
als bisher befleifsigen, nicht nur äufserlich einigermafsen
die gewöhnliche Grassamen-Handelsware bestimmter Arten
unterscheiden zu können, sondern beide müssen auch die
Samenträger, die Gräser selbst kennen zu lernen suchen,
alsdann wird einem jeden von ihnen auch leichter, die
Form und Beschaffenheit der Frucht (unrichtig: des Samens)
in der Erinnerung bleiben. Zunächst müssen wir den

Bau der Oräser

eingehend studieren, um für das Nachfolgende das ab-
solut nötige Verständnis mitzubringen. Dio Wurzel
der Gräser ist fast immer faserig und nur in sehr wenigen
Fällen knollig. Bei manchen Arten finden sich lange unter
der Erdoberfläche sich hinziehende, kriechende Wurzelgobiide,
gliedförmig mit Knoten durchsetzt und an den Knoten mit feinen
Faserwurzeln mehr oder weniger dicht besetzt. Diese kriechen-
den Wurzelgebilde stellen einen unterirdischen Teil des Stengels
oder Halms dar; sie bilden den Wurzelstock. Der Wurzel-
stock treibt nach unten überall hin neue Wurzeln, nach
den Seiten und nach oben aber Knospen (Adventivknospen),
aus welchen dio Seitensprossen (Stolonen) hervorgehen.
Sie sind bei ausdauernden Gräsern von höchster Wichtig-
keit, indem sie die Bestockung der Graspflanze bedingen
und gewissermafsen das Bindemittel im Rasen bilden. Die
Bestockung einer Graspflanze ist für deren

Lebensdauer

von wesentlicher Bedeutung. Sie wird gefordert durch tief ge-
lockerten Boden und kräftige Düngung und trägt bei dem Zu-
treffen dieser beiden Bedingungen vielmehr zur Vermehrung

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