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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 11 - Nr. 20 (14.Januar - 24. Januar )
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MsriMatt und Kunst / Aus der MU ter Frau / Str LrleUmNr

Pfälzer Sole

Montag, 14. Januar 1935

70. Jahrgang / Ar. 11

Oer Tag der Entscheidung
Ruhiger Verlauf der Saarabstimmung /Lleberwäliigender Eindruck des enischeidungsvollen Tages / Vorbildliche
Disziplin der deutschen Vevölkerung / Verzweiflungssiimmung im Lager der geschlagenen „Einheitsfront"

DRV. Saarbrücken, 13. Jan.
Trübe Dämmerung lag noch über den ver-
schneiten Ortschaften des Saargebiets, als mor-
gens um )49 Uhr allerorts in 860 Wahllokalen
die Eröffnung der Volksabstimmung im Saar-
gebiet durch die neutralen Vorsitzenden der
Wahlbüros feierlich erklärt wurde. Endlose
Menschenreihen bewegen sich durch alle Städte
und Dörfer. Ueberall mahnen die Schilder der
Deutschen Front „Haltet Disziplin — tut schwei-
gend Eure Pflicht" —. Es herrscht seit den
frühen Morgenstunden ein ungewöhnlich starker
Auto- und Straßenbahnverkehr. Unermüdlich
schleppen Rote Kreuz-Wagen gebrechliche und
alte Menschen herbei. Man sieht Leute, die
kilometerweit von ihren Angehörigen in Roll-
wagen zu ihrem Abstimmungslokal gefahren
werden. Da die Bevölkerung Saarbrückens
alphabetisch über die 14-0 Wahllokale der Stadt
verteilt ist, haben viele Leute einen kilometer-
weiten Anmarsch von einem Ende der Stadt bis
-um andern. Lange Schlangen von Abstim-
mungsberechtigten stehen auf der Straße, halten
ihre Pässe und ALstimmungsausweise bereit,
warten geduldig, bis die Reihe an sie kommt
und sie durch ein winziges Kreuz mitentscheiden
über die Zukunft ihrer Heimat und den Frie-
den Europas.
In Saarbrücker Wahllokalen
Im Saarbrücker Stadtteil St. Arnual waren
mehr als zwei Wahllokale für die 1431 Saar-
brücker namens Müller reserviert. In
einem kleinen Raum sitzt der holländische Vor-
sitzende, umgeben von seinen vier Beisitzern, je
zwei Mitgliedern der Deutschen Front und der
Rückgliederungsgegner. Einzeln treten die Hun-
derte von Müller vor, zeigen ihre Pässe und
Stimmausweise; der Vorsitzende verliest mit
lauter Stimme Namen und Personalien, die
Beifitzenden kontrollieren in den Abstimmungs-
listen, welcher Johann Müller oder welche
Maria Müller nunmehr an der Reihe ist,
ob der Betreffende ordnungsmäßig eingetra-
gen wurde. Der Abstimmungsberechtigte be-
kommt sodann seinen Stimmzettel und den Um-
schlag ausgehändigt ,begibt sich in die Isolier-
zelle, um nach wenigen Sekunden dem Vor-
sitzenden den verschlossenen Umschlag mit der
von ihm getroffenen Wahl zu übergeben, der
ihn in Empfang nimmt und in die Urne wirft.
Anschließend wird der Stimmausweis ungültig
gestempelt, zu den Akten des Wahllokals ge-
nommen, der Paß des Abstimmungsberechtigten
ebenfalls mit einem Stempel versehen und dem
Abstimmungsberechtigten wieder ausgehändigt.
Alles vollzieht sich in größtem Schweigen. Aus
abschreckenden Beispielen kennt jeder die Ge-
fahr, die die geringste Willensäußerung mit sich
bringen könnte. Die Straßen Saarbrückens sind
beherrscht von den Schlepperautos und Wagen
des Roten Kreuzes.
Vorbildliche Disziplin
Treu der Parole der Deutschen Front enthal-
ten sich alle Abstimmungsberechtigten jeder äuße-
ren Kundgebung ihres Rückkehrwillens zu
Deutschland im Wahllokal, um dadurch nicht
ihre Stimme ungültig machen zu lassen. Aus
verschiedenen Orten werden vereinzelte Un-
gültigkeitserklärungen von Stimmen gemeldet,
die aber hauptsächlich auf allzu kleinliche Hand-
habung der Abstimmungsordnung zurückzufüh-
ren find. So wurden in Dudweiler von 341
Stimmen 10 für ungültig erklärt, weil der Um-
schlag nicht richtig zugesteckt war. Gegen dieses
bürokratische Verhalten des neutralen Wahl-
vorstehers wurde sofort beim zuständigen Ab-

stimmungskommissar protestiert. In Dreisbach
im Kreise Merzig hat um 12,30 Uhr die ge-
samte abstimmungsberechtigte Bevölkerung 100-
prozentig abgestimmt.
Zu einem tragischen Vorfall kam es in
Hallstadt, wo eine ältere Frau beim Aussteigen
aus dem Wagen einen Blutsturz erlitt, aber
trotzdem versuchte, sich mit letzter Energie ins
Wahllokal bringen zu lassen. Kurz vor der
Wahlhandlung ist die Frau aber verschieden.
Aus allen Orten des Saargebiets wird berich-
tet, mit welcher Aufopferung sich gerade
alte und gebrechliche Leute auf den Weg
machen, um ihre Stimme für Deutschland abzu-
geben. So wird aus Saarbrücken gemeldet, daß
eine am anderen Ende der Stadt wohnende
Frau es sich trotz ihrer 9 5 Jahre nicht neh-
men ließ, in der Turnhalle in Malstatt ihre
Stimme abzugeben, obwohl gerade dort ein be-
sonders starker Andrang zur Wahl herrschte.
Das Saargebiet reist
Die Abstimmungsbestimmungen sehen be-
kanntlich vor, daß jeder an dem Ort abstimmen
muß, an dem er am Stichtag im Jahre 1919
wohnte, Und so erlebte man es, daß ganze
Familien nach den verschiedensten Orten unter-
wegs sind. Da treffen wir auf eine Saarbrücker
Beamtenfamilie; der Mann muß nach Merzig,
die Frau nach St. Wendel und die fünf eben-
falls schon wahlberechtigten Kinder nach fünf
weiteren Orten des Saargebiets, in denen sie
geboren find. Ganze Familien werden ausein-
andergerisien, und manche Leute haben bei den
schlechten Verkehrsverbindungen fast eine Tages-
reise zurückzulegen, um ihrer Wahlpflicht genü-
gen zu können. Aber sie scheuen diese Mühe
nicht. Wir haben Arbeiter aus dem tiefen
Waldgebiet des Saarlandes getroffen, die
neun Kilometer zu Fuß im Schnee
gehen mußten, um das Wahllokal zu erreichen;
denn es war eine weitere Merkwürdigkeit die-
ser Wahl, daß nicht an jedem Ort sich ein Wahl-
lokal befand, wie das bei sonstigen Wahlen der
Fall ist, sondern daß die Einwohnerschaft aus
sieben, acht, teilweise bis zu 15 Orten in einem
größeren Orte abstimmen mußte. Dadurch war
ein riesiger Schlepperdienst bereitzustellen,
der aber von der Deutschen Front mustergültig
organisiert worden ist. Die Einwohnerschaft von
Hunderten von Orten mußte zu ihren Wahl-
orten transportiert werden, und es gab Stun-
den, in denen sich in manchen Dörfern nur we-
nigs Personen aufhielten, da alles andere zur
Wahl gefahren war. Gegen Mittag hatten in
den Dörfern des Warndt, im Kreise Merzig,
im Kreise St. Wendel und im Vlietz-Gebiet
schon fast sämtliche Wahlberechtigte abgestimmt.
So hatten z. V. von 255 Wahlberechtigten in
Karlsbrunn mittags schon 252 ihr Stimmrecht
ausgeübt, darunter auch der 86jährige
ehemalige Pfarrer von Karlsbrunn, der
den weiten Weg aus dem Ruhrgebiet nicht
gescheut hatte. Zum Transport wurden außer
sämtlichen Autobussen und Personenwagen des
Saargebiets auch 200 Postautobusse aus
Deutschland benutzt. Von einem Schlepperdienst
der Einheitsfront war nirgends etwas zu be-
merken. Im Kreise St. Wendel machte die Zahl
der Wahllokale einen besonders umfangreichen
Schlepperdienst erforderlich. 20 000 Leute muh-
ten hier befördert werden.
Festlich geschmückt
Sämtliche Orte waren geradezu überwälti-
gend schön geschmückt. Ob Warndt, ob Gau, ob
Vließ- oder Primetal, ob St. Wendel, ob Mer-
zig, überall zogen sich vom Ortseingang zum

Ortsausgang, links und rechts der Straße, un-
unterbrochene Tannengirlanden, die entweder
die Bäume der Dorfstrahe miteinander ver-
banden oder an besonderen Pfählen angebracht
waren. Große Ehrenpforten waren errichtet. An
den Fahnenstangen, die man großenteils
schwarz-weiß-rot gestrichen hatte, waren Sträuße
und Kränze angebracht. Die Gottesdienste wa-
ren überfüllt. So standen z. B. in Wehrden, wo
der bekannte Pfarrer Wilhelm predigte, die
Menschen bis vor dis Kirchentür.
Vor den Wahllokalen standen überall Ange-
hörige der Deutschen Front mit großen Schil-
dern, auf denen zu lesen war: „Erstes Ee-
bot:Maul halten!", und so standen denn
die Menschen in den Vorräumen der Wahl-
lokale selbst dichtgedrängt, stumm und schwei-
gend, um nicht ihre Stimme durch irgendeine
Bewegung oder ein Wort ungültig zu machen.
Auch in den Wahlräumen sprachen sie kein
Wort, nannten nur ihren Namen, sodaß sich der
Wahlvorgang völlig lautlos vollzog. In den
langen Schlangen aber, die auf der Straße vor
den Wahlhäusern selbst warteten, kamen Witz
und Humor zu ihrem Recht.An einer Stelle
war gegenüber einem bekannten Emigranten-
hauss an einem Fenster ein Besen befestigt wor-
den, an dem ein Koffer hing, ein gewiß un-
mißverständlicher Ratschlag an die Herren
Separatisten und Emigranten.
Die Abendstunden im Saargeibet
Am Abend des Abstimmungstages, schon gegen
18.00 Uhr, ist der Andrang in den Wahllokalen
fast überall abgeebbt- Draußen im Lands haben
fast überall die Abstimmungsberechtigten schon
gewählt, und nur dann und wann kommt noch
einer, der Dienst hatte oder sonst an oer Arbeit
war, um seiner Abstimmungspflicht zu genügen.
Es herrscht etwas gelangweilte Stimmung in
den Wahllokalen. Im Laufe des Nachmittags
hatte der Präsident der Abstimmungskommis-
sion, Rohde, eine Rundfahrt durch das Saar-
gebiet gemacht und eine Reihe von Lokalen in-
spiziert. Er hat dabei auch kleine Mißstände
abgestellt. Im allgemeinen ist es, von Ausnah-
men abgesehen, zu irgendwelchen Zwischenfällen
bei der Wohl nicht gekommen. Die Leute haben
alle in geradezu wundervoller Weise Disziplin
gehalten und sind den 18 Abchimmungsgeboten
der Deutschen Front restlos gefolgt-
Bei der Status-quo-Front ist man, je
weiter der Tag vorschritt, desto nervöser gewor-
den. Selbst ausländische Journalisten erzählen,
wie man im Gebäude der „Volksstimme" mit
bleichen Gesichtern Herumlaufe, wie dort in vie-
len Zimmern bereits gepackt und auch eine
Reihe von Räumen bereits ausgeräumt sei.
Man gebe dort die Schlacht längst verloren und
bereite sich auf die Abreise nach Elsaß-Loth-
ringen vor.
In den Straßen der Stadt Saarbrücken und
den anderen großen Städten herrscht am Abend
reges Leben. Alle Lokale sind über-
füllt. Es ist kaum ein Platz zu bekommen.
Und durch die in ihrer Lichterpracht glänzenden
Straßen fluten dichte Menschenströme auf und
ab, und das trotz des nassen Wetters, da der am
Samstag gefallene Schnee in den engen Straßen
der Städte getaut ist und nun ein richtiges
Matschwetter herrscht- Immer noch sieht man
die Autos des Motordienstes der Deutschen
Front hin und her flitzen, die letzten noch
Säumigen zu holen oder Sie letzten angemslde-
ten Kranken und Gebrechlichen in ihre Wahl-
lokale zu befördern. Schon jetzt ist eine unge-
heure Spannung zu spüren, und das Ge-
spräch des Abends ist überall der vermutliche

Achtung! Rundfunkhörer!
Bürckel wird dem Führer das AbstimmuNgSs
Ergebnis mitteilen
DNB. Berlin, 13. Ja«.
Der deutsche Rundfunk und dis ihm
angeschlossenen Sender der Welt übertragen am
Dienstag morgen um 8 Uhr aus Saarbrücken
das Abstimmungsergebnis des 13. Januar. Uu-
mittelbar im Anschluß an die Verkündung PM
Abstimmungsergebnisses spricht der Saar:bevoll-
mächtigte des Führers und Reichskanzlers «ud
wird dem deutschen Volke und seinem Führer das
Ergebnis melden. Angesichts des großen geschicht-
lichen Augenblicks versammelt sich das deutsche
Volk zum Gemeinschaftsempfang an deu Laut«
sprechern.

Ablauf der Wahl. Es werden Prozentzahlen Mr
die Wahlbeteiligung genannt und Mutmaßungen
für das Abschneiden der beiden Richtungen
gestellt.
Es ist aber müßig, vorher irgendeine Proph-
zeiung machen zu wollen.
Nur eins ist unbedingt sicher: der Sieg der
Deutschen Front. Denn das hat der ganze
Tag eindeutig bewiesen. Nirgends sah oder
bemerkte man noch etwas vom Status ffuo.
Er war vollkommen in der Versenkung «er-
schwungen.
Mehrer Mitglieder und Beamte der Abstim-
mungskommission äußerten sich außerordentlich
anerkennend über die musterhafte Organisa-
tionsarbeit und die schon immer erneut als be-
wunderungswürdig gepriesene Disziplin der
Deutschen Front, durch die ihnen die Arbeit in
den letzten Tagen, insbesondere aber auch dis
Arbeit in den Wahllokalen am heutigen Tage
so außerordentlich erleichtert worden sei- Lang-
sam und stockend ging die Arbeit nur dort, wo
die Wahlvorsitzenden der deutschen Sprache nicht
mächtig waren. Aber auch dort ist es zu nen-
nenswerten Zwischenfällen irgendwelcher Art
nicht gekommen.
Die Volksabstimmung geschlossen
Um 19 Uhr war der Ansturm in den Wahl-
lokalen fast vollkommen abgeflaut. Im Abftim-
mungslokal 1 im Rathaus Saarbrücken fanden
sich kurz vor 20.00 Uhr eins Reihe von Journa-
listen und Vilderberichterstattern ein, um dem
denkwürdigen Augenblick des Schlusses der Wahl
beizuwohnen. Der Wahlvorsitzende Johann
Peter Martin, Eerichtssekretär in Luxemburg,
sck'loß punkt 20 Uhr die Wahl, indem er durch
einen Polizeibeamten weiteren Personen den
Eintritt in das Wahllokal verwehren ließ- Wie
er selbst erklärte .ist jedoch von 18.55 Uhr ab
niemand mehr im Wahllokal erschienen Die
Leute hätten mustergültige Disziplin gehalten,
kein Murren habe man gehört, obwohl manche
bis zu einer Stunde hätten warten müssen. Von
den 629 Wahlberechtigten in seinem Bezirk hät-
ten nur 17 nicht abgestimmt. Da die Wahl-
berechtigten nach dem Alphabet auf die Abstim-
mungslokale verteilt waren und die Absrim-
mungsausweise ebenfalls alphabetisch numeriert
wurden, so erhielt dieNümmer 1 bei der
Volksabstimmung im Saargebiet der am
9. Ang. 1863 in Bingen a. Rh. geborene Ober-
lokomotivführer i- R. Franz Aach. Dis Zahl
der ungültigen Stimmen ist ebenfalls in seinem
Wahllokal außerordentlich gering. Auch die Be-
obachtungen in allen anderen Bezirken berechti-
gen zu der Feststellung, daß die ganze Saarbe-
völkerung restlos ihre Pflicht getan
 
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