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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 61 - Nr. 70 (13. März - 23. März)
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WWMM mit Kunst / Aus der Mit dkl Frau / Sie LrkMM

Pfälzer Sole

Donnerstag, 21. Mrz 19ZS


70. Jahrgang / Ar. 68



Eine Attacke Flandtns
Wieder die Kriegsschuldlüge! / Die „geheiligten
Rechte" des Vertrages / Frankreichs Macht
und seine Bündnisse

Aus der Durchfahrt von Stuttgart nach Darmstadt

Heidelberg, den 21. März 1935.
Ein paar kurze telephonische Anrufe an
den wichtigsten Nachrichtenstellen der Stadt,
worunter natürlich auch die Zeitungsredak-
tionen rechnen, und
im Nu war der Alltag zu einem Festtag
gewandelt. Das Wunder geschah gestern mit-
tag, als unerwartet rasch die Meldung ein-
lief, daß der Führer und Reichskanzler Adolf
Hitler auf seiner Reise vom Süden nach
dem Norden auch unsere Stadt besuchen
werde. Wie ein Lauffeuer hatte sich das,
was zunächst nur einige wenige, die an den
„Zentralen" sitzen, erfahren hatten, von
Mund zu Mund weiterverbreitet. Ganz Hei-
delberg machte sich da auf die Beine. Nichts
konnte mehr zurückhalten. Selbst der strenge
Dienst mußte sich ob dieser Freudennachricht
eine kleine Einschränkung gefallen lassen, Da
konnte „kein Kaiser und kein König was
dran machen", das war eine glatte Selbstver-
ständlichkeit, daß man lieber nachher Ueber-
stunden machte, als daß man dielen denkwür-
digen Augenblick, den Führer Aug in Aug
sehen zu können, hätte ungenützt Vorbei-
gehen lassen. Aus dem Geschäftsleben, oen
sonst recht verstaubten Büros, aus den Villen
und armen Hütten strömten die Menschen zu
den Straßen, durch die die Durchfahrt der
Wagen vermutet wurde. Kurz vor 3 Uhr
kam der Führer von Sinsheim das Neckartal
herauf hier an der Stadtgrenze an. Er fuhr
die Neuenheimerlandstraße, über die Fried-
richsbrücke zum Vismarckvlatz und von dort
durch die Leovoldstraße zum „Euroväischen
Hof". Schon bei der Anfahrt begrüßte den
Führer und sein Geiolg der stürmische Jubel
der Bevölkerung. Im „Europäischen Hof"
nahmen die Herren einen kleinen Imbiß ein
und verweilten dort bis etwa 4.30 Ubr.
Unter dem Gefolge des Führers bemerkte
man den Adsutanten Brückner und die Ober-
führer Schaub und Schreck. Von der Stadt
waren u. a. der Oberbürgermeister Dr.
Neinhaus, Polizeidirektor Hennin-
ger und Kreisleiterftellvertreter Seiler
gekommen, um den Führer in der Stadt
herzlichst?u begrüßen.
Zn großrr Erwartung
Inzwischen hatte die Nachricht auch die letz-
ten Volksgenossen erreicht, und so war es
nicht zu verwundern, daß es vor dem „Euro-
päischen Hof,, zu einem „mörderischen Ge-
dränge" kam. Aus Fenstern, von den Dä-
chern und von den Bäumen versuchten sich
die Menschen einen Blick nach dem Hotel zu
verschaffen. In der Anlage und in den Zu-
gangsstraßen wimmelte es, und es war schon
ein wagemutiges Unterfangen, wenn sich
eine junge Frau mit ihrem Kinderwagen
beinahe bis an den Eingang einen Weg zu
bahnen versuchte, um den Reichskanzler auch
einmal sehen zu können. Mit Mühe nur
konnte der liebenswürdige Polizist der Frau
klar machen, daß sie das Leben des kleinen
Kindes riskiere, wenn sie sich weiter durch
das Gedränge schaffen wolle. Auch sonst
konnte man die wunderlichsten Einfälle, die
aus einer Begeisterung einziger Art geboren
waren, feststellen. Berge von Fahrrädern,
Motorräder und Autos stauten sich und bei
einer solchen Lage war es nur zu bestaunen,
wie kundig und wie schnell die Absperrungs-
kommandos die allernötigsten Zugänge frei-
halten konnten. Freilich bei der Weiter-
fahrt am Bahnhof entlang konnten auch die
„eisernen Ketten" nicht mehr standhalten.
Im übrigen war es ein sehr ziviles Absper-
rungskommando: die wackeren VdM-Mäd-
chen, Frauen, junge Männer und wer nur
immer benötigt wurde, stellte sich gern zur
Verfügung, um den Weg zu bahnen.
Es war ein wunderschöner Anblick, diese
Volksversammlung so einmütig und doch be-
geistert und von stürmischem Verlangen ge-
drängt. die sich da in der Umgebung des
„Europäischen Hofes" und auch den Gaisberg
hinauf gebildet hatte. Den Kindern wurde
freier Zugang gewährt. Geduldig wartete

Der Führer verläßt den „Europäischen Hof .



Die Menge erwartet ihren Führer.
man und horchte, ob vielleicht einer von
denen, die einen „höheren Standpunkt",
nämlich auf Bäumen und Zäunen oder sonst
wo eingenommen hatte, melden konnte, daß
der Führer komme. In Sprechchören, die
sich spontan bildeten, wurde dem Führer
schon vor seinem Erscheinen zugrufen: „Lie-
ber Führer sei so nett, zeig dich doch am
Fensterbrett!" — „Wir wollen unseren Füh-
rer sehen!". Die Geduld riß keinem. Nur,
daß da und dort manchmal unverantwort-
liche Eroberungen — nämlich eines besseren
Platzes — gemacht wurden. Da entschlüpfte
dann schon mal der Nachbarin ein heftiges
Wort über die drängelnde Genossin, die mit
„unheimlicher Geschmeidigkeit" schließlich ihre
Nase am weitesten vorne hatte. Aber das
störte natürlich den herrlichen Frieden nicht.
Die Sonne lachte ja über diesem „Hitlertag"
im ausgesprochenen Sinn des Wortes. Man
erfreute sich an den Muskelanstrengungen,
die ein tüchtiger Turner am „Reck" eines
Baumes machte, um schließlich doch erfolglos
zu bleiben.
Inzwischen war die Zeit des Aufbruchs
des Führers näher gerückt. Wie wir hören,
hatte er eine sehr erfreute Unterhaltung in
den Räumen des Hotels mit den Vertretern
gepflegt und sich auch in das goldene Buch
der Stadt eingetragen.

?/roic>8 von A/freci Kupp», UercielberZ.
„Irr Führer kemmt!"
ging auf einmal gegen 4.30 Uhr die Parole
durch die Menge. Von einem kleinen Mäd-
chen wurde ihm beim Besteigen des Wagens
ein Blumenstrauß überreicht. Zuvor war das
Deutschlandlied angestimmt worden und nun
folgte auch das gemeinsam und begeistert
gesungene Kampflied „Die Fahne hoch, die
Reihen dicht geschlossen". Zum Himmel ho-
ben sich Tausende von Händen. Und die Be-
geisterung zwang alle wie auf ein Kom-
mando zu dem Führer hin, der
im Wagen stehend gütig die Menge grüßte
und bitten mußte, daß ihm der Weg frei-
gegeben werde. So hatte man bei dem Ge-
dränge den Vorteil, den Kanzler recht lange
sehen zu können. Die Befürchtung, wenig-
stens für diejenigen, die am Anfang der An-
lage standen, daß die Wagen nach links zum
Schloß abbiegen würden, bewahrheitete sich
glücklicherweise nicht. Freilich, wie gesagt,
glücklicherweise nur für die, die in der Fahrt-
richtung standen. Die Wagen fuhren am
Bahnhof entlang, dann über den Bismarck-
platz, Friedrichsbrücke, Richtung Darmstadt.
Ueberall war der Weg von Volksgenossen
umsäumt, die dem Führer zujubelten.
(iFowGetzumg stshe Seite 8Z

DNB. Paris, 20. März.
Vor vollbesetztem Hause eröffnete Minister-
präsident Fl and in mit einer eineindreivier»
telstündigen Rede die heutige Senatssitzung. Da-
bei ging er auf die Proklamation der Reichs-
regierung hinsichtlich der Wehrpflicht ein
Man habe dieses Ereignis als Folge der Ver-
öffentlichung des englischen Weißbuches und der
Erklärung der französischen Regierung hinstel-
len wollen. Diese Behauptung stehe im Wider-
spruch zu den Tatsachen. Die 12 Armeekorps und
die 36 Divisionen seien in Wirklichkeit schon vor-
handen gewesen. Außerdem sei acht Tage früher
der amtliche Beschluß der Schaffung einer deut-
schen Streitmacht zur Luft bekanntgegeben wor-
den. Man stehe also dem Abschluß einer Politik
gegenüber, wobei man die Proklamation sicher-
lich absichtlich mit der Heldengedenkfeier zusam-
menfallen ließ, um den Eindruck zu verstärken.
Aber diese Proklamation entspreche einer Auf-
fassung, die. wenn sie von der Welt angenommen
würde, die Vernichtung der aus dem Völker-
bund fußenden Arbeit bedeuten würde.
Wo bleibe die Gerechtigkeit, von der
die Satzungen des Völkerbundes sprechen, wenn
jeder sich das Recht beimesse, die Verpflichtun-
gen der Verträge zu verleugnen? Was bleibe
von der Kraft des internationalen Rechtes
übrig, wenn man die eigene Kraft jeder
Nation an die Stelle dieses Rechtes setze?
Seit 15 Fahren habe Frankreich viel für die
Annäherung und die Wiederversöhnung der bei-
den großen Völker getan. Aber diese Versöh-
nung könne nicht auf der Verkehrung der Wahr-
heit und auf der Ableugnung des Rechtes und
der Gerechtigkeit fußen. Es sei nicht wahr, daß
das deutsche Volk nach 4^jährigem Kriege die
Waffen niedergelegt hab" Heber die
Verantwortung au tfesselung des
Kriege
sei Urrell längsi gesproßen Lr, Flandin,
werde nicht zulassen, daß dieses Urteil in Ver-
jährung gerate (!). Er fordere Hitler auf, die
Erinnerungen eines seiner großen Vorgänger,
nämlich des Fürsten Bülow, zu lesen über die
Umstände, unter denen die Kriegserklärung
Deutschlands an Rußland erfolgt sei. Eine ver-
trauensvolle Zusammenarbeit der beiden Völ-
ker, eine Zusammenarbeit, die der Wunsch aller
sei, könne nicht Zustandekommen durch das Ver-
gessen der Verantwortlichkeiten. Es sei nicht
wahr, daß das deutsche Volk freiwillig die Waf-
fen im Fahre 1918 niederqelegt habe. Gewiß
habe das deutsche Volk kraftvoll bis zum Schluß
gekämpft, das werde niemand leugnen. Aber der
Waffenstillstand sei unterzeichnet worden, da
Frankreich ihn gewollt habe, um neue Verluste
zu vermeiden, da die Koalition der Völker, die
für das Recht gekämpft hätten, siegreich gewesen
sei, ebenso wie sie es in Zukunft sein würde.
Auch sei die Behauptung unrichtig, Frank-
reich habe seine Abrüstungsverpslichtungen
Vergesse man denn ore Verminderung der Effek-
tivstärke, die Frankreich vorgenommen und die
über 50 v. H. betragen habe? Vergesse man, daß
Frankreich die Dauer der Militärdienstzeit nach
und nach von drei Fahren auf ein Fahr ver-
kürzt habe? Bei der Kriegsmarine habe Frank-
reich den Tonnengehalt von 768 000 Tonnen im
Fahre 1914 auf 550 000 Tonnen verringert.
Ebenso seien die Luftstreitkräfte vermindert wor-
den. Beim Waffenstillstand habe sich. Frankreich
von dem Wunsche zur Abrüstung leiten lassen.
Wenn Frankreich nicht mehr getan habe,
so nur wegen der Aufrüstung, die jenseits des
Rheins fortgesetzt worden sei. Es sei ferner nicht
wahr, wenn erklärt werde, das Reich Habs seine
Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag aus-
geführt. Das Reich führe dis amtliche Vernich-
tung des Materials an, vergesse aber, die Neu-
bauten aufzuzählen, die insgeheim vorgenommen
worden seien und die hinter einer offiziellen
Abrüstung eine tatsächliche Aufrüstung darstellten
Flandin ging dann dazu über, darzulegen, daß
Frankreich nach und nach auf die wesentlichen
Klauseln des Versailler Vertrages verzichtet
habe. Von Spa bis Lausanne sei die Liste der
französischen Verzichte auf seine geheiligten For-
derungen an Deutschland lang. Die französischen
Steuerzahler hätten zu zahlen und würden noch
lange zu zahlen haben für Zerstörungen,
die nicht auf die Kriegshandlungen zurückzusuh«
ren seien, sondern bewußt und systematisch von
den deutschen Truppen während der Besetzung
des französischen Gebietes vorgenommen worden
seien (!). Fn Lausanne habe man darunter einen
Strich gezogen (Flandin gebrauchte den Aus-
druck: Schwamm drüber), und kürzlich erst
habe Frankreich die Saarabstimmung
nicht um eine einzige Stunde verzögert. Da«
 
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