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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 51 - Nr. 60 (1. März - 12. März)
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MlsrMakt M Kunst / Aus trc Mi! trr Frau / Sir Lrirstuate

Pfälzer Sole

Dienstag, 12. März 1935

70. Jahrgang / Ar. 60

Oie große Aussprache im Unterhaus
Valdwm und Simon über die Politik der Regierung / Vertrauensvotum angenommen

DNB London, 11. März.
Nach Wochen eintöniger Aussprache über die
Indienvorlage stand das Unterhaus am Mon-
tag wieder einmal im Zeichen eines großen
Tages. In dem äußeren Bild deutet allerdings
— von dem Gedränge auf der Diplomatenloge
abgesehen, nicht viel darauf hin, daß die Aus-
sprache über die Wehrpolitik der Regierung von
größter Bedeutung ist.
Das Mißtrauen der Opposition „schwebt"
über der Regierungsbank, auf der mit der
üblichen Gelassenheit die Kabinettsmitglicder
Platz genommen haben. Hinter ihnen sitzt, von
den Einpeitschern der nationalen Regierung
sorgfältig bewacht, das Heer der Regierungs-
anhänger, gut diszipliniert und trotz zahlreicher
persönlicher Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit
der Veröffentlichung des Weißbuches jederzeit
bereit, ihr „Nein" gegen den Mißtrauensantrag
der Arbeiterpartei und ihr „Ja" für den die
Regierung unterstützenden Abänderungsantrag
Sir Austen Chamberlain abzugeben.
Auf den Bänken der Opposition herrscht, rein
äußerlich gesehen, keine Kampfstimmung. Die
üblichen Zwischenrufe während der der Aus-
sprache vorausgehenden Zeit der kleinen An-
fragen zeugen nicht davon, daß sich die Opposi-
tion auf den Kampf mit der Regierung freut.
Auf den Tribünen herrscht fieberhafte
Spannung. Die für das diplomatische
Korps sowie für hervorragende Gäste und die
Presse reservierten Bänke sind bis auf den letz-
ten Platz gefüllt. Von der deutschen Botschaft
ist der Militärattache Freiherr Eeyr von
Schweppenburg erschienen. Die den Mitglie-
dern des Oberhauses vorbehaltenen Bänke wei-
sen dagegen große Lücken auf.
Der stellvertretende Oppositionsführer
Major Attlee,
der zu Beginn der großen Aussprache zunächst
sein Bedauern über die Unpäßlichkeit des Mini-
sterpräsidenten ausgesprochen hatte, nannte ein-
leitend in seiner Rede zur Begründung des
Mißtrauensantrages der Arbeiterpartei das
Weißbuch ein ebenso bemerkenswertes wie
beklagenswertes Dokument.
Es sei gesagt worden, so führte der Redner
dann aus, daß große Bemühungen unternom-
men werden sollten, um einen Luftpakt zwi-
schen England, Frankreich, Belgien und Deutsch-
land abzuschließen. Die Tatsache, daß unmittel-
bar vor dem Besuch des Außenministers in Ber-
lin ein Weißbuch in dieser Form veröffentlicht
werde, sei ganz ungewöhnlich. Er sei sich im
Augenblick nicht sicher, ob der im Weißbuch
enthaltene Hinweis auf die deutsche Wiederauf-
rüstung und den kriegerischen Geist in Deutsch-
land berechtigt sei oder nicht' aber es sei merk-
würdig, daß der Außenminister freundschaftliche
Besprechungen in Deutschland führen sollte und
daß gleichzeitig ein Dokument dieser Art ver-
öffentlicht werde, mit dem notwendigerweise in
Deutschland Anstoß erregt werden müsse.
Attlee befaßte sich sodann mit dem übrigen
Inhalt des Weißbuches, das niemand eine sorg-
fältige Darlegung der geschichtlichen Entwick-
lung der Versuche nennen könne, Sicherheit und
Abrüstung herbeizuführen. In dem ersten Teil
des Weißbuches, der praktisch den Völkerbunds-
gedanken aufgebe, werde in keiner Weise auf
Schiedsgerichtsbarkeit und Kriegsverzicht als
einem Mittel der Politik Bezug genommen. Es
werde erklärt, daß im Ernstfall die vorhandene
internationale Maschinerie keinen Schutz gegen
einen Angreifer gewähren könne. Attlee führte
in diesem Zusammenhang die Genfer Beschlüsse
an, die den Austritt Japans aus dem Völker-
bund vorsehen und erklärte, weder die britische
Regierung noch irgend eine andere Regierung
hätten ihre Pflichten erfüllt, nachdem Japan
al- Angreifer festgestellt worden sei.
Der Redner ging weiter auf die von den ver-
schiedensten Seiten während der Abrüstungs-

verhandlungen vorgebrachten Vorschläge ein, die
vielleicht stets grundsätzlich angenommen, aber
nie ausgearbeitet worden seien. In dem Weiß-
buch werde das ganze trübe Kapitel des Fehl-
schlagens der Abrüstungskonferenz übergangen.
Zu dem auf Deutschland Bezug nehmen-
den Teil des Weißbuches sagt Major Attlee, die
Arbeiterpartei sei gegen das heutige System in
Deutschland, aber es sei nur fair, zu sagen, daß
es auch andere Länder gebe, die ihre Jugend
nach militärischen Grundsätzen erzögen. Ab-
rüstung müsse eine Angelegenheit sein, die alle
Länder gleichzeitig angehe. Zu den engli-
schen Rüstungen meinte Attlee, man könne
den Teufel nicht mit Beelzebub vertreiben. Der
Oppositionsredner gab seiner lleberzeugung
Ausdruck, daß es gegen Luftangriffe kein Ver-
teidigungsmittel gebe. Das Weißbuch kenn-
zeichne einen völligen Wechsel in der Politik. Es
werfe England in die Vorkriegsatmosphäre, in
ein System von Bündnissen und Rivalitäten und
in ein Rüstungswettrennen zurück; aber die Ar-
beiterpartei sei nicht gewillt, die alten Metho-
den mitzumachen, und er glaube, daß die junge
Generation der ganzen Welt diese Politik der
alten Männer zurückweisen werde.
Nach den Ausführungen des Oppositionsred-
ners erhob sich unter lautem Beifall der Re-
gierungsbänke der Präsident des Staatsrates,
Saldwin
um als erster Regierungsredner den Stand-
punkt des Kabinettes über die englische Wehr-
politik darzulegen.
Baldwin, der etwa 50 Minuten sprach, be-
gann mit der Feststellung, daß das Weißbuch
nach seiner lleberzeugung ein Dokument
von geschichtlichem Interesse werden
würde.
„Ich bin der Ansicht", so erklärte Baldwin,
„daß die britischen Staatsmänner aller Par-
teien seit der Gründung des Völkerbundes viel
getan haben, um die Genfer Körperschaft gegen
die Opposition von Ländern zu halten, die den
Völkerbund jetzt verlassen haben. England
ist nach wre vor gewillt, durch den Völkerbund
für die Zukunft zu arbeiten. Wir müssen jetzt
daran erinnern — und das ward bei den Ge-
sprächen über kollektive Sicherheit und Sank-
tionen oft vergessen — daß dem Völkerbund

nicht alle Staaten angehören, und das Kollek-
tivsystem infolge dessen nicht vollständig ist.
Zwei Großmächte haben ihren Austritt erklärt.
Sie haben damit dem Kollektivsystem nun
einen schweren Schlag versetzt. Ein
großes Lanv hat überhaupt nie die Verpflich-
tung des Völkerbundes übernommen. Wir
wünschen von ganzem Herzen die Univer-
salität des Völkerbundes. Aus diesem
Grunde haben wir auch den Eintritt der Sow-
jet-Union begrüßt und niemals unsere Bemüh-
ungen eingestellt, Deutschland zu überreden, sei-
nen Entschluß rückgängig zu machen und wieder
Mitglied in Genf zu werden. Im Rahmen des
jetzt bestehenden Systems haben wir zusammen-
gearbeitet. um regionale Sicherheitsabmachun-
gen auf der Grundlage der Festigung und gegen-
seitigen Unterstützung zu fördern. In der gegen-
wärtigen Lage des Völkerbundes ist es schwerig,
eine vollständige kollektive Sicherheit zu schaffen.
Solange die Zeit hierfür noch nicht gekommen
ist, muß versucht werden, an dieser oder jener
Ecke in den verschiedenen Teilen Europas ein
Abschreckungsmittel gegen etwaige
Angreifer zu finden, das stark genug ist,
eine Kriegsgefahr zu verringern.
Was diejenigen Stellen des Weißbuches an-
geht, die den Umfang unserer Rüstun-
gen betreffen, so gehen die Vorschläge dieses
Dokumentes nicht weiter, als es im vergange-
nen Sommer hinsichtlich der Verstärkung der
Luftstreitkräfte beschlossen worden ist. Das
Haus wird sich vielleicht erinnern, daß kurz
nach meiner Rede im Unterhaus im vergange-
nen November, als wir die Frage der deutschen
Rüstungen besprachen, der Ansicht Ausdruck ge-
geben wurde, daß ich mit zu großer Offenheit
gesprochen hätte. Nun gut, es ist eine Tatsache,
daß das europäische Barometer ganz kurze Zeit
nach dieser Rede stieg und daß die allgemeine
Stimmung in Europa zwar nicht auf „Schön-
wetter" stand, aber „schöneres Wetter" an-
kündigte.
In der Tat hoffte die britische Regierung, so
führte der Redner dann weiter aus, aus die-
sem Anlaß wieder einmal die dornigsten aller
Fragen, nämlich die der Sicherheit und der
Rüstungen aufwerfen zu können. Zu diesem
Zweck begrüßten wir den Besuch der französi-
schen Minister im Februar. Das im Anschluß

Abstimmungssieg derRegienmg
Der Mißtrauensantrag der Arbeiterpartei
gegen die Negierung wurde am späten Abend
des Montag mit der überwältigenden Mehrheit
von 424 gegen 79 Simmen abgelehnt.
Gin Zwischenfall
DNB London, 12. März.
Ein Zwischenfall ereignete sich im
Unterhaus, als am Montag bei der Red« de»
Abgeordneten Sir Roger Key es plötzlich ruf
der ZuschauertriLüne zwei Frauen von ihren
Sitzen aufsprangen und eine Reihe von Flug-
blättern in den Saal hinabwarfen. Die ein«
der Frauen rief: „Nicht einen Penny für den
Krieg!", während die andere schrie: „Die
Frauen wollen Frieden! Nieder mit dem Weiß«
buch!" Die Ruhestörerinnen wurden von den
Saaldienern sofort aus dem Unterhaus Ent-
fernt. Ein ähnlicher Zwischenfall wiederholte
sich später bei der Rede des Außenministers
Simon, der jedoch seine Rede nicht zu unter-
brechen brauchte, da die Saaldiener auch hier
kurzen Prozeß machten und die beiden Personen
— es handelte sich wieder um zwei Frauen —
einfach aus dem Saal trugen.

an diesen Besuch veröffentlichte Communiqus
drückte die Hoffnung der beiden Regierungen
aus, da der in den vergangenen beiden Mo-
naten erzielte Fortschritt durch eine
direkte Zusammenarbeit mit Deutschland
fortgesetzt werden würde. An diesem Com-
muniqus halten wir fest.
Baldwin erwähnte den Vorschlag auf Ab-
schluß eines Luftabkommens unter den Locarno-
Mächten, das dazu bestimmt sei, den Miß-
brauch der modernen Entwicklung in der Luft zu
verhindern. Nach Auffassung der französischen
und britischen Regierung war die Bezugnahme
auf direkte und wirksame Zusammenarbeit mit
Deutschland von besonderer Bedeutung und wir

Zusammenbruch des griechischen Aufstandes
Die Führer der Aufständischen aus bulgarisches Gebiet geflüchtet

DNB Athen, 12. Mürz.
Wie nunmehr bestätigt wird, ist General Ka-
menos mit 17 Offizieren unter Mitnahme von
KV Millionen Drachmen auf bulgarisches Gebiet
geflüchtet. Zwei weitere Sonderzüge mU Rebel-
len sind, hiesigen Meldungen zufolge, in Rich-
tung Dedeagatsch abgefahren.
Als die vier Autos der Flüchtlinge in unmit-
telbarer Nähe der bulgarischen Grenze in der
grundlos ausgeweichten Straße stecken blieben,
näherte sich ihnen eine verstärkte regierungs-
treue griechische Grenzwache, die offenbar oen
Auftrag erhalten hatte, die Flucht der aufstän-
dischen Offiziere nach Bulgarien zu verhindern.
Als die Offiziere die Wache bemerkten, flüchte-
ten sie unter Mitnahme ihres Gepäcks in wilder
Hast der bulgarischen Grenze zu. Nur drei von
ihnen blieben auf den Kraftwagen zurück und
ergaben sich. Als die Wache sie entwaffnen
wollte verübte einer von ihnen, ein Haupt-
mann, Selbstmord mit der Pistole.
Die griechischen Soldaten setzten nunmehr den
flüchtenden Offizieren nach, die bereits das bul-
garische Gebiet erreicht hatten und bei den bul-
garll-en Grenzposten standen. Als die Ver-

folger Anstalten machten, auf die Offiziere zu
schießen, erklärte einer der Befehlshaber der
bulgarischen Wache, daß diese das Feuer der
Griechen sofort erwidern würden. Di« griechi-
schen Soldaten zogen sich hierauf zurück. Nach
diesem Zwischenfall erst erklärte Kamenos und
seine Offiziere, die sich zunächst als Regierungs-
kommissionäre ausgegcben hatten, den bulgari-
schen Erenzoffizieren, wer sie eigentlich seien.
Sie künftige Politik
Griechenlands
DNB. Athen, 11. März.
Ministerpräsident Tsaldaris empfing er-
neut den Vertreter des DNB in seiner Privat-
wohnung. Trotz aller Ermüdung und der arbeit-
erfüllten Nächte, die ihre Spuren in seinem
Antlitz eingezeichnet haben, erschien er sichtlich
erfreut und befriedigt über die Entwicklung der
Lage. Nach einleitenden Worten, in denen er
die Haltung Venizelos' scharf verurteilte,
erklärte Tsaldaris, die traurigen Ereignisse, die
jedes Gewissen ergreifend bewegen, geben Grie-
chenland Gelegenheit, die Lag« des Landes
innen- und außenpolitisch zu bereinigen. Veni¬

zelos hat oft die Gelegenheit benutzt, der Re-
gierung, die das Vertrauen des Volkes genießt,
internationale Schwierigkeiten zu bereiten.
Wenn wir die inneren Schwierigkeiten endgül-
tig überwunden haben, werden wir ohne Zau-
dern unsere Außenpolitik entwerfen und sichern,
die klar und einfach ist.
Wir wissen genau, welcher ungeheure Scha-
den unserem Kredit durch diese Katastrophe im
Ausland zugefügt worden ist, aber ich bin sicher,
daß Griechenland die gleiche Politik der Befrie-
dung und Annäherung, die es bisher geführt,
fortsetzen wird, ohne sich durch innere Intrigen
beeinflussen zu lassen. Zu der Frage der Ent-
wicklung der Innenpolitik nach dem Ende des
Putsches meinte Tsaldaris: lieber die Form, die
unsere Innenpolitik nach der Niederwerfung des
Aufstandes und der Ueberwindung der Krise
annehmen wird, ist es noch verfrüht zu sprechen.
Wir werden mit unseren Ministern die Lage
prüfen und uns bemühen, dem politischen Leben
des Landes eine solide, feste Basis zu geben. Die
Tatsache, daß eine enge Verständigung zwischen
den zusammenarbeitenden Parteichefs besteht,
bedeutet ein sicheres Pfand, daß wir die sicherste
politische Basis finden werden.
 
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