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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 51 - Nr. 60 (1. März - 12. März)
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Pfälzer Bote

Samstag, 9. März 1935

70. Jahrgang / Nr. 58

Vor der Entscheidungsschlacht in Griechenland

Fliegerangriff ans Serres
DNB. Athen, 9. März. 15 Negierungsflug-
DUige belegten am Freitag die Kasernen und den
Dahn Hof von Serres mit Bomben. Gleichzeitig
führten sie einen Erkundungsflug durch die Um-
gebung von Serres aus. Der Strymon-Fluß ist
Aber die User getreten und hat große Ueber-
fchwemmungen angerichtet. Im übrigen ist die
Lage an der Front die gleiche wie am Donners-
tag. Die Stimmung bei den regierungstreuen
Kruppen ist ausgezeichnet.
Die Athener Telegraphenagentur
'teilt mit: Die Gerüchte, daß in Griechenland eine
Aensur über Briefe eingeführt sei, sind vollkom-
men unbegründet. Selbst die Telegrammzensur,
die vom Kriegsrecht vorgeschrieben ist, wird so
weitherzig gehandhabt, daß, wie jeder feststellen
kann, alle Nachrichten über die Ereignisse in die-
sen Tagen ins Ausland gelangen, abgesehen
natürlich von rein phantastischen Meldungen.
Verhaftungen sind tatsächlich vorgenommen wor-
den, aber lediglich zu dem Zweck. Wühlereien
oppositioneller Kreise zu unterbinden.
Lebensmittelmangel
hei den Aufständischen
Munitionsnrangel bei den Negierungstruppen?
DNB. Athen, 8. März.
Die Stellungen der Aufständischen in Maze-
donien wurden am Freitag mittag von 13
Flugzeugen der Regierungstruppen erfolgreich
.mit Bomben belegt. Sicheren Nachrichten zu-
folge haben die Aufrührer allen Mut
verloren, da sich bei ihnen ein empfindlicher
Mangel an Lebensmitteln bemerkbar macht.
Lenizelos soll die Absicht haben, nach
Legyptsn zu flüchten.
Aus Belgrad wird gemeldet: Obwohl die
ftidslawische Presse keinesfalls einen Sieg der
Aufständischen in Griechenland begrüßen würde,
geht aus ihren Berichten hervor, daß sich die
Lage der Regierungsstreitkräfte
nicht nur in Mazedonien, sondern auch auf den
Inseln des Aegäischen Meeres allmählich
verschlechtert. Seit Donnerstag mittag ist
in Mazedonien eine große Schlacht im Gange,
wobei aber nicht die Regierungstruppen, son-
dern die Aufständischen die Angreifer zu sein
scheinen. Dis Schlacht scheint sich auch zu Gun-
sten der Aufrührer zu entwickeln. Der Kanonen-
donner, der ursprünglich an der griechisch-bulgari-
schen Grenze deutlich hatte vernommen werden
können, verlor sich im Laufe des Freitag immer
weiter nach Süden. Nachrichten aus Saloniki
besagen, daß die Stadt in Verteidigungs-
zustand gesetzt wird. Trotz des ungünstigen
Wettevs sollen mehrere Flugzeuge der Aufstän-
dischen die staatlichen Gebäude in Saloniki bom-
bardiert haben. Die Flugzeuge der Regierungs-
truppen beschränkten sich dagegen auf das Ab-
werfen von Flugzetteln.
In.Velgrad ist man der Meinung, daß das
ernsteste Hindernis für die Regierungstruppen
der Munitionsmangel ist. Dieser Um-
stand und nicht das Wetter soll an der Untätig-
keit gegenüber den Aufständischen schuld sein.
Da alle großen Munitionslager Griechenlands
im Norden und Rordosten des Staates errichtet
worden waren, befinden sie sich jetzt im Besitze
der Aufständischen, die die Verteilung der Waf-
fen und der Munition unter der mobilisierten
Bevölkerung beendet zu haben scheinen.
Benizelos verwundet?
DNB. Athen, 8. März. Wie der griechischen
Regierung durch den Hafenkapitän von Bolo
mitgeterlt wurde, ist dort ein südslawisches Tor-
pedoboot eingelausen, das einen aufsehenerregen-
de» Funkspruch über den Aufständischenführer
Benizelos aufgefangen haben will. Danach
soll Benizelos ernsthaft verwundet mor-
de« sei« und geaenwärtig von einem Torpedo-
boot der Aufrührer «ach Alexandrien gebracht

Der griechische Völkerbundsvertreter unter-
richtet sich
DNB. Genf, 8. März. Der griechische Vertre-
ter beim Völkerbund, Raphael, hat Freitag
nachmittag beim Generalsekretär des Völker-
bundes vorgesprochen. Der Besuch hatte, wie in
unterrichteten Völkerbundskreisen verlautet, rein
informatorischen Charakter. Der griechische Ver-
treter wollte sich über die durch den Schritt
Bulgariens geschaffene Lage erkundigen.
Banknoten verbrannt
DNB. Athen, 8. März. Der Wirtschafts-
Minister Pesmatzoglou hat angeordnet, daß in
allen Städten, die von Aufständischen bedroht
werden, die Banknoten verbrannt werden.
Nach Telegrammen von den Inseln Lhioa und
Syros sind die dortigen Bankleiter der Anord-
nung nachgekommen. - Sie haben insgesamt
Banknoten in Höhe von 150 Millionen Drach-
men (3,531 Mill. RM) den Flammen über-
geben.
Komnwniffenberhastungen
DNB. Paris, 8. März. Nach einer Havas-
Meldung aus Athen hat die Polizei vorsichtshal-
ber in Athen und einigen Städten der Provinz
viele bekannte Kommunisten, die als gefährlich
für den sozialen Frieden angesehen würden,
verhaftet.

DNB. Kowno, 8. März.
Im Memelländer-Prozeß ergriff am Freitag
Eeneralstaatsanwalt Monstavicius das Wort.
Er beschäftigte sich besonders eingehend mit
den Angeklagten aus der Neumann-Partei. Im
wesentlichen hielt er sich, wie sein Vorgänger,
General Wiemer, ebenfalls an die Behauptun-
gen der Anklageschrift.
Dann stellten General Wiemer und Eeneral-
staatsanwalt Monstavicius die Strafanträge.
Es wurden beantragt: gegen die Hauptange-
klagten aus der sogenannten Iesuttis-Gruppe
(ein Fall, der bekanntlich durch die Verhand-
lung nicht geklärt ist, in dem aber die Anklage
einen sogenannten Feme-Mord erblickt hat),
Priest Wannagat, Boll, Gottschalk und Lepa,
die Todesstrafe durch Erschießen.
Gegen die Mitangeklagten dieser Gruppe,
Jakschat, wurde lebenslängliches Zuchthaus be-
antragt.
Lebenslängliches Zuchthaus wurde ferner be-
antragt gegen die beiden Angeklagten der so-
genannten Wallat-Gruppe, wobei es sich um
einen Vauernstreit handelt, der aber von der
Anklage als ein politischer Anschlag hingestellt
wurde.
Gegen die Hauptangeklagten aus der soge-
nannten Neumann-Gruppe, d. h. die Mitglieder
der Sovog, Neumann, Vertuleit, Rademacher
und sechs weitere Hauptführer dieser Partei
wurden je 15 Jahre Zuchthaus beantragt, gegen
die sogenannten Gruppenführer je 12 Jahre
und gegen alle übrigen Mitglieder der Neu-
mann-Partei einschließlich des litauischen
Spitzels Molinnus je 8 Jahre Zuchthaus.
Gegen die Mitglieder der sogenannten Saß-
Gruppe, d. h. die christlich-sozialistische Arbeits-
gemeinschaft (ESA) wurden folgende Anträge
gestellt: gegen die Hauptangeklagten Saß und
von der Noppe je 12 Jahre Zuchthaus, gegen
die Kreisleiter je 10 Jahre Zuchthaus und die
Führer der sogenannten Stammeskreise je 10
Jahre Zuchthaus und die anderen von 6 bis 9
Jahren Zuchthaus.
*
Wenn man auch im Memellsnderprozetz fchon
nach der Anklage erwartet hatte, daß die
Litauer strenge Strafen beantragen würden, so
hat der am Freitag ausgesprochene Schreckensan-
trag doch wie eine Bombe einzeschlagen. Frei-
lich mutz man dem Ankläger Sksnstaviei«, M.

Französische Neutralität
DNB. Paris, 8. März.
Die über die Lage in Griechenland eintreffen-
den Nachrichten haben in hiesigen politischen
Kreisen einige Beunruhigung ausgelöst.
Die von der Türkei und anscheinend auch von
Bulgarien getroffenen oder in Aussicht gestellten
Vorsichtsmaßnahmen lassen die Besorg-
nis aufkommen, daß die zunächst rein innergrie-
chischen Angelegenheiten außenpolitische
Auswirkungen haben könnten, denen die
an dem Frieden auf dem Balkan und dem Mit-
telmeer interessierten Mächte nicht gleichgültig
gegenüberstehen konnten. Man hofft allerdings,
daß folgenschwere Verwicklungen vermieden
werden und legt deshalb größten Wert auf die
Feststellung, daß sich Frankreich, genau wie Eng-
land, vollkommen neutral verhalten und
weiter alles unterlassen werden, was einer
Stellungnahme für eine der beiden griechischen
Parteien gleichkommen würde.
It«lienische Kriegsschiffe nach dem Dsdrksnes
ausgelaufen
DNB. Rom» 8. März. Im Hinblick auf die
Ereignisse in Griechenland sind der Kreuzer
„Trento" und die Zerstörer „A. da Mosto" und
„A. Pigafetta" nach dem Aegäischen Meer aus-
gelaufen. Sie werden zunächst einen Hafen des
Dodekanes anlaufen.

gute halten, daß er die Vorunl'rsuchung geführt
hat und die Angeklagten und Zeug?» zum Teil
unter Martern durch seine Leute bedrohen lieh,
wie aus der Beweisaufnahme eindeutig hervor-
ging. Bezeichnend ist, daß in den Zuschauer-
logen die Litauer aus der guten Haltung, mit
denen die Angeklagten die Strafanträge ent-
gegennahmen, glaubten schließen zu müssen, daß
die Angeklagten höhere Strafen (!) erwartet
hätten.
Man wird obwarten müssen, ob das litauische
Gericht, das sich bekanntlich aus höheren Offi-
zieren zusammensetzt, diesen völlig unverständ-
lichen und unerhörten Strafanträgen folgen
wird. Es ist aber wohl kaum anzunehmen, daß
das Gericht und die litauische Regierung ent-
gegen dem klaren Ergebnis der Zeugenaussagen
zu einem solchen Rechtsbruch die Hand rei-
chen wird.
Vrennende Kirchen in Spanien
DNB. Madrid, 8. März.
Aus El Ferrol wird gemeldet, daß die Kirche
von Brion (Provinz Coruna) von unbekannten
Tätern in Brand gesteckt und bis auf die Grund-
mauern zerstört wurde. Man nimmt an, daß es
sich bei den Brandstiftern um marxistische Ele-
mente handelt.
Auch in Puertollano (Provinz Cindad Real)
zündeten in der vergangenen Nacht unbekannte
Täter die Kirche an. Da der Brand jedoch recht-
zeitig von Einwohnern bemerkt wurde, konnte
er von ihnen im Verein mit der Polizei gelöscht
werden, ohne daß größerer Schaden angerichtet
wurde.
1358 Eisenbahnunfälle in zwei Monaten!
Moskau, 8. März. Der neue Verkehrskom--
missar der Sowjetunion, Kagunowitsch. Hal
einen Sonderausschuß eingesetzt, der die unhalt-
baren Zustände an der Perm Eisenbahnlinie
untersuchen und abstellen soll. In den Monaten
Januar und Februar haben sich auf dreier
Linie nach amtlicher Mitteilung 1358 kleinere
und größere Unglücksfälle ereignet, die auch
Menschenleben forderten. So stürzte kürzlich
infolge Unachtsamkeit der Beamten ein Güter-
zug mit 30 Waggons in die Tiefe. Die gesamte
Verwaltung der Bahn soll nsuorganisiert und
eine große Reihe »euer Beamter berufen
w«rden.

AemdMerkehrspolitik
1935
Man wirbt heutzutage um Reisend« mit den
merkwürdigsten Mitteln. Sie sind ein wertvol-
les Kompensationsobjekt geworden, die harm-
losen Touristen, die nichts ahnend die Schönhei-
ten dieser Welt genießen wollen. Man tauscht
sie gegen Schweinchen aus, wie es Polen und
Oesterreich machten. Man verhandelt sie gegen
Kohlen, wie es Deutschland und die Schweiz ab-
geschlossen haben, und wird sie demnächst gegen
Apfelsinen oder getrocknete Pflaumen austau-
schen. Seitdem die Völker arm geworden sind,
gehen sie kärglich mit der Gastfreundschaft um.
Aus dem Reiseverkehr ist ein Handelsobjekt ge-
worden . . .
Frankreich bekam von veilleicht allen gro-
ßen Reiseländern der Welt den Wandel der
Zeiten am stärksten zu spüren. Kamen 1927
noch 2 137 000 Touristen mit 12 Milliarden
Franken in der Tasche, um sie in Paris oder
an der Riviera loszuwerden, so waren es 19L4
nur noch 700 000 mit 2 Milliarden Franke«.
Die Folgen davon, die tödliche Langeweile im
Montmartre, die geschlossenen Modehäuser, die
ruinierten Parfumläden und die leerstehende«
Hotels an der Riviera und in den Modebade-
orten der Atlantischen Küste kann jeder Be-
sucher Frankreichs heute hinreichend studieren.
Man empfindet dies in Frankreich selbst wie
eine Katastrophe und ruft in den Parlamenten
sogar nach Abhilfe. Man ünll ein staatliches
Touristenpropagandaamt mit beträchtlichen Mit-
teln wieder aufziehen und die Preise senken, die
heute Frankreich zu dem wohl teuersten Touri-
stenland Europas gemacht haben. Was nutzt
aber dies alles, wenn die sehr ängstlichen älte-
ren Reisenden aus England und den Vereinig-
ten Staaten von dauernden Unruhen in Frank-
reich lesen, wenn sie von Bekannten die Schika-
nen schildern hören, denen Ausländer heute
vielfach ausgesetzt sind, wenn die Studenten an
der Sorbonne die ausländischen Studierenden
verprügeln. So etwas spricht sich herum in der
Welt. Jeder, der heimkehrt, erzählt es den
anderen, daß Paris aufgehört hat, die Stadt
ungezwungener Freiheit, Leichtlebigkeit und un-
begrenzter Vergnügungsmöglichkeiten zu fein.
Nichts ist tödlicher für den Fremdenverkehr als
die Langeweile.
Den relativ größten Anteil an dem ausländi-
schen Fremdenverkehr hat sich immer noch Ita-
lien zu sichern verstanden. Die Anstrengungen
Mussolinis waren allerdings auch enorme ver-
billigte Bahnfahrten zu jedem nur erdenklichen
Anlaß, eine Riesenpropaganda in allen Ländern,
ein unbezweifelbares höfliches Entgegenkommen
den Fremden gegenüber, kurz das Gegenteil von
dem, was Frankreich tat. Aber der italienisch«
Touristenverkehr wird in der kommenden Saison
einen schweren Rückschlag durch die Devisenbe-
schränkungen erhalten, denen in Zukunft die
Angelsachsen ausgesetzt sein werden. Die deut-
schen .Sonderabmachungen über die Devisenfrsi«
grenze nach Italien in Höhe von 500 Mark lau-
fen weiter. Sie werden davon nicht berührt.
Eine große Anzahl von deutschen Reisenden
hat Gebrauch von den Erleichterungen des
deutsch-schweizerischen Reiseverkehrs gemacht. Je
mehr Deutsche die Schweiz besuchen, desto
größere Mengen von Ruhrkohlen bezieht die
Schweiz von Deutschland. Diese zweckmäßige
Beziehung scheint sich bis jetzt ganz gut bewährt
zu haben und wird sich vermutlich erst in die-
sem Sommer voll und ganz auswirken, da Sie
Möglichkeiten für Deutsche, ins Ausland zu
kommen, sehr beschränkt sind.
Sehr starke Anstrengungen, den deutschen Tou-
ristenverkehr ins eigene Land zu lenken, unter-
nimmt neuerdings Jugoslawien, dessen
Schönheiten landschaftlich wie städtebaulich in
dem von den Deutschen am meisten besuchten Ge-
biet der dalmatinischen Küste denen Italiens
und der Riviera kaum nachstehen. Jugoslawien
hat vor den andern Ländern den unbestreit-
baren Vorzug, mit Vie billigsten LebenHell-

Mr,s Todesurteile beantragt!
 
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