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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 61 - Nr. 70 (13. März - 23. März)
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MjrMait und Kunst / Aus drr Mit drr Frau / Sir Lrirktunde

Pfälzer Note

Freitag, iS. März 1935

70. Jahrgang / Ar. 63

Frankreich und die Berliner Besprechungen

Gtörungsfeuer
DNV. Paris, 14. März.
Die Mitteilung des Foreign Office, daß Sir
John Simon begleitet von Lordsiegelbewahrer
Eden am 24. März nach Berlin abreisen
«erde, gibt der französischen Presse Anlaß zu
einer geradezu fieberhaften Geschäftigkeit. Die
Blätter bemühen sich, den englischen Ministern
klar zu machen, welche Marschroute sie bei den
Berliner Besprechungen zu befolgen hätten. Ge-
wisse französische Lieblingsprojekte, wie vor
allem der Ostpakt, stehen dabei im Vorder-
grund. Nicht nur Leitartikel werden in den
Dienst der Sache gestellt, man beschafft sich auch
von den Londoner Korrespondenten Informatio-
nen, die in der gleichen Richtung laufen. Es
wird als selbstverständlich hingestellt, daß die
englischen Minister an der Zusammengehörigkeit
der an der französisch-englischen Erklärung vom
3. Februar enthaltenen Vorschläge zäh festhalten
und auf ihrer gleichzeitigen Erörterung bestehen
würden.
So sagt „Excelsior ", man würde diesmal
nicht auf irgendein „neues Manöver" (?) her-
einfallen, das auf eine Trennung Englands,
Frankreichs und Italiens oder die Zerschlagung
der Londoner Erklärung hinauslaufe.
In diesem Zusammenhang tritt auch das Be-
streben zutage, aus den deutschen Erklärungen
zur Luftfahrtfrage Kapital zu schlagen.
Zu diesem Zweck wird u. a. die Unterredung des
Ministerpräsidenten Göring mit dem Vertre-
ter der „Daily Mail" plötzlich groß hsrausge-
stellt, die bis jetzt von der französischen Presse
beinahe mit Stillschweigen übergangen worden
war. Wie auf ein Stichwort hin, bemühen sich
die Blätter, die Angelegenheit nicht nur als
einen Verstoß gegen den Versailler Vertrag,
sondern auch als unvereinbar mit der franzö-
sisch-englischen Erklärung vom 3. Februar hinzu- >
stellen. Dem dient auch die Information, daß
von den zuständigen französischen Stellen die
deutschen Mitteilungen auf ihre rechtliche und
diplomatische Seite hin geprüft würden. Nicht
alle Blätter gebärden sich freilich so aufgeregt
wie der „Matin", der den Wunsch nach einem
gemeinsamen Schritt Englands, Frankreichs und
Italiens in Berlin vorbringt, mindestens aber
möchte, daß Sir John Simon vor seiner Ber-
liner Reise mit amtlichen französischen Kreisen
Fühlung nimmt. Ebenso dreist spricht „Echo de
Paris" davon, daß Deutschland die Mächte vor
eine vollendete Tatsache gestellt habe, ja das
Blatt versteift sich dazu, von einer Erpressung zu
reden und verlangt, daß die drei Mächte zu einer
Beratung zusammentreten.
Etwas vernünftiger zeigt sich „Figar o". Da
heißt es u. a., es sei eigentlich nicht angebracht,
ein großes Geschrei anzustimmen, da die Tat-
sachen längst bekannt seien. Klar sei es ja auch
gewesen, daß eine Großmacht wie Deutschland

L« MUlische Außenminister Sir John Simon


sich nicht ständig mit einer militärischen Unter-
legenheit abgefunden haben würde.
Wer sich einbilde, daß ein so anormaler Zu-
stand ewig andauern könnte, lasse einen
seltsamen Mangel an Urteilsfähigkeit er-
kennen.
Angesichts der Zwangsläufigkeit dieser Dinge
wäre es sicher besser gewesen, wenn man über
oen Teil V des Versailler Vertrages zu einer
Zeit verhandelt hätte, in der sich noch die Mög-
lichkeit ergab, die deutschen Rüstungen zu stabi-
lisieren. Diese vernünftige Beurteilung macht
das Blatt jedoch wieder wett durch seine Schluß-
folgerungen. Es vertritt darin nämlich den
Standpunkt, daß England und Frankreich sich

Zehntausende von Kampfflugzeugen zulegen
könnten, ohne daß der Friede dadurch im ge-
ringsten gefährdet würde, während der geringste
Bruchteil einer solchen Luftflotte im Besitz eines
nationalsozialistischen Deutschland höchst gefähr-
lich werden müsse. Diese seltsame Auffassung
wird vom „Figaro" mit der abgedroschenen Be-
hauptung zu stützen versucht, daß in Deutschland
ein „Geist der Gewalt" regiere. Das Blatt ver-
fällt also der bekannten üblen Gewohnheit, zwi-
schen Deutschland und den übrigen Mächten zu
diskriminieren. Es beweist damit nur, daß es
den Gedanken der Gleichberechtigung lediglich
als diplomatische Formel bewertet und von sei-
nem Geiste nichts begriffen hat.

Eine Havas-Auslaffung
Die angebliche Marschroute der englischen Minister

DNB. Paris, 14. März.
Havas veröffentlicht eine Auslassung aus
London, in der zu der diplomatischen Lage
Stellung genommen wird.
Es heißt in dieser Meldung, man habe guten
Grund zu der Annahme, daß Sir John Simon
und Eden beauftragt würden, dem Reichskanz-
ler persönlich zur Kenntnis zu bringen, daß das
Londoner Kabinett das Sicherheitspro-
blem im Westen wie im Osten Deutschlands
als voneinander unlösbar betrachte.
Jede Anregung, die Sicherheit in Osteuropa un-
abhängig von Frankreich zu organisieren, würde
daher in London als nicht den Erfordernissen
der Lage entsprechend angesehen. Die Sicherheit
sei im übrigen nur durch gegenseitigen
B e i st a n d zu erreichen.
Wenn diese Ansicht in Berlin gebilligt würde,
würden die englischen Besucher alle Freiheit
haben, um mit den deutschen Unterhändlern
über eine Anerkennung der deutschen
Aufrüstung zu verhandeln, die der Genug-
tuung entsprechen würde, die sie auf dem Ge-
biete der Sicherheit erreichen werde. Diese An-
erkennung dürfe jedoch nicht soweit gehen,
Deutschland die gleichen Streitkräfte wie Sow-
ie t r u ß l a n d zuzugestehen.
Im übrigen bedauere man in gut unterrich-
teten Londoner Kreisen, daß Deutschland vor
dem Besuch der englischen Minister in Berlin
zur Militarisierung der Zivilflie-
ger schreite, die eine sehr deutliche Verletzung
des Teiles V des Versailler Vertrages darstelle.
In London glaube man, daß eine Verhandlung
zur Schaffung eines neuen vertraglichen Sicher-
heitssystems nicht einer Maßnahme hätte vor-
ausgehen sollen, die einer einseitigen Kündi-
gung des früheren diplomatischen Werkzeuges
gleichkäme. Man wisse noch nicht, ob deswegen
ein diplomatischer Protest erfolgen

werde oder ob Sir John Simon die Angelegen-
heit selbst in Berlin behandeln werde. Jeden-
falls sei aber sicher, daß sie n i ch t m i t S t'i l l-
schweigen übergangen werde.
Die Meldung der Havasagentur ist ein deut-
liches Zeichen für dis f r a >n z ö s i s ch e n Ver-
suche. bereits jetzt die im englisch-französischen
Abkommen vom 3. Februar vorgesehenen freien
Verhandlungen zu präjudizieren oder ihnen zum
mindesten eine bestimmte Richtung aufzuzwin-
gen.
Daß Deutschland ebenso den Frieden für den
Osten wie für den Westen wünscht und diesen
für notwendig hält, bedarf nicht erst einer Son-
dierung der englischen Staatsmänner in Berlin.
Inwieweit hierzu aber gerade die Beistands-
pakte notwendig sind, wie man sie sich in
Frankreich und auch anderswo denkt, das wer-
den eben die kommenden Berliner Unterhaltun-
gen zu erweisen haben.
Wenn Havas die Notwendigkeit einer gewis-
sen Relation zwischen den Streitkräften Ruß-
lands und Deutschlands anerkennt, so
bedeutet dies gewiß einen Fortschritt. Es wäre
im Sinne einer allgemeinen Rüstungsbeschrän-
kung nur zu wünschen, daß auch Rußland ge-
wisse Anregungen gegeben würden, die dortigen,
bisher uferlosen Rüstungsvorbereitungen und
-bestrebungen zu mäßigen, um notwendige Re-
aktionen anderer, in Reichweite dieser Rüstun-
gen liegender Länder zu vermeiden.
Daß gerade der von Havas bemängelte
deutsche Entschluß hinsichtlich des militärischen
Flugwesens durch solche, aber auch durch andere
Zusammenhänge zu einer unabwendbaren Not-
wendigkeit werden mußte, ist im Grunde von
der Weltöffentlichkeit, soweit nicht anders ge-
richtete taktische Gründe maßgebend bleiben,
längst anerkannt worden.

Das Wei! gegen Dr. Rintelen
Zu lebenslänglichem Kerker verurteilt

DNV. Wien, 14. März.
Im Nintelen-Prozeß wurde am Donnerstag
um 16.45 Uhr das Urteil gefällt. Der Ange-
klagte Dr. Rintelen wurde zu lebenslänglichem
Kerker verurteilt.
Ser Staatsanwalt
DNB. Wien, 14. März.
Im Rintelen-Prozeß begann am Donnerstag
der Staatsanwalt Dr. Tuppy mit seinem Plä-
doyer. Er verwies im wesentlichen auf seine zu
Beginn des Prozesses gehaltene Anklagerede und
vertrat den Standpunkt, daß das damals ge-
knüpfte Netz, obwohl es stellenweise „subtil" sei,
sich als fest und haltbar erwiesen habe und in
keiner Weise von der Verteidigung durchstoßen
worden sei. Zu den damaligen Beweisen seien
noch die wichtigen Bekundungen der Zeugen
Ripoldi und Dr. Reitlinger gekommen, aus
denen hervorgeht, daß Rintelen in eng^r Ver¬

bindung mit Dr. Weidenhammer, alias Willi-
ams, und dadurch also auch mit den Verschwö-
rern gestanden habe, obwohl er zu Beginn der
Verhandlung erklärt habe, den Namen Weiden-
hammer oder Williams überhaupt nicht zu ken-
nen. Rintelens Verhalten an dem kritischen Tag
sei außerordentlich verräterisch. Auch der Selbst-
mordversuch stelle einen klaren Beweis der
Schuld dar. Der Abschiedsbrief, den der Ange-
klagte verfaßt habe, sei ein eigenartiges Doku-
ment, geradezu medizinisch interessant. Hier
würden im Angesicht des Todes noch goldene
Brücken für eine eventuelle Verteidigung gebaut.
Es überrasche der im Abschiedsbrief zrstammen-
getragene ungeheure Wust politischer Ereignisse
Selbst auf so entfernte Dinge wie auf die Emser
Depesche aus dem Jahre 1870 werde eingegan-
gen. Dieser Abschiedsbrief sei als eine Flucht
in die Krankheit aus einer unentrinnbaren
Situation zu bezeichnen.
Der Staatsanwalt ging dann zum Straf-
antrag über, der dadurch allgemeine Ueber-
raschung erregte, als der Staatsanwalt sehr ein-

Trauerbeflaggung am 17. Mürz
DNB Berlin, 14. März.
Der Reichsminister für Volksaufklärung und
Propaganda, Dr. Goebbels, hat zum Helden-
gedenktag folgenden Erlaß veröffentlicht:
„Am Sonntag, dem 17. März, gedenkt drs
deutsche Volk der Gefallenen des Weltkrieges.
In allen Orten des Reiches werden würdige
Gedenkfeiern stattfinden. Ich fordere die Be-
völkerung auf, an diesem Tage zu Ehren der
toten Soldaten Trauerbeflaggung zu zeigen."

dringlich bat, der Gerichtshof möge von der ihm
durch das Militärgerichtshofgesetz gegebenen
Möglichkeit, über den Strafantrag hinauszu-
gehen und den Angeklagten als Rädelsführer Zu
verurteilen (Strafsatz lebenslänglicher Kerker
oder Tod) keinen Gebrauch machen. Denn es sei
wohl zwar als erwiesen anzunehmen, daß Dr.
Rintelen mit Weidenhammer gesprochen habe,
über den Inhalt dieser Gespräche aber und da-
mit über die klare Umschreibung der Schuld des
Angeklagten sei nichts bekannt geworden. Ur-
sprünglich habe er, der Staatsanwalt, daran ge-
dacht, im Laufe der Verhandlung seine Anklage
von Rintelens Mitschuld auf bloßes Mitwissen
einzuschrünken. Durch die Wendung aber, die
der Prozeß mit der Vernehmung des Zeugen
Reitlinger und Ripoldi genommen habe, Habs
er diesen Gedanken fallen gelassen und hackte
seine ursprüngliche Anklage auf Mitschuld auf-
recht. Sodann überließ der Staatsanwalt die
Festsetzung des Strafmaßes dem Gerichtshof.
Ser VerteivM.
Nach einer halbstündigen Pause ergriff der
Verteidiger, Dr. Klee, das Wort zu seinem
Plädoyer. Er stellte einleitend fest, daß der Pro-
zeß in keiner Richtung eine Klärung über die
Geheimnisse und Hintergründe des 25. Juli ge-
bracht habe. Er kritisierte sodann das Verhal-
ten des Staatsanwalts, weil er die wichtigsten
Beweismittel nicht schon in der Voruntersuchung
aufgerollt habe. Dr. Rintelen sei nie National-
sozialist gewesen: er habe nur aus ethischen und
wirtschaftlichen Gründen das Verhältnis zu dem
Brudervolk bessern wollen. Der Verteidiger ging
darauf auf die einzelnen Beweise ein. Er er-
klärte, daß die eindringlichste Vernehmung des
gesamten Eesandtschaftsversonals nichts Bela-
stendes ergeben habe. Man habe dann das kei-
neswegs erhebende Schauspiel erlebt, wie im
letzten Augenblick der Kammerdiener des Ge-
sandten in Rom zur Zeugenbarriere geschleift
werde. Der Verteidiger erklärte mit erhobener
Stimme, daß Ripoldi gelogen habe. Von dem
ganzen römischen Beweismaterial sei nichts
übrig geblieben als der üble Geschmack, der die
Erkenntnis auslöse, daß man den österreichischen
Gesandten in Rom vorn ersten Tage seines
Amtsantritts an bespitzelt und beschnüffelt habe.
Der Verteidiger besprach sodann das Verhalten
Dr. Rintelens am Nachmittag des 25. Juli, zer-
gliederte die Vorwürfe des Staatsanwalts, daß
sich der Angeklagte nicht richtig benommen habe
und erklärte schließlich, daß solche Vorwürfe sehr
unangebracht seien, wenn man sich vor Augen
halte, daß man sogar Personen, die für dis Ruhs
und Ordnung im Staate zu sorgen hatten, kei-
nerlei Vorwürfe über 25. Juli
gemacht habe.
Der Verteidiger entwickelte dann em Bild
von dem Angeklagten als Politiker und,stellt«
fest, daß er ein armer Mann geblieben sei, was
man nicht von allen Politikern sagen könne. Er
verwies auch nachdrücklichst auf das schöne Zeug-
nis des Fürstbischofs von Seckau. Der Verteidi-
ger erklärte schließlich, daß die Anklage zusam-
mengebrochen sei und verlangte den Freispruch
des Angeklagten.
Der Staatsanwalt ergriff hierauf das Wort
zu einer Antwort, in der er erneut seine Argu-
mente unterstrich.
Dr. Rintelen bat sodann, ein Schluß-
wort halten zu dürfen und führte aus: „I ch
b i n u n s ch u l d i g. Ich habe immer offen für
meine Ideale gekämpft. Ich wollte nie etwas
anderes als ein gutes Einvernehmen Oester-
reichs mit Deutschland. Ich habe mich dabet in
einer Linie mit dem größten österr-ichischen
Staatsmann Dr. Seipel befunden. Ja dieser
Ueberzeugung sehe ich mit Ruhe Ihrem Urteils-
spruch entgegen."
Der Gerichtshof erhob sich und der Vorsitzende
gab bekannt, daß das Urteil um 16.45 Uhr ver-
kündet werden wird.
das Merl
Um 16.55 Uhr erschien der Gerichtshof im
Saal. Der VerhandlungsleiLs: erklärte zuerst,
daß jeder Ausdruck des Mißfallens sd-er des Bei-
falls streng verboten sei. Sooann ward« unter
 
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