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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 1-26)

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Nr. 21 - Nr. 30 (25.Januar - 5. Februar)
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Donnerstag, 31. Januar 1935


Nr. 36.

Neve Männer in Nom
Von unserem römischen Mitarbeiter.

Rom. Ende Januar.
Der Faschismus hat in Italien nur lang-
sam und allmählich die seinem Wesen und
Ursprung gemäßen politischen Lebensformen
ausgebildet. So wie er die Monarchie
übernahm und die Dynastie des Kaufes Sa-
voyen als den Träger der historischen Tra-
dition in seinen eigenen Lebensprozeß ein-
gliederte. wie er außerhalb der Kirche auf-
wuchs, aber in der Macht ein echtes Lebens-
verhältnis zu ihr fand und ihre Bedeutung
für die geistige Einheit der Nation zu
schätzen wußte, so hat er auch, wenigstens
der Form nach, wichtige Einrichtungen der
parlamentarischen Zeit bestehen lassen. Es
gibt heute noch in Italien eine Kammer,
einen Senat, es gibt Minister, die auf Vor-
schlag des Ministerpräsidenten vom König
ernannt werden. Aber wie sehr diese nar-
lamentarischen Formen ihres ursprünglichen
Inhalts entleert sind, wie sehr sie in einem
ganz anderen Rhythmus des politischen Ge-
schehens und in einem ganz neuen Strom
staatlichen Lebens bloße Erinnerungsbilder
und Gedenktafeln der Vergangenheit ge-
worden sind, die für die Gegenwart nichts
mehr aussagen — das ist so recht deutlich
geworden, als Mussolini in der vorigen
Woche alle wichtigen Stellen des Regie-
rungsapvai-ates mit neuen Männern be-
setzte, In den Ministerien, die Mussolini
persönlich leitet, sind fast alle Ilnterstaats-
sekreiäre, in den übrigen Ressorts die Un-
Lerstaatssekretäre und die Minister aus-
gewechselt worden. Außerdem hat die Stadt
Rom einen neuen Gouverneur bekommen.
In einem parlamentarisch regierten Land
wäre das wie ein politisches Erdbeben.
Man würde auf Konflikte und Machtver-
schisbungen, auf harte Auseinanderseüunaen
schließen müssen. Man würde mit Recht
von einer Krise sprechen. In Italien kann
davon keine Rede sein. Der Minister-
wechsel ist keine Erschütterung, sondern im
Gegenteil ein Beweis für das normale
Funktionieren, für die organische Entfal-
tung der Kräfte des Systems. So wie auf
den Winter der Frühling folgt, so pflegt
Mussolini alle paar Jahrs in regelmäßiger
Folge seins Mitarbeiter in den wichtigsten
Staatsämtern abzulösen. Die letzte große
Umgruppierung dieser Art ist im Spät-
sommer 1932 vollsogen worden. Ablösung
der Wache und Rotation der Energien —
das sind die Formeln, die der faschistische
Sprachstil für dielen Vorgang geprägt hat.
Sie bringen das Entscheidende sehr glücklich
zum Ausdruck. Es geht um eine systema-
tische Erneuerung und Durchblutung des
Staatskörpers. Es soll keiner allzu warm
werden an seinem Platz Es sollen sich
keine persönlichen Machtdomänen bilden.
Die Kräfte sollen sich nicht bis zur Er-

schöpfung abnutzen. Die Regierungsmaschine
soll nicht rosten. Deshalb in angemessenem,
bedächtig gezügeltem Tempo immer neue
Männer, neue Ideen, neue Einfälle, neue
Temperamente, frische Kräfte, junges Blut.
Das entspricht der Dynamik des faschisti-
schen Lebensstiles. Das ist die „Rota-
tion der Energien".
Aber es ist noch etwas anderes. Man
hat sich die politische Vergangenheit der
neuen Männer angesehen und danach fest-
stellen wollen, daß der Ministerschub viel-
leicht so etwas wie einen Ruck nach links,
eine Annäherung an die Gewerkschafts-
bewegung, jedenfalls aber eine stärkere
Hinwendung zu den korporativen Ent-
wicklungsgedanken des Faschismus bedeute.
Mit solchen Deutungen sollte man recht vor-
sichtig sein. Der wirkliche Vorgang ist um-
fassender. Es kommt Mussolini darauf an,
neue Kräfte der Partei pädagoaifch in die
Verantwortung des Staates zu führen, alte
Kräfte an neuer Stelle zu erproben. Auf
diese Weise soll aus dem Menschenreservoir
der faschistischen Bewegung eine möglichst
breite Schicht regierungsfähiger Männer
herangezogen, eine „olnsse Ziripwnte" ge-
formt und bewährt, eine staatstragende
Auslese vollzogen, eine Reserve für die
Kommandostellen des Staates bereitgestellt
werden. Es ist ein Prozeß, in dem Staat
und Partei immer inniger verschmelzen.
Daß dabei in einem Stadium des staatlichen
Aufbaus, in dem die neuen korporativen
Formgesetze sich durchbilden, vielleicht stär-
ker als sonst die berufsständischen Kräfte
berücksichtigt werden, mag wohl zutreffen.
Aber es ist nicht das Entscheidende und das
Wichtigste. Guiseppe Bottai, alter faschisti-
scher Kämpfer und hervorragendster Theo-
retiker des Korporationswesens, fruchtbarer
Schriftsteller und jugendlich bewegter Feuer-
kopf, ist nicht etwa wieder in das Korpora-
tionsministerium eingezogen, das er schon
früher einmal verwaltete, sondern er hat
den repräsentativen Posten eines Gouver-
neurs von Rom bekommen, der vorher von
einem Fürsten der römischen Aristokratie
ausgefüllt wurde. Dieser eine Hinweis sollte
aenügen, um allzu kühne Deutungen auf die
Mo^e der Wirklichkeit zurückzuführen.
Im übrigen darf man vor allem eines
nicht vergessen: Das unbestrittene Zentrum
der politischen Willensb^dung in Italien,
der eigentliche Motor allen staatlichen Le-
bens und Planens ist Mussolini
selbst. Er steht an der Spitze von sieben
Ministerien. Er ist Außenminister, Innen-
minister. Kriegsminister in allen drei Res-
sorts (für das Landheer, die Marine und
die Luftwaffe), Korporationsminister und
seit zwei Wochen auch wieder Kolonial-
minister. Die in diesen Ressorts arbeiten-

den llnterstaatssekretäre sind ebenso die
Vollstrecker seines Willens wie die Minister
der äußerlich selbständig gebliebenen Res-
sorts. Im Ministerrat gibt es keine Mehr-
heitsentscheidungen. Was Mussolini an-
gibt, ist maßgebend; was er will, wird aus-
geführt. Er ist auch verfassungsmäßig mehr
als ein Ministerpräsident. Sein amtlicher
Titel heißt (siopo ciel Oorveroo, schlechthin
Chef der Regierung. Der Aufbau des

Staates, die Gliederungen der Partei, dis
Organe des korporativen Aufbaus — i ir
seiner Autorität läuft alles zu*-
jammen. Wenn ein Mann in solcher
Machtfülle seine Mitarbeiter auswechselt,
dann ist das weder eine Erschütterung des
Regimes noch eine Veränderung der polii
tischen Linie. Derselbe Kapitän, derselbe
Steuermann, derselbe Kurs. Nur die Wa-
chen sind abgelöst worden. Or. jZ, Lest.

Neue MÄMgZMttsl Wr rheinische AM

Zu der großen Zahl von Eebietswerbeschris-
ten, die der Landesverkehrsverband Rheinland
im vergangenen Jahre herausgeben konnte, ist
wieder eine Anzahl Werbemittel hinzugekom-
men, die in textlicher und bildlicher Darstellung
für den Besuch der rheinischen Lande werben sol-
len. An erster Stelle dieser Neuerscheinungen
stehen zwei Werbeschriften, die unter den Leit-
worten ,,Vom Rhein zur Ahr zum Nürburgring"
und „Siebengebirge", Siegtal und rhein. Wester-
wald" auf das Tal der Ihr, der Sieg und auf
die Schönheiten des Siebengebirges und des
rhein. Westerwaldes Hinweisen. Der Landesver-
kehrsverband Rheinland hat nach der reichsgesetz-
lichen Neuregelung des deutschen Fremdenver-
kehrswesens sein großes Verwaltungsgebiet, das
die gesamte Rheinprovinz einschließlich des Saar-
landes umfaßt, in zehn einzelne geographisch und
kulturell zusammenhängende Gebiete aufgeteilt
und gibt für diese Gebiete je eine große Ge-
Lietswerbeschrift heraus. Die beiden neu er-
schienenen Schriften ergänzen die Reihe der
Werbeschriften, die mit den in Kürze erscheinen-
den Werbeschriften über den Niederrhein, das
Bergische Land und den Nahe-Hunsrückgau ihren
Abschluß finden. Wie auch die bereits herausge-
gebenen Hefte sind das Heft „VomRheinzur
Aahr zum Nürburgring" und das Heft
„Siebengebirge, Sie gtalundrhein.
Westerwald" mit künstlerisch wertvollen Um-
schlagbildern versehen und enthalten in text-
licher und reicher bildlicher Jnnenausgestaltung
alles, was für den Fremden, der das Land besu-
chen will, wissenswert ist. Ein zweites Werbe-
mittel ist die nach ebenfalls sorgfältigster Vor-
arbeit nun fertiggestellte Vogelschaukarte „D i e
Eifel", die einen Ueberblick über das ganze
Gebiet an der deutschen Wsstgrenze gibt. Be-
sondere Karten über Wanderwege, die großen
Verkehrsstrasten, die Eisenbahnlinien und Poft-
autoverbindungen ergänzen diese Vogelschau-
karte und vereinfachen die Orientierung in der
Eifel. Mit einem Werbeblatt „Zum Winter-
sport ins Rheinland" macht der Landes-
verkehrsverband Rheinland außerdem noch auf
die Wintersportplätze des Rheinlandes aufmerk-
kam. Diese Neuerscheinungen sind in der Arbeit
des Landesverkehrsvsrbandes wiederum ein star-
ker Fortschritt und werden sicherlich nicht ver-
fehlen, in der kommenden Reisezeit den Besuch
des Rheinlandes zu verstärken.
Zur' Sommerzeit ist die Reutlinger Alb ein
viel besuchtes Ausflugsziel. Der sagenumwo-
bene Lichtenstein, die Nebelhöhls, Stern- und
Roßberg, das Hanauer Tal sind Begriffe, die
als Ausflugsorte weithin einen guten Klang ha¬

ben. Wer aber kennt die Alb zur Winterszeit,
wenn die prächtigen Buchen- und Tannenwälder,
die Hügel und Täler in eine weiße Schneedecke
gehüllt sind, wenn Bäume in prächtigem Rauh«
reif stehen und die Wintersonne auf den Kri-
stallen märchenhafte Reflexe hervorzaubert?
Durch den Tann führen dann einsame Schispu-
ren, an den Hügeln herrscht frohes Leben des
Schivolkes. In Schußfahrt geht es den Steil-
hang herunter, die geübten Fahrer aber zeigen
ihre Kunst in einem schneidigen Ehristianir
oder einem eleganten Telemark. Unten am
Hang üben die Anfänger den Schneepflug und
das „Hinfallcn". Wenn die Dunkelheit einbrichtz,
blinken von ferne die Lichter freundlicher o«
tels und Gasthöfe, wo sich die Schileute zu fro-
hem Zunftleben vereinigen, bis der Abendzug
sie ins Tal und in die Stadt herunternimmt.
Was das Reutlinger Schigebiet besonders aus-
zeichnet, ist die Tatsache, daß es sich in hervor-
ragender Weise als Schigebiet für Anfänger
eignet.
Seit die Strecke Stuttgart—Tübingen elek-
trischen Betrieb hat, ist das Lichtensteiner Ee->
biet sozusagen direkt an den großen Verkehr an-
geschlossen. Von Stuttgart aus erreicht man in
weniger als einer Stunde Reutlingen und auf
der Strecke Reutlingen — Ulm ist man nach Be-
nützung der Honausr Zahnradbahn in einer wei«
teren Stunde auf dem Lichtenstein. Direkt vor
der Station Lichtenstein kann man die Schier an-
schnallen und in die weiße Wunderwelt hinein-
stapfen. Münsingen erreicht der Zug von Reut«
lingen auf in einundeinhalb Stunden. Während
der Hauptsaison werden außerdem von Stutt-
gart aus um 50 Prozent ermäßigte Wintersport-
züge in das Reutlinger und Münsinger Schige-
biet geführt.
Sumor
Drei Gründe. „Sie besitzen nun so schöne
Pferde, Herr Kolbe — warum reiten Si«
eigentlich nicht?"
„Wissen Sie, ich mache mir nicht viel aus
Pferden — auf der einen Seite beißen sie, auf
der andern Seite schlagen sie aus, und in der
Mitte sind sie so Fall!"
Die Hauptsache. „In unserm spiritistischen
Zirkel haben wir gestern Herrmann und Do-
rothea zitiert!"
„Die Beiden sind doch nur Dichtergestalten
und haben nie gelebt!"
„Egal! Sie sind aber gekommen!"

sagen. Ich bin Hauptaktionärin eines amerst
konischen Stahltrustes, der eine Zweignieder-
lassung in Hamburg hat. Würdest du die
Stellung eines Syndikus annehmen, wenn ich
-dich Vorschläge?"
Sie hörte sein erregtes „Nein" und sagte
verwundert: „Warum nicht, Arno?",Und dann
in jähem Begreifen: „Du willst keine Gefäl-
ligkeit von mir?"
„Nein."
„Verzeih, es sollte durchaus kein Almosen
sein."
Sie erhob sich und glättete das, schwarze
Kleid, das ihr bis an die Knöchel fiel. „Wirst
du auch darauf ein Nein haben, wenn ich für
meinen Sohn um die Hand deiner Tochter
bitte?"
Er sah sie an, senkte das Gesicht und ließ
es schwer auf die Brust hcrabsallen. „Wirst
du ibn lieb haben können, meinen großen
Jungen? Sag, Anio?" fragte sie leise zu ihm
herab. „Wollen wir den Kindern nicht alles
ersparen, war wir selbst an Leid getragen
haben? — Ach, Anio!" Es war zu Ende mit
ihrer Selbstbeherrschung.
Er hörte das erschütterte Weinen, das durch
den Raum ging, und wagte nicht aufzusehen,
drückte nur das Gesicht gegen ihre Hüften und
flehte: „Habe Erbarmen, Doridl! — Bist du
nicht .tausendfach gerächt für alles, was ich an
dir verschuldet habe? Kann ein Mensch mehr
sühnen, als ich es mußte? Sind siebzehn Jahre
gehetzten Lebens nicht Buße genug für jene
Stunde, m der ich mich von dir lossagte? —
habe im Gefängnis gesessen, wurde zum Mör-
der gestempelt und freigesprochen: wegen
Mangels an Beweisen. Und durfte nicht in
den Tod flüchten, solange die Schmach an
meinem Namen klebte. Wenn es dir noch
nicht Vergeltung genug ist, dann sag es. Es
gibt nur ein Letztes, und das habe ich dir für
das Glück meiner Tochter angeboten. Wirst
du den Toten wieder achten können? Sag,
Doridl: nur achten!" stöhnte er, „ich bin so
lange verfemt gewesen."
„Ich habe dich nie verachtet, Anio. Du
mußt mir das glauben!" sagte sie, als er den

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k. o irr « n von ck. 8cUn6i6sr-bo6r8t!
LlrlroioerreolAsscirutr ckurcU Verlag O^Icsr ^1si8ter,
61) (Nachdruck verboten.)
Meine Mutter beschwor mich, Gott nicht zu
versuchen Aber ich wollte tot sein. Und so be-
gruben sie mich oben in ihrer fränkischen Hei¬
mat."
„Und in mir sahen sie deinen Mörder!"
stöhnte er.
„Damit hatre ich nicht gerechnet, Anio. Ich
dachte, die Tote würde dir weniger mehr im
Wege sein als die Lebendige. Und du hattest
dich doch selbst losgesagt. Außerdem wußte
ich Ellen bei dir."
Das Gesicht her abgeneigt, fragte er: „Soll
ich dir erzählen —?"
„Ich weiß alles," sprach sie mit einem trö¬
stenden Lächeln. „Nein, sprich nicht, Anio!
Mein Sohn hat nur von allem Leid berichtet,
durch das du gegangen bist."
„Und du, Doridl? Bist du glücklich gewe¬
sen?" Wenn sie nein sagw, nahm seine Schuld
kein Ende mehr. Trotzdem schrak er bei ihrem
„Ja" zusammen. Sie war glücklich gewesen.
So klar, als hätte sie das Leben nie von-
einander getrennt, las sie in seinen Gedanken,
und als sein erwartender Blick aw sie gerichtet
blieb, erzählte sie, daß Balthasars Bruder
acht Tags, nachdem sie bei ihm eingetroffen
war, die Frau verloren habe und damit auch
Maximilian die Mutter.
„Du bist nicht seine Mutter?" enstuhr es
ihm.
„Doch, Anio. Wenn ich ihn auch nicht gebo¬
ren habe, so ist er doch an meinem Herzen und
in meinen Armen aufgewachsen. Wir sind
eins geworden, ww nur Mutter und Sohn
eins sein können."
„Und Pocker?" fragte Schütte verwirrt.
„Mein toter Mann liebte mich mit einer
Innigkeit, daß ich gar nicht fühlte, welch
großer Altersunterschied zwischen uns bestand
Die achtzehnJahre, die ich ihm Frau gewesen
bin, waren ein einziger Tag des Glückes."
Sie hörte sein schweres Atmen zu sich her¬
überkommen und bereute, daß sie das gesagt
hatte. „Ich habe dir weh getan," sprach sie
abbittend, „ich hätte dir das nicht erzählen
sollen. Aber dafür will ich dir etwas anderes

Kovs schüttelte „Selbst wenn die Detektive,
die ich bestellt habe, die Beweise deiner Un-
schuld naht zu erbringen vermocht hätten,
für mich wärest du nie der Schuldige genügen/
„Du hast die Detektive bestellt, Doridl?"
Sie nickte. „Seit ich dich in Not wußte, fand
ich keinen Frieden mehr. Ich begrub meinen
Mann und kam herüber, habe mich mit der
Polizei ins Benehmen gesetzt und Kaspar
Jaros suchen lassen." Sie ließ ihm gar nicht
Zeit, zu fragen, und hastete weiter: , Der
Staatsanwalt Klenze hat mir die Akten vor-
gelesen, und von deiner Tochter bekam ich
die Zeitungen, die alle auf den Fall Bezug-
hatten, deine Mutter hatte sie gesammelt urw
aufgehoben. Von Jaros erfuhr ich, daß Eycke
eine große Rolle in der ganzen Sache spielte
Meine beiden Detektive haben die Fährte aus-
genommen und berausoebracht, daß sein in-
timster Freund in einer Mansardenstube im
Dal hungere."
„Von einem Freund hat Eycke nie etwas
gesagt!" warf Schütte dazwischen.
„Leider nicht. Denn das war dein Nachteil,
Anio. Er verweigerte zwar jede Auskunft,
aber als ich selbst zu ihm ging, kam die Sache
doch noch ins Rollen. Ich habe ibm eine le-
benslängliche Rente von tausend Dollar zuge-
sagt, und einen Pasten als Aufseher in ciner
mciner Plantagen, was er aber abgelehnt hat.
Die Rente akzeptierte er und vertraute mir
dafür sein Wissen an.
„Du mußt dich aber setzen, Anio," bat sie
als er unsicher in den Knien wankte. „Dm
Hauptumrisse weißt du ja: er hat deine Frau
getroffen. Sie gingen in deine Wohnung, nm
sich dort ungestört ausfprechen zu können. Von
deiner Wohnung weg begaben sich beide in
die seine, das heißt, deine Frau wartete am
der Straße auf ihn. Sie wollten noch ein
Spiel machen, fanden aber das Haus ver-
sperrt. Vielleicht des Heiligen Abends wegen.
Im Eifer des Gespräches' kamen sie immer
weiter über die Stadtgrenze hinaus, und da
Eycke den noch vorhandenen Bestand der Ef-
fekten bei sich trug, und der arge Sturm ihm
nicht erlaubte, sie deiner Frau auf offenem
Gelände vorzulegen — sie schien mißtrauisch
gewesen zu sein, ob er ihr auch alles zurück-
gab — traten sie in den Steinbruch.
Während er ihr nun die einzelnen Stücke
aushändigte, löste sich von oben eine Eismafjc

und traf deine Fran an den Schläfen. Si«
schrie: „Anio" und noch einmal „Nicht,
Anio!", wohl in dem Glauben, du müßtest i«
der Nähe sein.
Der Eismasse folgte noch eine, Menge ge-
frorenes Erdreich. Eycke sah mit Entsetzen,
daß die Verletzungen Ellys schwerer Art wa-
ren, wurde kopflos und rannte, was ihn di«
Füße trugen."
„Aber meine Handschuhe!" stöhnte Schütte.
„Auch darüber wußte der Freund Bescheid.
Sie waren auf deinem Schreibtisch gelegen,
ebenso das Notizbuch. Eycke hat sie, aus rei-
nem Versehen zu sich -gesteckt und sie im Stein«
bruch Elly übergeben,'damit sie dieselben wie-
der mit nach Hause nehme."
„Und meine Krawatteunadel?"
„Die lag im Safe bei den Effekten. Eycke
mag es wohl als lächerlich empfunden haben,
sie allein drinnen liegen zu lassen, und hat sie
ebenfalls Elly ausgehändigt."
„Und mir drehten sie daraus den Strick!"
sagte Srtzütte in unerhörter Dual.
„Es ist noch nicht alles," pinterbrach ihn
das Dor'.dl und drückte ihn wieder auf seinen
Platz zurück. „Jaros sand auch den, Knecht,
der damals vom oberen Rand der Kiesgrube
eine kleine Fichte für den Weihnachtstisch holte.
Der bat wahrscheinlich die Gesteinsmassen
losgelöst und war schuld an dem ganzen Un-
glück. Jaros bat mir gebeichtet, daß er in all
den vierzehn Jahren immer des Glaubens ge-
wesen war, du hättest selbst die Hand gegen
deine Frau erhoben. Du mußt ihm ein gutes
Wort sagen, Anio. Er ist ganz verzweifelt.
Aber ich denke, er bat es wettgemacht, indem
er das letzte Glied der Beweiskette, dich von
aller Schuld zu reinigen, gefunden hat.-
Und nun ruft das Leben wieder! — Wirst du
kommen, Anio?
„Ich habe keinen Mut mehr," wehrte er
ihrer Lockung ab, gewahrte den Zug von Ent-
täuschung in ihrem Gesicht und erregte sich
über die Maßen. Sieh mich doch an! Ich bin
dreiundvierzig Jahre und so alt und ver-
braucht als hätte ich siebzig auf dem Rücken.
Was soll ich noch? Wenn du meine Tochter
an dein Herz nimmst, braucht mich niemand
mehr."
(Schluß folgt.)
 
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