Serre *
Dienstag, den 19. Februar 1935
Nr. 42'
„Zu Mantua in Vanden"
Nr Mente- An-rras Svkrs
Von Friedrich Schreyvogel.
Am 29. Februar 1810, vor 125
Jahren, ist Andreas Hofer, der
Wirt am Sandhof im Passeiertal,
in der Festung Mantua nach kur-
zer Gefangenschaft erschossen wor¬
den. Er ist nicht ganz 43 Jahre
alt geworden. Ueber vierzig
Jahre dieses Lebens unterschied er
sich durch nichts von den anderen,
es sei denn durch aufrechte Red-
lichkeit. Aber in seinem letzten
Lebensjahr stand er in so besonde-
rer Art im Licht der Weltge-
schichte, daß die Deutschen für alle
Zukunft Andreas Hofer nicht ver-
gessen werden.
Im Jahre 1809 beginnt das
Vorspiel zu dem Völkerdrama, das
in dem Befreiungskrieg von 1813
und in der Schlacht von Leipzig
seinen Höhepunkt erreicht. An sei-
nem Beginn ist Napoleon durch
den spanischen Feldzug an der vol-
len Entfaltung seiner Macht ge-
hindert. Manchs, die ihn schon für
unbesiegbar gehalten haben, sam¬
meln sich zum Widerstand. Der Freiherr von
Stein, Scharnhorst, Clausewitz betreiben die Re-
form in Preußen, Fichte halt seine „Reden an
die deutsche Nation", Rückert schreibt seine „Ge-
harnischten Sonette", Ernst Moritz Arndt seinen
„Geist der Zeit", Theodor Körner und Max von
Schenkendorf begeistern die Jugend mit ihren
Kriegsliedern. In Oesterreich hat seit 1805 der
Graf Stadion den Minister Tugut abgelöst, er
halt im Frühjahr die Monarchie für stark genug,
um die Uebermacht Napoleons zu brechen und er-
öffnet den Krieg gegen Frankreich. Der Erzher-
zog Karl richtet als Oberkommandierender der
Armee einen Aufruf an die Völker Deutschlands.
Er kommt zu früh. Nur aus dem Zug der Schill-
schen Reiter nach Stralsund mag Napoleon ah-
nen, was sich in der Tiefe Les deutschen Volkes
vorbereitet. Im übrigen bleibt der Hilferuf des
Erzherzogs Karl ohne Widerhall und Hilfe.
Eine einzige Ausnahme gibt es. In Tirol,
Las die Franzosen durch die willfährige bayeri-
sche Regierung unter, hartem Druck halten, er-
zielt die Mahnung, die von Wien ausgeht, eine
Wirkung, die keiner von den Mächtigen der
Welt erwartet hätte. Die Tiroler Bauern erhe-
ben sich offen gegen ihre Bedrücker und es ge-
lingt ihnen, sie aus dem Land zu drängen. Der
Kampf wird in einer Art geführt, auf die man
AM allgemeinen Regeln des Kriegs nicht anwen-
den kann. Die Bauern holen einfach ihre Stutzen
aus den Verstecken, bewaffnen sich mit Morgen-
sternen und Dreschflegeln, und, wo ein paar
Tausend von ihnen von den Bergen in die Täler
vorstotzen. ist die fremde Besatzung ohnmächtig.
Unter den Männern, die aus Bauern und Ee-
ro e-rbsleuten heldenhafte Soldaten eines harten
Bergkriegs zu machen, ganze Regimenter aus
dem Boden zu stampfen und mit Geschick gegen
den Gegner zu führen wissen, tritt bald der Süd-
tiroler Andreas Hofer hervor, der Wirt am
Sandhof im Passeier. Sein Vertrauen in die
Kraft des Aufstands stärkt auch den österreichi-
schen Truppen, die in Südtirol stehen und ängst-
lich einer Entscheidung ausweichen, den Rücken.
Er denkt nicht viel über die Möglichkeiten des
Sieges nach, er glaubt an ihn . Auch als Na-
poleon gegen die österreichischen Truppen Erfolge
erzielt und Wien besetzt, ist sein Mut nicht gebro-
chen. Die Mutlosigkeit, von der angesichts der
veränderten und für Oesterreich gefährlichen
Weltlage die kaiserlichen Beamten und die
Stände erfaßt sind, bringt es nur mit sich, daß
nun völlig die Männer, die von dem Willen des
Volkes zu Kampf und Widerstand getragen sind,
daß der Bauer Speckbacher, der Pater Haspin-
ger und Andreas Hofer für das Schicksal Tirols
zu sorgen haben. Andreas wird zum Oberkom-
mandierenden gewählt und siegt gegen große
I Uebermacht in der Schlacht am Berge Jsel.
Der Lohn des Heldenmutes scheint bald darauf
sicher und dauerhaft. Am 21. und 22. Mai wird
Napoleon von Erzherzog Karl bei Aspern ge-
schlagen. Man erwartet in aller Welt eine Wen-
dung im Schicksal Europas. Aber Napoleon, der
wohl über die Donau zurückweicht, kann Wien
behaupten und als er sich mit der Armee Eugen
Beauharnaises vereinigt hat, mit der Schlacht
bei Wagram die Niederlage von Aspern wett-
machen. Jetzt ist Las Spiel verloren. Graf Sta-
dion weicht dem Fürsten Metternich, Oesterreich
muß Friedensverhandlungen einleiten. Die
Hoffnung, daß Napoleon niedergeworfen und das
deutsche Volk befreit wird, ist in Nichts zerron-
nen. Noch weniger als ein halbes Jahr zuvor
glaubt man, daß man der Macht Napoleons mehr
Widerstand leisten könne.
Nur ein einziger Mann läßt sich in seinem
Glauben nicht irre machen, daß das natürliche
Recht eines Volkes stärker sei als jede Entschei-
dung am grünen Tisch. Andreas Hofer bleibt
fest, als nach der Schlacht bei Wagram niemand
die Verantwortung dafür tragen will, was in
Tirol geschieht. Er übernimmt entschlossen die
Regierung und zieht im Namen des Kaisers als
Regent in die Innsbrucker Hofburg ein. Die
Truppen der Feinde hat er im August in einer
zweiten Schlacht am Berge Jsel aus der Stadt
gejagt. Mag der Kaiser Franz das Spiel aufge-
ben, Andreas Hofer glaubt an seinen Stern.
Am 14. Oktober 1809 wird der Friede von
Wien unterschrieben. Nordtirol wird neuerlich
als Besitz der Bayern bestätigt, das heißt unter
französische Oberhoheit gestellt, Südtirol kommt
an das napoleonische Königreich Italien. Ver-
träge erklären ein fürchterliches Unrecht am
deutschen Volk feierlich für Recht. Wie lange
kann die Herrschaft Andreas Hofers, dieses selt-
samen Statthalters für einen Kaiser, der sein
Recht selbst abgeschworen hat, jetzt noch dauern?
Hofer ruft die Tiroler noch ein drittes Mal zu
den Waffen, nach Kämpfen von wechselvollem
Glück unterliegen sie. Andreas Hofer muß flie-
hen. In den Bergen seiner Heimat meint er sich
vor seinen Verfolgern geborgen, aber ein Lands-
mann, Raffl, den der hohe Kopfpreis lockt, ver-
rät ihn. Er wird gefangen genommen und nach
Mantua gebracht. Napoleon selbst ist es, der sei-
nen Tod beschließt und jede Gnade verweigert.
Es mag sein, daß Napoleon wohl begriffen hat,
welche ungeheure Bedeutung dem Kampf dieses
einfachen Bauern aus Südtirol zukommt. Er
hat, seit er sich zum Kaiser der Franzosen ge-
macht, in ganz Europa nach Belieben Kronen
verschenkt, Throne gestürzt, die Landkarte nach
Willkür verändert und jede Macht durch Ueber-
macht entkräftet. Andreas Hofer setzt seinen un-
ermeßlichen Kräften etwas entgegen, das sich
ihnen gar nicht vergleichen läßt: er antwortet
der Macht des Herrschers mit dem Recht eines
Volkes. Eine geheimnisvolle Macht ist um ihn,
bis zur letzten Stunde des Todestages in Man-
tua.
Andreas Hofer ist ein guter -Führer seiner
Standschützen und auch der ehrliche Regent eines
kleinen Bauernlandes. Aber weder seine militä-
rische noch seine politische Beaabung haben das
allgemeine Maß überragt. Was Andreas Hofer
erst unvergleichlich macht, ist die Sicherheit, mit
der sein Blick durch alle Nebel der Politik bis zu
den wahren Wurzeln des Völkerschicksals drang.
Wie anders soll ein Volk loben und wachsen als
in Freiheit und in seiner Heimat? Andreas Ho-
fer verstand nicht, was in Paris, Rom oder Wien
ausgehandelt wurde. Aber daß Tirol nur den
Tirolern gehört und daß fremde Beamte und
fremdes Militär nichts in Innsbruck zu suchen
haben, daß den Tirolern nur deutsch und nicht
französisch oder italienisch befohlen werden darf,
erschien ihm als ewiges Gesetz und jedes andere,
Las dem widersprach, hinfällig und vergänglich.
Dis klare Einfalt Hofers fühlte sich mit göttlicher
Weisheit verbunden und von ihr bestätigt. Die
Tiroler stritten mit Gott gegen die Fremdherr-
schaft. Wenn Pater Haspinger mit dem Kreuz
seinen Schützen voranstürmte, so hatte das seinen
großartigen Sinn. Immer ist die Macht des Ge-
kreuzigten mit jenen, die für das Recht kämpen.
Kein geschriebenes Unrecht der Menschen kann
sich gegen das ungeschriebene, aber ewige Recht
der göttlichen Schöpfung auflehnen, das jedem
Volk seine Heimat zuteilt und seine freie Würde
van keinem anderen zerstören läßt.
Es gibt größere Gestalten im Freiheitskampf
der Deutschen als Andreas Hofer. Aber kaum
von einem anderen konnte jene geheime Ermuti-
gung für das ganze deutsche Volk ausgehen, die
nach der Enttäuschung des Jahres 1809 notwen-
dig war. In Mantua wurde die unvergleichliche
Lage und die verborgene Macht des deutschen
Volkes sichtbar. Da stand ein Kaiser, gestützt von
der Macht eines ganzen Erdteiles einem Tiroler
Bauernwirt gegenüber, der aller Macht ent-
blößt war, unkundig des Völkerrechts und ein-
fältig in allen Dingen der großen Welt. Mußte
nicht gerade diese Gegenüberstellung, Napoleon
und Andreas Hofer, den Deutschen die Augen öff-
nen? Sie erkannten die moralische, die sitt-
liche Seite ihres Kampfes. Wer die Erschie-
ßung Hofers bloß politisch nahm, zuckte die Ach-
seln. Was war geschehen? In einem kleinen
Alpenlande hatte Napoleon einen Anführer hin-
richten lassen, wie tausend vor ihm und tausend
nach ihm. Aber das Gewissen der Welt erwachte.
Dieser Tiroler Wirt war mit einer heldenhaften
Ruhe in den Tod gegangen, die kein König auf-
gebracht hätte. Vis zum Schluß war der kind-
lich große Glaube in ihm. daß Gott und also das
Volk, das für seine Freiheit streitet, die Ober-
hand behalten würden, auch wenn ihn zehn Ku-
geln getroffen hätten. Noch keiner hat gegen
Gott das Spiel gewonnen. So wird auch das
heilige deutsche Reich über Napoleon siegen.
Die festliche Erinnerung an den Opfertod An-
dreas Hofers fällt in eine Zeit, in der rings um
die Deutschen die Schranken ungerechter Ver-
träge zusammsnbrechen müssen. Da ist die schlichte
Gestalt des Bauernwirts aus dem Passeiertal
wohl geeignet, den Geivrächen über Recht und
Unrecht zwischen den Völkern, die mit großer
Heftigkeit geführt werden, eine neue Tiefe
zu geben. Wenn die Deutschen ein gleiches Recht
unter den Völkern, jene Würde und jene Freiheit
verlangen, die ihren Kräften und ihrer Sendung
in der Welt entspricht, so ist das nicht nur eine
Frage der Juristen und Diplomaten, nicht nur
der irdischen, auch der göttlichen Gerech-
tigkeit. Nicht eine Gunst der Zeit, die Kraft
ewiger Ordnung tritt auf ihre Seite.
Auf solche Art wirft auch die Erinnerung an
einen Tag vor 125 Jahren ihr Helles Licht auf
den Zukunftsweg unseres Volkes. Niemand wird
ihm mehr entreißen und vorenthalten, wofür im-
mer wieder ein Andreas Hofer gottesgläubig
und heldenhaft in den Tod ginge, solange Deut-
sche leben: sein Recht, seine Würde und seins
Freiheit.
(Das obige Bild zeigt Hofers Erschießung nach
einem zeitgenössischen Holzschnitt. D. Schrift!,)
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6erecllttßte lllebertraßunß su» (lern 8p«n1»ckken von Paul» 5»»!msnn
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rung ab. Sie hatte überhaupt einen ziemlich
ausgeprägten Widerspruchsgeist; in diesem
Falle jedoch pflegte sie den andern gegenüber
ihren eigenen Kopf durchzusetzen nicht aus
Hochmut oder Launenhaftigkeit, sondern weil
15) Nachdruck verboten.
.Obwohl ich nicht in Martis Haus wohnte,
veranlaßte mich doch seine Liebenswürdigkeit
und mein heimlicher Wunsch, fast den ganzen
Tag bei ihnen zu verleben, mit ihnen zu essen
und spazieren zu gehen. Bei jeder Gelegen-
heij suchte ich Christina meine Ergebenheit zu
beweisen und zeigte in bezug auf alles, was
sie anging, lebhafte und besorgte Anteilnahme,
die mir von Herzen kam. Sie nahm diese
Aufmerksamkeiten mit ernstem, zuweilen
scheuen! Wesen hin; aber ich bemerkte, daß
sie nicht die kleinste übersah, und das genügte
mir.
Bald entdeckte ich, daß außer der seltsamen
Mischung von Unbefangenheit und Schüchtern- s
heit, ausgelassener Fröhlichkeit und ab-wei-
serud-em Stolz in ihrem Wesen ein Schatz von
Empfindsamkeit lag, den sie sorgfältig und
fast scheu verbarg. Die Schamhaftigkeit ihrer
Gefühle war so groß, daß jeder äußere Zärt-
lichkeiiserweis sie beschämt machte Sie wallte
lieber als kalt gelten, als daß sie andern in
ihr tiefstes Wesen Einblick gewährt hätte. Im
Gegensatz zu ihrer Mutter, die nur zufrieden
w--r, wenn sie andere hätscheln konnte, oder
'ich von ihnen hätscheln ließ uno alle Welt ab-
tüßle, erwies sie ihrer Familie nst Zärtlich-
keiten und vermied es nach Möglichkeit, daß s
man istr selbst solche erwies.
Selbst ihr Mann, wenn er einmal zärtlich
wurde, bekam einen entsprechenden Wischer,
den er last immer lachend hinnahm. Trotz
d-cser ihrer Herbheit liebten alle sie innig unv
betrachteten ihre scheue Sprödigkest als eine
anmstigs Eigenheit und zogm sie gern ein
wenig dam-st auf.
Eben voegen dieses ihres Charakters hatte
jede l'Wstruoll? Neußernng aus ihrem Munde
uwchäßbar-en Wert. Aber man mußte so tun,
als nv-st- inan es nicht. Wenn man darauf
achtete .vd es sie westen ließ, war es vor-
hin; augalHstolich fiel sie wieder in istr sprödes
Wesen zmstck und schulst d-st Dankbarkeit mit
einer lrvstHrn oder gerprmchätzigei: Aeuße-
es Hr, die selbst rn bezug auf ihre Gefühle so
zurückbalten-d war, widerstrebte, wenn jemand
sie rückhaltlos zur Schau trug. Und dabei habe
ich sonderbarerweise nie einen Menschen ge-
troffen, dessen Züge deutlicher alle Regungen
seiner Seele, die feinsten Schatsterungen sei-
ner Gedanken widergespiegelt hätten. Was sic
im Augenblick bewegte, gegen ihren Willen
und trotz der starken Schlösser, hinter denen
sie es zu bewahren strebte, sprang es ihr aus
den Augen, aus jedem Zug ihres Gesichtes,
aus jeder ihrer Bewegungen.
Marti war von Tag zu Tag herzlicher ge-
gen mich. Wir waren unzertrennlich; ost
wollte er auch, daß ich ihn auf seinen geschäft-
lichen Gängen begleitete. Er machte mich zu
seinem Vertrauten und fragte mich sogar
wiederholt nm meine Meinung. Schließlich,
nachdem ich fünf oder sechs Tage in Valencia
war, bat er mir das Tu an und ohne eine
Antwort abzuwarten, fing er gleich damit an,
und zwar so herzlich, daß es mich rührte.
Meine Gefühüle ihm gegenüber waren eine
Mischung vn Stolz und Gemütigung, von
Freude und Pein; ich dachte ,daß das Ver-
trauen dieses Mannes mich äußerlich zwar
seiner Frau nälerbrachst, moralisch aber
immer weiter von ihr entfernte. Schon we-
nige Stunden darauf sah ich das bestätigt. Als
wir zu Hause waren, tat ich mein Möglichstes,
noch nicht merken zu lassen, daß wir uns
schon stutzten, aus Beschämung. Marti jedoch
duzte mich sofort ganz offenkundig. Christina
hob überrascht den Kopf, sah uns beide einen
Augenblick an, blickte dann gleich wieder weg
und ich glaubte in ihren Zügen einen Aus-
druck des Mißfallens zu lesen. Ich erriet nur
zu am, was in ihr vorging.
Bcarti forderte mich am nächsten Tage auf,
sein Lansthaus aus Cabanal mit ihm W be-
suchen, wo er einige Anweisungen für die In-
standsetzung des Gartens und Hauses zu gaben
hatte. Sie pflegten im Mai dahin überzusie-
steln, und der hatte schon begonnen; aber die-
ses Jahr mußte sich wegen des erhofften Er-
eignisses der Umzug verzögern. Ich bat 'hn,
auerfeldein zu Fuß zu geben, da ich gern die
Landhäuser und Gärten sehen wollte, die sich
zwischen der Stakst und dem Meere hinziehen.
Er stimmte bereitwillig zu, und zur Zeit des
gewohnten Spazierganges machten wir uns
gemächlich aus den Weg.
Mein Begleiter redete unterwegs unaufhör-
lich. Mir seine Geschäfte auseinanderzusetzen,
lag ibm so am Herzen, daß er keinen Blick
batte für das köstliche, in Blütenschmuck pran-
aenste Land, wo die Weißen Landhäuschen
Tauben gleichen, dis sich da niedergelassen
baben Um diese Hänschen mit spitzem Dach,
die fast immer von einem Gebüsch von Avfel-
sinen-, Granat- und Johannisbrotbäumen um-
geben sind, breiten sich symmetrische Anpflan-
zungen von Blumen und Gemüsen: große
Beete mit Nelken, Lilien, Rosen, Levkoien ab-
wechselnd mit Erdbeeren, Luzerne, Artischoken,
und dazwischen, auf wohlgepflegten, schmalen
Wegen tummelten sich schöne Kinder von
-dunkstr Hautfarbe, dst einen Augenblick stellen
blieben und uns mit ihren schwarzen, tiefen
Annen ansahen. Deur Vater, auf die Erste ge-
bückt, blickte ebenfalls auf, als wir vorüber-
kamen, und grüßte uns ernst und schweigeug,
indem er sich an den derben Strohhut faßte.
Marti sah weder das. noch überhaupt etwas
auf dem Wege. Er erzählte von seinen Unter-
nehmungen und ich hörte zerstreut zu.
Nach und nach näherten wir uns dem Ca-
banal. Schon zeichneten sich die Ufer des
Meeres ab, dessen weite blaue Fläche in strah-
lendem Sonnenschein lag. Wir gingen in
Sonne gebadet und atmeten baliamischs Luft.
Die Heiserkeit der Landschaft, die klar und
leuchtend ist wie ein Gemälde Tizians, die
idyllischen Bilder, denen wir auf Schritt und
Tritt begegneten, weckten ein sanftes Glücks-
gefühl in der Seele. Und in dieser lieblichen,
ruhevollen Umgebung schien mir Marti mit
seinem schönen Kopf mit dem welligen Haar,
mit seinen großen, treuherzigen Augen durch-
aus nicht so geschäftsklug, wie'er zu sein vor-
gab, und noch v-iel weniger von eiserner
Energie.
Ehe wir die ersten Häuser des kleinen Or-
tes erreichten, bogen wir nach links b. Dovt
fallen wir von weitem ein weißes Häuschen
unter Bäumen, und das, sagte Marti, sei sein
Landhaus. Auf dem Wege fiel mir ein um-
maaertes Grundstück auf, dessen Mauern ans
vollkommen symmetrischen, ganz gleichen
Steinen errichtet waren. Es war eine Ruine,
in der oroße verrostete Eisenrohre. Räder und
andere Maschinenteile auf dem Boden Herum-
lagen.
„Was ist das?" fragte ich überrascht. Marti
hustete, ebe er antwortete, zog die Manschetten
etwas mehr heraus und saate dann, halb ver-
drießlich, halb beschämt: „Ach, nichts.
eine Fabrik künstlicher Steine."
„Aber sie stellt still?"
,Ja."
„Wem gehört sie?"
„Mir." '
„Ab!" Ich schwieg; denn ich ersah aus sei-
nem Verhalten, daß die Sache ihn verdroß.
Wir gingen einige Schritte weiter, ohne daß
er gerubt hätte, auch nur einen Blick aut seine
verfallende Fabrik zu werfen. Doch plötzlich
wandte er sich um und rief: „Denk nur nickst,
daß ich es nicht verstanden hätte, Steine her-
zustellen! Sieh, die ganze Einmauerung ist aus
Erzeugnissen der Fabrik hergestellt. Hier, fühle
mal einen Stein an und prüfe ihn." '
Ich wog ihn in -der Hand besah ihn, und
er schien mir fest und dauerhaft. Und ich
freute mich, Marti das sagen zu können. Er
erklärte mir den Fehlschlag mit der Fabrik
sturck den Mangel an geeigneten Arbeits-
kräften
Wir gelangten endlich an die Mauer seiner
Besitzung, gingen durch sine Gistertür und
durch einen hübschen Garten nach dem Hause.
Dieses war von schlichter Bauart, aber recht
aeräum-iv und im Innern mit Lupus ausge-
stattet. Aber mein ganzes Entzücken erregte
der ausgedehnte Park, der sich hinter dem Haus
bis an die Bucht -erstreckte, zu der man durch
ein ebenfalls eisernes Pförtchsn hina-usgelangst
Es war früher Rußland gewest"; -erst Martis
Vater und dann dieser selbst hatten es m
-einen großen Park verwandelt. Die Wege
waren breit und mir Kies bestreut und von
Apfelsinen-, Zitronen-, Gvanatbnumen und
vielen anderen Qbsrbäumen nmsäuWt.
EoaHetzung jolgtck
Dienstag, den 19. Februar 1935
Nr. 42'
„Zu Mantua in Vanden"
Nr Mente- An-rras Svkrs
Von Friedrich Schreyvogel.
Am 29. Februar 1810, vor 125
Jahren, ist Andreas Hofer, der
Wirt am Sandhof im Passeiertal,
in der Festung Mantua nach kur-
zer Gefangenschaft erschossen wor¬
den. Er ist nicht ganz 43 Jahre
alt geworden. Ueber vierzig
Jahre dieses Lebens unterschied er
sich durch nichts von den anderen,
es sei denn durch aufrechte Red-
lichkeit. Aber in seinem letzten
Lebensjahr stand er in so besonde-
rer Art im Licht der Weltge-
schichte, daß die Deutschen für alle
Zukunft Andreas Hofer nicht ver-
gessen werden.
Im Jahre 1809 beginnt das
Vorspiel zu dem Völkerdrama, das
in dem Befreiungskrieg von 1813
und in der Schlacht von Leipzig
seinen Höhepunkt erreicht. An sei-
nem Beginn ist Napoleon durch
den spanischen Feldzug an der vol-
len Entfaltung seiner Macht ge-
hindert. Manchs, die ihn schon für
unbesiegbar gehalten haben, sam¬
meln sich zum Widerstand. Der Freiherr von
Stein, Scharnhorst, Clausewitz betreiben die Re-
form in Preußen, Fichte halt seine „Reden an
die deutsche Nation", Rückert schreibt seine „Ge-
harnischten Sonette", Ernst Moritz Arndt seinen
„Geist der Zeit", Theodor Körner und Max von
Schenkendorf begeistern die Jugend mit ihren
Kriegsliedern. In Oesterreich hat seit 1805 der
Graf Stadion den Minister Tugut abgelöst, er
halt im Frühjahr die Monarchie für stark genug,
um die Uebermacht Napoleons zu brechen und er-
öffnet den Krieg gegen Frankreich. Der Erzher-
zog Karl richtet als Oberkommandierender der
Armee einen Aufruf an die Völker Deutschlands.
Er kommt zu früh. Nur aus dem Zug der Schill-
schen Reiter nach Stralsund mag Napoleon ah-
nen, was sich in der Tiefe Les deutschen Volkes
vorbereitet. Im übrigen bleibt der Hilferuf des
Erzherzogs Karl ohne Widerhall und Hilfe.
Eine einzige Ausnahme gibt es. In Tirol,
Las die Franzosen durch die willfährige bayeri-
sche Regierung unter, hartem Druck halten, er-
zielt die Mahnung, die von Wien ausgeht, eine
Wirkung, die keiner von den Mächtigen der
Welt erwartet hätte. Die Tiroler Bauern erhe-
ben sich offen gegen ihre Bedrücker und es ge-
lingt ihnen, sie aus dem Land zu drängen. Der
Kampf wird in einer Art geführt, auf die man
AM allgemeinen Regeln des Kriegs nicht anwen-
den kann. Die Bauern holen einfach ihre Stutzen
aus den Verstecken, bewaffnen sich mit Morgen-
sternen und Dreschflegeln, und, wo ein paar
Tausend von ihnen von den Bergen in die Täler
vorstotzen. ist die fremde Besatzung ohnmächtig.
Unter den Männern, die aus Bauern und Ee-
ro e-rbsleuten heldenhafte Soldaten eines harten
Bergkriegs zu machen, ganze Regimenter aus
dem Boden zu stampfen und mit Geschick gegen
den Gegner zu führen wissen, tritt bald der Süd-
tiroler Andreas Hofer hervor, der Wirt am
Sandhof im Passeier. Sein Vertrauen in die
Kraft des Aufstands stärkt auch den österreichi-
schen Truppen, die in Südtirol stehen und ängst-
lich einer Entscheidung ausweichen, den Rücken.
Er denkt nicht viel über die Möglichkeiten des
Sieges nach, er glaubt an ihn . Auch als Na-
poleon gegen die österreichischen Truppen Erfolge
erzielt und Wien besetzt, ist sein Mut nicht gebro-
chen. Die Mutlosigkeit, von der angesichts der
veränderten und für Oesterreich gefährlichen
Weltlage die kaiserlichen Beamten und die
Stände erfaßt sind, bringt es nur mit sich, daß
nun völlig die Männer, die von dem Willen des
Volkes zu Kampf und Widerstand getragen sind,
daß der Bauer Speckbacher, der Pater Haspin-
ger und Andreas Hofer für das Schicksal Tirols
zu sorgen haben. Andreas wird zum Oberkom-
mandierenden gewählt und siegt gegen große
I Uebermacht in der Schlacht am Berge Jsel.
Der Lohn des Heldenmutes scheint bald darauf
sicher und dauerhaft. Am 21. und 22. Mai wird
Napoleon von Erzherzog Karl bei Aspern ge-
schlagen. Man erwartet in aller Welt eine Wen-
dung im Schicksal Europas. Aber Napoleon, der
wohl über die Donau zurückweicht, kann Wien
behaupten und als er sich mit der Armee Eugen
Beauharnaises vereinigt hat, mit der Schlacht
bei Wagram die Niederlage von Aspern wett-
machen. Jetzt ist Las Spiel verloren. Graf Sta-
dion weicht dem Fürsten Metternich, Oesterreich
muß Friedensverhandlungen einleiten. Die
Hoffnung, daß Napoleon niedergeworfen und das
deutsche Volk befreit wird, ist in Nichts zerron-
nen. Noch weniger als ein halbes Jahr zuvor
glaubt man, daß man der Macht Napoleons mehr
Widerstand leisten könne.
Nur ein einziger Mann läßt sich in seinem
Glauben nicht irre machen, daß das natürliche
Recht eines Volkes stärker sei als jede Entschei-
dung am grünen Tisch. Andreas Hofer bleibt
fest, als nach der Schlacht bei Wagram niemand
die Verantwortung dafür tragen will, was in
Tirol geschieht. Er übernimmt entschlossen die
Regierung und zieht im Namen des Kaisers als
Regent in die Innsbrucker Hofburg ein. Die
Truppen der Feinde hat er im August in einer
zweiten Schlacht am Berge Jsel aus der Stadt
gejagt. Mag der Kaiser Franz das Spiel aufge-
ben, Andreas Hofer glaubt an seinen Stern.
Am 14. Oktober 1809 wird der Friede von
Wien unterschrieben. Nordtirol wird neuerlich
als Besitz der Bayern bestätigt, das heißt unter
französische Oberhoheit gestellt, Südtirol kommt
an das napoleonische Königreich Italien. Ver-
träge erklären ein fürchterliches Unrecht am
deutschen Volk feierlich für Recht. Wie lange
kann die Herrschaft Andreas Hofers, dieses selt-
samen Statthalters für einen Kaiser, der sein
Recht selbst abgeschworen hat, jetzt noch dauern?
Hofer ruft die Tiroler noch ein drittes Mal zu
den Waffen, nach Kämpfen von wechselvollem
Glück unterliegen sie. Andreas Hofer muß flie-
hen. In den Bergen seiner Heimat meint er sich
vor seinen Verfolgern geborgen, aber ein Lands-
mann, Raffl, den der hohe Kopfpreis lockt, ver-
rät ihn. Er wird gefangen genommen und nach
Mantua gebracht. Napoleon selbst ist es, der sei-
nen Tod beschließt und jede Gnade verweigert.
Es mag sein, daß Napoleon wohl begriffen hat,
welche ungeheure Bedeutung dem Kampf dieses
einfachen Bauern aus Südtirol zukommt. Er
hat, seit er sich zum Kaiser der Franzosen ge-
macht, in ganz Europa nach Belieben Kronen
verschenkt, Throne gestürzt, die Landkarte nach
Willkür verändert und jede Macht durch Ueber-
macht entkräftet. Andreas Hofer setzt seinen un-
ermeßlichen Kräften etwas entgegen, das sich
ihnen gar nicht vergleichen läßt: er antwortet
der Macht des Herrschers mit dem Recht eines
Volkes. Eine geheimnisvolle Macht ist um ihn,
bis zur letzten Stunde des Todestages in Man-
tua.
Andreas Hofer ist ein guter -Führer seiner
Standschützen und auch der ehrliche Regent eines
kleinen Bauernlandes. Aber weder seine militä-
rische noch seine politische Beaabung haben das
allgemeine Maß überragt. Was Andreas Hofer
erst unvergleichlich macht, ist die Sicherheit, mit
der sein Blick durch alle Nebel der Politik bis zu
den wahren Wurzeln des Völkerschicksals drang.
Wie anders soll ein Volk loben und wachsen als
in Freiheit und in seiner Heimat? Andreas Ho-
fer verstand nicht, was in Paris, Rom oder Wien
ausgehandelt wurde. Aber daß Tirol nur den
Tirolern gehört und daß fremde Beamte und
fremdes Militär nichts in Innsbruck zu suchen
haben, daß den Tirolern nur deutsch und nicht
französisch oder italienisch befohlen werden darf,
erschien ihm als ewiges Gesetz und jedes andere,
Las dem widersprach, hinfällig und vergänglich.
Dis klare Einfalt Hofers fühlte sich mit göttlicher
Weisheit verbunden und von ihr bestätigt. Die
Tiroler stritten mit Gott gegen die Fremdherr-
schaft. Wenn Pater Haspinger mit dem Kreuz
seinen Schützen voranstürmte, so hatte das seinen
großartigen Sinn. Immer ist die Macht des Ge-
kreuzigten mit jenen, die für das Recht kämpen.
Kein geschriebenes Unrecht der Menschen kann
sich gegen das ungeschriebene, aber ewige Recht
der göttlichen Schöpfung auflehnen, das jedem
Volk seine Heimat zuteilt und seine freie Würde
van keinem anderen zerstören läßt.
Es gibt größere Gestalten im Freiheitskampf
der Deutschen als Andreas Hofer. Aber kaum
von einem anderen konnte jene geheime Ermuti-
gung für das ganze deutsche Volk ausgehen, die
nach der Enttäuschung des Jahres 1809 notwen-
dig war. In Mantua wurde die unvergleichliche
Lage und die verborgene Macht des deutschen
Volkes sichtbar. Da stand ein Kaiser, gestützt von
der Macht eines ganzen Erdteiles einem Tiroler
Bauernwirt gegenüber, der aller Macht ent-
blößt war, unkundig des Völkerrechts und ein-
fältig in allen Dingen der großen Welt. Mußte
nicht gerade diese Gegenüberstellung, Napoleon
und Andreas Hofer, den Deutschen die Augen öff-
nen? Sie erkannten die moralische, die sitt-
liche Seite ihres Kampfes. Wer die Erschie-
ßung Hofers bloß politisch nahm, zuckte die Ach-
seln. Was war geschehen? In einem kleinen
Alpenlande hatte Napoleon einen Anführer hin-
richten lassen, wie tausend vor ihm und tausend
nach ihm. Aber das Gewissen der Welt erwachte.
Dieser Tiroler Wirt war mit einer heldenhaften
Ruhe in den Tod gegangen, die kein König auf-
gebracht hätte. Vis zum Schluß war der kind-
lich große Glaube in ihm. daß Gott und also das
Volk, das für seine Freiheit streitet, die Ober-
hand behalten würden, auch wenn ihn zehn Ku-
geln getroffen hätten. Noch keiner hat gegen
Gott das Spiel gewonnen. So wird auch das
heilige deutsche Reich über Napoleon siegen.
Die festliche Erinnerung an den Opfertod An-
dreas Hofers fällt in eine Zeit, in der rings um
die Deutschen die Schranken ungerechter Ver-
träge zusammsnbrechen müssen. Da ist die schlichte
Gestalt des Bauernwirts aus dem Passeiertal
wohl geeignet, den Geivrächen über Recht und
Unrecht zwischen den Völkern, die mit großer
Heftigkeit geführt werden, eine neue Tiefe
zu geben. Wenn die Deutschen ein gleiches Recht
unter den Völkern, jene Würde und jene Freiheit
verlangen, die ihren Kräften und ihrer Sendung
in der Welt entspricht, so ist das nicht nur eine
Frage der Juristen und Diplomaten, nicht nur
der irdischen, auch der göttlichen Gerech-
tigkeit. Nicht eine Gunst der Zeit, die Kraft
ewiger Ordnung tritt auf ihre Seite.
Auf solche Art wirft auch die Erinnerung an
einen Tag vor 125 Jahren ihr Helles Licht auf
den Zukunftsweg unseres Volkes. Niemand wird
ihm mehr entreißen und vorenthalten, wofür im-
mer wieder ein Andreas Hofer gottesgläubig
und heldenhaft in den Tod ginge, solange Deut-
sche leben: sein Recht, seine Würde und seins
Freiheit.
(Das obige Bild zeigt Hofers Erschießung nach
einem zeitgenössischen Holzschnitt. D. Schrift!,)
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rung ab. Sie hatte überhaupt einen ziemlich
ausgeprägten Widerspruchsgeist; in diesem
Falle jedoch pflegte sie den andern gegenüber
ihren eigenen Kopf durchzusetzen nicht aus
Hochmut oder Launenhaftigkeit, sondern weil
15) Nachdruck verboten.
.Obwohl ich nicht in Martis Haus wohnte,
veranlaßte mich doch seine Liebenswürdigkeit
und mein heimlicher Wunsch, fast den ganzen
Tag bei ihnen zu verleben, mit ihnen zu essen
und spazieren zu gehen. Bei jeder Gelegen-
heij suchte ich Christina meine Ergebenheit zu
beweisen und zeigte in bezug auf alles, was
sie anging, lebhafte und besorgte Anteilnahme,
die mir von Herzen kam. Sie nahm diese
Aufmerksamkeiten mit ernstem, zuweilen
scheuen! Wesen hin; aber ich bemerkte, daß
sie nicht die kleinste übersah, und das genügte
mir.
Bald entdeckte ich, daß außer der seltsamen
Mischung von Unbefangenheit und Schüchtern- s
heit, ausgelassener Fröhlichkeit und ab-wei-
serud-em Stolz in ihrem Wesen ein Schatz von
Empfindsamkeit lag, den sie sorgfältig und
fast scheu verbarg. Die Schamhaftigkeit ihrer
Gefühle war so groß, daß jeder äußere Zärt-
lichkeiiserweis sie beschämt machte Sie wallte
lieber als kalt gelten, als daß sie andern in
ihr tiefstes Wesen Einblick gewährt hätte. Im
Gegensatz zu ihrer Mutter, die nur zufrieden
w--r, wenn sie andere hätscheln konnte, oder
'ich von ihnen hätscheln ließ uno alle Welt ab-
tüßle, erwies sie ihrer Familie nst Zärtlich-
keiten und vermied es nach Möglichkeit, daß s
man istr selbst solche erwies.
Selbst ihr Mann, wenn er einmal zärtlich
wurde, bekam einen entsprechenden Wischer,
den er last immer lachend hinnahm. Trotz
d-cser ihrer Herbheit liebten alle sie innig unv
betrachteten ihre scheue Sprödigkest als eine
anmstigs Eigenheit und zogm sie gern ein
wenig dam-st auf.
Eben voegen dieses ihres Charakters hatte
jede l'Wstruoll? Neußernng aus ihrem Munde
uwchäßbar-en Wert. Aber man mußte so tun,
als nv-st- inan es nicht. Wenn man darauf
achtete .vd es sie westen ließ, war es vor-
hin; augalHstolich fiel sie wieder in istr sprödes
Wesen zmstck und schulst d-st Dankbarkeit mit
einer lrvstHrn oder gerprmchätzigei: Aeuße-
es Hr, die selbst rn bezug auf ihre Gefühle so
zurückbalten-d war, widerstrebte, wenn jemand
sie rückhaltlos zur Schau trug. Und dabei habe
ich sonderbarerweise nie einen Menschen ge-
troffen, dessen Züge deutlicher alle Regungen
seiner Seele, die feinsten Schatsterungen sei-
ner Gedanken widergespiegelt hätten. Was sic
im Augenblick bewegte, gegen ihren Willen
und trotz der starken Schlösser, hinter denen
sie es zu bewahren strebte, sprang es ihr aus
den Augen, aus jedem Zug ihres Gesichtes,
aus jeder ihrer Bewegungen.
Marti war von Tag zu Tag herzlicher ge-
gen mich. Wir waren unzertrennlich; ost
wollte er auch, daß ich ihn auf seinen geschäft-
lichen Gängen begleitete. Er machte mich zu
seinem Vertrauten und fragte mich sogar
wiederholt nm meine Meinung. Schließlich,
nachdem ich fünf oder sechs Tage in Valencia
war, bat er mir das Tu an und ohne eine
Antwort abzuwarten, fing er gleich damit an,
und zwar so herzlich, daß es mich rührte.
Meine Gefühüle ihm gegenüber waren eine
Mischung vn Stolz und Gemütigung, von
Freude und Pein; ich dachte ,daß das Ver-
trauen dieses Mannes mich äußerlich zwar
seiner Frau nälerbrachst, moralisch aber
immer weiter von ihr entfernte. Schon we-
nige Stunden darauf sah ich das bestätigt. Als
wir zu Hause waren, tat ich mein Möglichstes,
noch nicht merken zu lassen, daß wir uns
schon stutzten, aus Beschämung. Marti jedoch
duzte mich sofort ganz offenkundig. Christina
hob überrascht den Kopf, sah uns beide einen
Augenblick an, blickte dann gleich wieder weg
und ich glaubte in ihren Zügen einen Aus-
druck des Mißfallens zu lesen. Ich erriet nur
zu am, was in ihr vorging.
Bcarti forderte mich am nächsten Tage auf,
sein Lansthaus aus Cabanal mit ihm W be-
suchen, wo er einige Anweisungen für die In-
standsetzung des Gartens und Hauses zu gaben
hatte. Sie pflegten im Mai dahin überzusie-
steln, und der hatte schon begonnen; aber die-
ses Jahr mußte sich wegen des erhofften Er-
eignisses der Umzug verzögern. Ich bat 'hn,
auerfeldein zu Fuß zu geben, da ich gern die
Landhäuser und Gärten sehen wollte, die sich
zwischen der Stakst und dem Meere hinziehen.
Er stimmte bereitwillig zu, und zur Zeit des
gewohnten Spazierganges machten wir uns
gemächlich aus den Weg.
Mein Begleiter redete unterwegs unaufhör-
lich. Mir seine Geschäfte auseinanderzusetzen,
lag ibm so am Herzen, daß er keinen Blick
batte für das köstliche, in Blütenschmuck pran-
aenste Land, wo die Weißen Landhäuschen
Tauben gleichen, dis sich da niedergelassen
baben Um diese Hänschen mit spitzem Dach,
die fast immer von einem Gebüsch von Avfel-
sinen-, Granat- und Johannisbrotbäumen um-
geben sind, breiten sich symmetrische Anpflan-
zungen von Blumen und Gemüsen: große
Beete mit Nelken, Lilien, Rosen, Levkoien ab-
wechselnd mit Erdbeeren, Luzerne, Artischoken,
und dazwischen, auf wohlgepflegten, schmalen
Wegen tummelten sich schöne Kinder von
-dunkstr Hautfarbe, dst einen Augenblick stellen
blieben und uns mit ihren schwarzen, tiefen
Annen ansahen. Deur Vater, auf die Erste ge-
bückt, blickte ebenfalls auf, als wir vorüber-
kamen, und grüßte uns ernst und schweigeug,
indem er sich an den derben Strohhut faßte.
Marti sah weder das. noch überhaupt etwas
auf dem Wege. Er erzählte von seinen Unter-
nehmungen und ich hörte zerstreut zu.
Nach und nach näherten wir uns dem Ca-
banal. Schon zeichneten sich die Ufer des
Meeres ab, dessen weite blaue Fläche in strah-
lendem Sonnenschein lag. Wir gingen in
Sonne gebadet und atmeten baliamischs Luft.
Die Heiserkeit der Landschaft, die klar und
leuchtend ist wie ein Gemälde Tizians, die
idyllischen Bilder, denen wir auf Schritt und
Tritt begegneten, weckten ein sanftes Glücks-
gefühl in der Seele. Und in dieser lieblichen,
ruhevollen Umgebung schien mir Marti mit
seinem schönen Kopf mit dem welligen Haar,
mit seinen großen, treuherzigen Augen durch-
aus nicht so geschäftsklug, wie'er zu sein vor-
gab, und noch v-iel weniger von eiserner
Energie.
Ehe wir die ersten Häuser des kleinen Or-
tes erreichten, bogen wir nach links b. Dovt
fallen wir von weitem ein weißes Häuschen
unter Bäumen, und das, sagte Marti, sei sein
Landhaus. Auf dem Wege fiel mir ein um-
maaertes Grundstück auf, dessen Mauern ans
vollkommen symmetrischen, ganz gleichen
Steinen errichtet waren. Es war eine Ruine,
in der oroße verrostete Eisenrohre. Räder und
andere Maschinenteile auf dem Boden Herum-
lagen.
„Was ist das?" fragte ich überrascht. Marti
hustete, ebe er antwortete, zog die Manschetten
etwas mehr heraus und saate dann, halb ver-
drießlich, halb beschämt: „Ach, nichts.
eine Fabrik künstlicher Steine."
„Aber sie stellt still?"
,Ja."
„Wem gehört sie?"
„Mir." '
„Ab!" Ich schwieg; denn ich ersah aus sei-
nem Verhalten, daß die Sache ihn verdroß.
Wir gingen einige Schritte weiter, ohne daß
er gerubt hätte, auch nur einen Blick aut seine
verfallende Fabrik zu werfen. Doch plötzlich
wandte er sich um und rief: „Denk nur nickst,
daß ich es nicht verstanden hätte, Steine her-
zustellen! Sieh, die ganze Einmauerung ist aus
Erzeugnissen der Fabrik hergestellt. Hier, fühle
mal einen Stein an und prüfe ihn." '
Ich wog ihn in -der Hand besah ihn, und
er schien mir fest und dauerhaft. Und ich
freute mich, Marti das sagen zu können. Er
erklärte mir den Fehlschlag mit der Fabrik
sturck den Mangel an geeigneten Arbeits-
kräften
Wir gelangten endlich an die Mauer seiner
Besitzung, gingen durch sine Gistertür und
durch einen hübschen Garten nach dem Hause.
Dieses war von schlichter Bauart, aber recht
aeräum-iv und im Innern mit Lupus ausge-
stattet. Aber mein ganzes Entzücken erregte
der ausgedehnte Park, der sich hinter dem Haus
bis an die Bucht -erstreckte, zu der man durch
ein ebenfalls eisernes Pförtchsn hina-usgelangst
Es war früher Rußland gewest"; -erst Martis
Vater und dann dieser selbst hatten es m
-einen großen Park verwandelt. Die Wege
waren breit und mir Kies bestreut und von
Apfelsinen-, Zitronen-, Gvanatbnumen und
vielen anderen Qbsrbäumen nmsäuWt.
EoaHetzung jolgtck