Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 22.1911

DOI article:
Breuer, Robert: Die Propaganda der Tat
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11722#0335

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
XXII. JAHRGANG.

DARMSTADT.

AUGUST 1911.

DIE PROPAGANDA DER TAT.

Es gibt heute in Deutschland wohl kaum irgend
eine größere Stadt, die nicht wenigstens einen
Laden aufzuweisen hätte, in dem man halbwegs
anständige und leidlich geschmackvolle Möbel zu
kaufen bekommt. Eine bessere Rechtfertigung für
die Notwendigkeit und die wirtschaftliche Vernunft
jener Bewegung, die, als sie auftauchte, von den
Produzenten und Vermittlern oft als eine Beun-
ruhigung empfunden wurde, läßt sich kaum denken.
Die Fabrikanten und Händler hätten es sich gewiß
nicht einfallen lassen, altgewohnte Geleise zu ver-
leugnen und einer neuen Welt zu dienen, wenn
solcher Wechsel ein Experiment auf Leben und
Tod gewesen wäre. Sie unternahmen den ent-
scheidenden Schritt von den Stilkopien zur Gegen-
wart, weil sie den dringenden Eindruck empfangen
hatten, daß es im Publikum zu kreisen beginne,
daß nach dem Vortritt der Intellektuellen auch die
Wohlhabenden die Sensationen des neuen Stiles
begehrten. Diese Metamorphose der zahlkräftigen
Kundschaft wird den aufmerksamen Produzenten
nicht unerwartet gekommen sein, im Gegenteil,
manche dürften vermutet haben, sie früher eintreten
zu sehen. Indessen, es ist nun einmal so, daß das
Kapital konservativ ist und der Reichtum sich un-
gern von dem trennt, was er ererbt hat. Solche

Eigenschaften dürfen auch keineswegs nur als Er-
scheinungen des Trägheitsgesetzes gewertet werden;
sie sind vielmehr unausschaltbare Faktoren zur
Kultur. Es gibt keine Kultur ohne Konvention.
Darum wollen wir jene, die lieber beharren, als
daß sie sich bewegen, nicht als die Toten und be-
reits Begrabenen aus der Weltgeschichte entschaltet
sehen. Wir wollen sie belassen als Hemmungen
zur Gesundheit des Fortschrittes. Wie das zu ver-
stehen ist, das begreift man sofort, wenn man jener
Zeiten gedenkt, die uns den Jugendstil bescheerten.
In den Schlössern des Adels und in den Palästen
der Millionäre bat diese ephemere Seuche keine
Orgien gefeiert. Sie entlud sich bei denen, die
ohne Tradition sind, sie wurde befriedigt durch
jene geistlose und unverantwortliche Fabrikation,
die so gewissermaßen vom Umherreisen, vom Pür-
schen durch den Wechsel gedeiht. All jene Pro-
duzenten und Vermittler, die eine Vergangenheit
zu verlieren hatten, haben sich nach Möglichkeit
von blinden Experimenten ferngehalten; sie haben,
da sie sich nicht berufen fühlten eine neue Welt
mit neuen Formen zu bauen und da sie keine
Neigung hatten sich selber dem Tode zu weihen,
einfach festgehalten an dem, was sie groß gemacht
hatte. Sie haben sich darob oft vorwerfen lassen

1911. VIII. 1.
 
Annotationen