492
INNEN-DEKORATION
und Gehirn zeigt sich ja besonders schlagend in den
Fällen, wo infolge gewisser Sinnesdefekte (Blindheit,
Taubheit) die Hand geradezu als ein das Auge und
das Ohr ersetzendes Sinnesorgan in Wirksamkeit tritt,
aber auch in allen anderen Fällen ist er zweifellos vor-
handen, nur daß wir uns dessen oft kaum bewußt werden.
Auch schätzt Gaudig im Gegensatz zu Kerschen-
steiner die durch Handarbeit gewonnenen theo-
retischen Kenntnisse viel zu niedrig ein. Man
könnte ihm da Karl von Raumers schönes Wort ent-
gegenhalten, daß »in den Werkstätten eine wort-
lose, praktische Weisheit lebt, von der sich die
Schulweisheit nichts träumen läßt.« Aber diese
Weisheit läßt sich eben auf theoretischem Wege nicht er-
werben, man muß sie erarbeiten und erleben im
eigentlichsten Sinne des Wortes. Die Arbeit mit der
Hand und mit dem Werkzeug, wenn auch nur aller-
einfachster Art, wird also unter allen Umständen ein
wesentliches Moment der Arbeitsschule bilden.
Wenn man auch den Begriff: »Arbeitsschule« nicht
gleichbedeutend mit »Handarbeitsschule« setzen darf,
so können wir uns doch eine Arbeitsschule ohne
ausgiebige Berücksichtigung der Handbetäti-
gung nicht wohl denken.
Sehen wir uns doch das Leben an, wie es wirklich
ist! In früheren Zeiten konnte sich das Kind die
Gelegenheit zur Betätigung mit der Hand ohne weiteres
von selbst verschaffen, der Knabe ging dem Vater an
die Hand und das Mädchen der Mutter bei den man-
cherlei Hantierungen, die tagtäglich im Hause und in
der Werkstatt vorgenommen wurden. Hierin haben die
veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse
einen großen Wechsel gebracht, aber keineswegs zum
Vorteil der Erziehung. Die Werktätigkeit hat sich fast
ganz in die Fabriken zurückgezogen, und auch im
Haushalt werden viele Tätigkeiten kaum noch ausge-
übt, an denen die Jugend früher regelmäßig ihren An-
teil hatte. Statt praktisch tätig zu sein, und in Be-
rührung mit der Welt der Dinge sich Erfahrungen zu
sammeln, wandert unsere Jugend in die Schule, um
dort aus Büchern und aus dem Worte des Lehrers zu
lernen. Zum Tun, zum Handeln, zur Übung im Kön-
nen wird ihr dort fast keine Gelegenheit geboten.
Wir erziehen Wissensmenschen, aber keine
Willensmenschen, und das ist der Grund-
fehler unseres heutigen Erziehungssystems,
der nur durch die Einführung der Arbeits-
schule und die Durchführung des Arbeits-
prinzips beseitigt werden kann. —
leipzig. direktor dr. PABST.
KUNSTFERTIGKEIT UND KUNSTSCHAFFEN.
T\Jur das Kunstwerk, welches edle Kräfte gekostet
' hat, und dem man das höchste Streben des Men-
schen, eine edle Aufopferung der edelsten Kräfte, an-
sieht, hat ein wahres Interesse und erbauet. Wo man
sieht, daß es dem Meister zu leicht geworden, daß
er nichts Neues erstrebt hat, sondern sich nur auf seine
Fertigkeit und angeübte Kunst verließ . . ., da
fängt schon das Langweilige der Gattung an.
Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo
man Neues schafft; überall wo man sich ganz sicher
fühlt, hat der Zustand schon etwas Verdächtiges, denn
da weiß man etwas gewiß, also etwas, was schon da
ist, wird nur »gehandhabt«, wird wiederholt angewendet.
Dies ist schon eine halbtote Lebendigkeit. Überall da
wo man ungewiß ist, aber den Drang fühlt und die
Ahnung hat zu und von etwas Schönem, welches
dargestellt werden muß, da, wo man also sucht, da ist
man wahrhaft lebendig. — ■—■ Kunst ist überhaupt
nichts, wenn sie nicht neu ist. — k. f. Schinkel.
INNEN-DEKORATION
und Gehirn zeigt sich ja besonders schlagend in den
Fällen, wo infolge gewisser Sinnesdefekte (Blindheit,
Taubheit) die Hand geradezu als ein das Auge und
das Ohr ersetzendes Sinnesorgan in Wirksamkeit tritt,
aber auch in allen anderen Fällen ist er zweifellos vor-
handen, nur daß wir uns dessen oft kaum bewußt werden.
Auch schätzt Gaudig im Gegensatz zu Kerschen-
steiner die durch Handarbeit gewonnenen theo-
retischen Kenntnisse viel zu niedrig ein. Man
könnte ihm da Karl von Raumers schönes Wort ent-
gegenhalten, daß »in den Werkstätten eine wort-
lose, praktische Weisheit lebt, von der sich die
Schulweisheit nichts träumen läßt.« Aber diese
Weisheit läßt sich eben auf theoretischem Wege nicht er-
werben, man muß sie erarbeiten und erleben im
eigentlichsten Sinne des Wortes. Die Arbeit mit der
Hand und mit dem Werkzeug, wenn auch nur aller-
einfachster Art, wird also unter allen Umständen ein
wesentliches Moment der Arbeitsschule bilden.
Wenn man auch den Begriff: »Arbeitsschule« nicht
gleichbedeutend mit »Handarbeitsschule« setzen darf,
so können wir uns doch eine Arbeitsschule ohne
ausgiebige Berücksichtigung der Handbetäti-
gung nicht wohl denken.
Sehen wir uns doch das Leben an, wie es wirklich
ist! In früheren Zeiten konnte sich das Kind die
Gelegenheit zur Betätigung mit der Hand ohne weiteres
von selbst verschaffen, der Knabe ging dem Vater an
die Hand und das Mädchen der Mutter bei den man-
cherlei Hantierungen, die tagtäglich im Hause und in
der Werkstatt vorgenommen wurden. Hierin haben die
veränderten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse
einen großen Wechsel gebracht, aber keineswegs zum
Vorteil der Erziehung. Die Werktätigkeit hat sich fast
ganz in die Fabriken zurückgezogen, und auch im
Haushalt werden viele Tätigkeiten kaum noch ausge-
übt, an denen die Jugend früher regelmäßig ihren An-
teil hatte. Statt praktisch tätig zu sein, und in Be-
rührung mit der Welt der Dinge sich Erfahrungen zu
sammeln, wandert unsere Jugend in die Schule, um
dort aus Büchern und aus dem Worte des Lehrers zu
lernen. Zum Tun, zum Handeln, zur Übung im Kön-
nen wird ihr dort fast keine Gelegenheit geboten.
Wir erziehen Wissensmenschen, aber keine
Willensmenschen, und das ist der Grund-
fehler unseres heutigen Erziehungssystems,
der nur durch die Einführung der Arbeits-
schule und die Durchführung des Arbeits-
prinzips beseitigt werden kann. —
leipzig. direktor dr. PABST.
KUNSTFERTIGKEIT UND KUNSTSCHAFFEN.
T\Jur das Kunstwerk, welches edle Kräfte gekostet
' hat, und dem man das höchste Streben des Men-
schen, eine edle Aufopferung der edelsten Kräfte, an-
sieht, hat ein wahres Interesse und erbauet. Wo man
sieht, daß es dem Meister zu leicht geworden, daß
er nichts Neues erstrebt hat, sondern sich nur auf seine
Fertigkeit und angeübte Kunst verließ . . ., da
fängt schon das Langweilige der Gattung an.
Überall ist man nur da wahrhaft lebendig, wo
man Neues schafft; überall wo man sich ganz sicher
fühlt, hat der Zustand schon etwas Verdächtiges, denn
da weiß man etwas gewiß, also etwas, was schon da
ist, wird nur »gehandhabt«, wird wiederholt angewendet.
Dies ist schon eine halbtote Lebendigkeit. Überall da
wo man ungewiß ist, aber den Drang fühlt und die
Ahnung hat zu und von etwas Schönem, welches
dargestellt werden muß, da, wo man also sucht, da ist
man wahrhaft lebendig. — ■—■ Kunst ist überhaupt
nichts, wenn sie nicht neu ist. — k. f. Schinkel.