XXII. JAHRGANG.
DARMSTADT.
DEZEMBER 1911.
BAUKÜNSTLERISCHE KOMPROMISSE IM EIGENHAUSE.
VON DIR. OTTO SCHULZE— ELBERFELD.
Wir kommen allmählich dahin, den Kunst-
werken unserer Zeit etwas objektiver gegen-
überzutreten; wir verfallen nicht mehr so leicht in
eine leidenschaftliche Kritik, sind vorsichtiger mit
dem uneingeschränkten Lob und sehr zurückhaltend
mit zweifelhaften Ratschlägen für das Besser-
machen, für Beschränkung oder das aus-sich-
herausgehen mit den Seitenhieben auf uns beson-
ders unliebsame Kunstrichtungen. Wir nehmen in
der Flucht der Erscheinungen nicht mehr alles so
tragisch wie vordem, sowenig die bombastischen
Programme neuer Stilhelden als die Wiederver-
künder alter Werte, die auf einmal wieder auf dem
Forum Romanum, oder in den Trümmern Baby-
lons, oder in den Ornamentbüchern Japans, ja wohl
auch in den Vermächtnissen unserer Urgroßeltern
gefunden werden. Es war immer noch keine un-
dankbare Kulturarbeit: Alles zu prüfen und das
Beste zu behalten. Das Leben ist eigentlich für
die meisten von uns viel zu kurz, um immer eigene
Wege gehen oder neuen Ideen bis zur Verwirk-
lichung nachgehen zu können. Da macht man es
sich doch lieber etwas bequemer, paßt sich auch
anderen Wünschen an und fügt sich den Verhält-
nissen, die uns in Aufgaben und in den Forderungen
des Tages gestellt werden. Rücksichtslosigkeit in
Kunstdingen, die häufig mit Genialität für den
Schöpfenden und mit Mäzenatentum für den davon
Besitz nehmenden verwechselt wird, löst in uns
heute mehr Lachen und Bosheit denn Staunen und
Verhimmelung aus. Es ist merkwürdig still ge-
worden in den verschiedenen Lagern, Kompromisse
werden über Kompromisse geschlossen, und es
steht sich an sich niemand schlecht dabei, so lange
er darauf verzichtet, eine Extrawurst gebraten zu
bekommen. Unsere heißspornigsten Kritiker und
Kunstverkünder schauen auch des öfteren mal rück-
wärts und sehen dabei Schönheit seltener Art,
die ihnen einer Wiederbelebung wohl wert scheint.
Heimatschutz und Denkmalpflege, die nun auch
im Zeichenunterricht der oberen Klassen unserer
höheren Schulen eine große Rolle zu spielen be-
ginnen, außerdem einen jüngst auf die historischen
Stile hin gegebenen ministeriellen Erlaß sehr fühl-
bar unterstützen, tragen mit dazu bei, die private
Bautätigkeit, so namentlich in Form des Eigen-
hauses, nicht zu wilde Blüten treiben zu lassen.
Der Bauherr ist dem Architekten nicht in jedem
Fall ein Versuchskarnickel, und der reifere Archi-
tekt auch nicht mehr so selbstherrlich: Aufgabe,
1911. XII. 1.
DARMSTADT.
DEZEMBER 1911.
BAUKÜNSTLERISCHE KOMPROMISSE IM EIGENHAUSE.
VON DIR. OTTO SCHULZE— ELBERFELD.
Wir kommen allmählich dahin, den Kunst-
werken unserer Zeit etwas objektiver gegen-
überzutreten; wir verfallen nicht mehr so leicht in
eine leidenschaftliche Kritik, sind vorsichtiger mit
dem uneingeschränkten Lob und sehr zurückhaltend
mit zweifelhaften Ratschlägen für das Besser-
machen, für Beschränkung oder das aus-sich-
herausgehen mit den Seitenhieben auf uns beson-
ders unliebsame Kunstrichtungen. Wir nehmen in
der Flucht der Erscheinungen nicht mehr alles so
tragisch wie vordem, sowenig die bombastischen
Programme neuer Stilhelden als die Wiederver-
künder alter Werte, die auf einmal wieder auf dem
Forum Romanum, oder in den Trümmern Baby-
lons, oder in den Ornamentbüchern Japans, ja wohl
auch in den Vermächtnissen unserer Urgroßeltern
gefunden werden. Es war immer noch keine un-
dankbare Kulturarbeit: Alles zu prüfen und das
Beste zu behalten. Das Leben ist eigentlich für
die meisten von uns viel zu kurz, um immer eigene
Wege gehen oder neuen Ideen bis zur Verwirk-
lichung nachgehen zu können. Da macht man es
sich doch lieber etwas bequemer, paßt sich auch
anderen Wünschen an und fügt sich den Verhält-
nissen, die uns in Aufgaben und in den Forderungen
des Tages gestellt werden. Rücksichtslosigkeit in
Kunstdingen, die häufig mit Genialität für den
Schöpfenden und mit Mäzenatentum für den davon
Besitz nehmenden verwechselt wird, löst in uns
heute mehr Lachen und Bosheit denn Staunen und
Verhimmelung aus. Es ist merkwürdig still ge-
worden in den verschiedenen Lagern, Kompromisse
werden über Kompromisse geschlossen, und es
steht sich an sich niemand schlecht dabei, so lange
er darauf verzichtet, eine Extrawurst gebraten zu
bekommen. Unsere heißspornigsten Kritiker und
Kunstverkünder schauen auch des öfteren mal rück-
wärts und sehen dabei Schönheit seltener Art,
die ihnen einer Wiederbelebung wohl wert scheint.
Heimatschutz und Denkmalpflege, die nun auch
im Zeichenunterricht der oberen Klassen unserer
höheren Schulen eine große Rolle zu spielen be-
ginnen, außerdem einen jüngst auf die historischen
Stile hin gegebenen ministeriellen Erlaß sehr fühl-
bar unterstützen, tragen mit dazu bei, die private
Bautätigkeit, so namentlich in Form des Eigen-
hauses, nicht zu wilde Blüten treiben zu lassen.
Der Bauherr ist dem Architekten nicht in jedem
Fall ein Versuchskarnickel, und der reifere Archi-
tekt auch nicht mehr so selbstherrlich: Aufgabe,
1911. XII. 1.