DOI Artikel:
Erhard, Ludwig: Über die neuzeitige Tektonik, [3]
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.11722#0473
INNEN-DEKORATION
449
anderes Bild zeigt dagegen die heitere Kunstweise des
Rokoko, bei der sich die Architektur in Zierformen auflöst
und wobei anmutige Blumengewinde usw. das Sachliche
überwuchern. Unser technisches Zeitalter neigte sich
naturgemäß wieder mehr dem sachlichen Materialstil
zu, der inmitten der Unrast des Impressionismus das
Ruhige, Stete und Dauernde darstellt und dadurch der
modernen Werkkunst einen sicheren, auf der Gesetz-
mäßigkeit der Tektonik gegründeten Rückhalt zu
bieten vermag. Eine Erstarrung oder Verdüsterung der
Architektur und der Werkkunst durch den ernsten
Materialstilist keineswegs zu befürchten, denn die
Forderung der maßgebenden Gesellschaftskreise nach
repräsentativen Bauten, Räumen und Gebilden wird
die Künstler zu immer neuen Leistungen anspornen.
Überdies drängt auch die Mode zu fortwährenden Än-
derungen auf dem Gebiete der Innendekoration, des
Schmuckes und der Kleidung. Namentlich die mon-
dainen Damen werden sich wohl niemals mit jenen
moralisch-hygienischen Baßgewändern abfinden können,
zu denen einige Rationalisten der Werkkunst die schönen
Sünderinnen bekehren wollten! ....
Die Übergangszeit ist wohl endgiltig vorbei, da jedes
Ornament als »Verbrechen« galt. Nun droht aber neuer-
dings die Gefahr, daß die Werkkunst wieder vom Zu-
fall, der den Dilettantismus beherrscht, überwuchert
werde. Mit dem im bloßen Spieltrieb wurzelnden Ge-
staltungsdrang allein kommt die deutsche Kunst doch
nicht weiter, wenigstens nicht zur gesetzmäßigen Klarheit.
Ein festes Rückgrat kann ihr nur die Tektonik ver-
leihen, die darauf abzielt, an Stelle des empirischen
Formenwillens allenthalben neue Form- und Raumwerte
auf technisch-wissenschaftlicher Grundlage erstehen zu
lassen. Und was zu strengen Forderungen, zu ent-
WAND UND ORNAMENTALER FRIES BEMALT. AUS DER AUSSTELLUNO BEMALTER WOHNRÄUME IN HAMBURG.
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anderes Bild zeigt dagegen die heitere Kunstweise des
Rokoko, bei der sich die Architektur in Zierformen auflöst
und wobei anmutige Blumengewinde usw. das Sachliche
überwuchern. Unser technisches Zeitalter neigte sich
naturgemäß wieder mehr dem sachlichen Materialstil
zu, der inmitten der Unrast des Impressionismus das
Ruhige, Stete und Dauernde darstellt und dadurch der
modernen Werkkunst einen sicheren, auf der Gesetz-
mäßigkeit der Tektonik gegründeten Rückhalt zu
bieten vermag. Eine Erstarrung oder Verdüsterung der
Architektur und der Werkkunst durch den ernsten
Materialstilist keineswegs zu befürchten, denn die
Forderung der maßgebenden Gesellschaftskreise nach
repräsentativen Bauten, Räumen und Gebilden wird
die Künstler zu immer neuen Leistungen anspornen.
Überdies drängt auch die Mode zu fortwährenden Än-
derungen auf dem Gebiete der Innendekoration, des
Schmuckes und der Kleidung. Namentlich die mon-
dainen Damen werden sich wohl niemals mit jenen
moralisch-hygienischen Baßgewändern abfinden können,
zu denen einige Rationalisten der Werkkunst die schönen
Sünderinnen bekehren wollten! ....
Die Übergangszeit ist wohl endgiltig vorbei, da jedes
Ornament als »Verbrechen« galt. Nun droht aber neuer-
dings die Gefahr, daß die Werkkunst wieder vom Zu-
fall, der den Dilettantismus beherrscht, überwuchert
werde. Mit dem im bloßen Spieltrieb wurzelnden Ge-
staltungsdrang allein kommt die deutsche Kunst doch
nicht weiter, wenigstens nicht zur gesetzmäßigen Klarheit.
Ein festes Rückgrat kann ihr nur die Tektonik ver-
leihen, die darauf abzielt, an Stelle des empirischen
Formenwillens allenthalben neue Form- und Raumwerte
auf technisch-wissenschaftlicher Grundlage erstehen zu
lassen. Und was zu strengen Forderungen, zu ent-
WAND UND ORNAMENTALER FRIES BEMALT. AUS DER AUSSTELLUNO BEMALTER WOHNRÄUME IN HAMBURG.