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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Minkus, Fritz: Ueber Konstruktivität
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Giani, Carl: Moderne Kunststickerei: in Bezug auf deren Verwendung zum Schmucke der Wohnräume
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0040

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Februar-Heft. Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration. Seite 23.

Mir sind nicht unabsichtlich mit unseren Beispielen von dem
eigentlichen Gebiete unserer Besprechung ein wenig abgewichen;
wir wollten durch dieselben darauf hindeuten, welch ungemein
wichtigen Faktor für die Entwickelungs- und Kulturgeschichte der
Menschheit diese unbeachteten kleinen Details bilden, die in ihrer
scheinbaren Anspruchslosigkeit auf jahrhunderte- und jahrtausende-
lange Entwickelung zurückweisen.

So bietet uns Kunst und Kunstgewerbe in mancherlei gering-
fügig erscheinendem Beiwerk ein wahres Archiv zur Erforschung
der Geschichte der Menschheit, so sind Kunst und Aunstgewerbe
ein Reliquienschrein für die kleinen Ueberreste der Vergangenheit,
die uns das ewige Ringen, das ewige Vorwärtsschreiten der
Menschheit, den Trieb nach der Vollkommenheit darthun! Und
es ist eine ehrenvolle Pflicht von Aunst und Aunstgewerbe, diese
Reliquien zu hüten und zu wahren, und wehe der unverständigen
Hand, die sie als überflüssiges Beiwerk aus der Schatzkammer
unserer Ornamentik weist.

Es liegt in der Hand des Künstlers und des kunstgewerb-
lichen Arbeiters, diese altererbten Reminiscenzen weiter zu ver-
erben, und es wäre die Pflicht der Fachschulen, durch gediegenen
kunst- und kulturgeschichtlichen Unterricht auf dieselben hinzuweisen.

Unsere Zeit hat allerdings nach und nach einen geradezu
fanatischen Verbergungs trieb in sich großgezogen; wir ver-
bergen ängstlich Alles, „was man nicht unbedingt zu sehen
braucht", und wie das Speisegeräth, das in der Antike, im Mittel-
alter und zur Zeit der Renaissance den schönsten Schmuck des
Speiseraumes bildete, zuerst in die hausbackenen Glasschränke
der Biedermännerzeit und von da in die geschlossenen Kästen und
Kredenzen gewandert ist, um ja jedem Blicke — (Hausfrauen
würden hinzusetzen — und allerdings nicht mit Unrecht — „dem
Staube") — entzogen zu sein, so verbergen wir die Schlösser
unserer Thüren und Kästen, die ehedem oft Kunstwerke ersten
Ranges waren, so verstecken wir ängstlich den Nagel und den
Bilderhaken, so daß dann das Bild, der Spiegel auf der Wand
zu kleben, statt zu hängen scheint, und entziehen dadurch der
Klein-Zndustrie eine Menge von Gegenständen, an denen sie ihre
Verschönerungskunst darthun könnte, wie sie es in früheren Zeiten
gethan hat.

Es ist dies die alte Geschichte, die Konsumenten schieben die
schuld auf die Produzenten, die Produzenten auf die Konsumenten;
aber es ist doch wahrscheinlich, daß dem abzuhelfen wäre, und
daß das Publikum vielleicht zur Ansicht zu bringen wäre, daß
ein Schloß, ein Nagel, ein Haken nichts häßliches sind, wenn
eben die Klein-Zndustrie ein wenig Augenmerk auf diese unschein-
baren, aber nöthigen Gegenstände haben würde und neben der
sabriksmäßigen Dutzendwaare auch etwas künstlerische Produkte
auf den Markt brächte.

Auch die Mode, um nochmals unter den: nochmaligen Ge-
ständniß, daß sie nicht hierher gehört, auf sie zurückzukommen, ist
ein Gebiet des mystischesten Versteckenspielens geworden: heutzu-
tage ist jedes Kleid — ich spreche von Frauenkleidung — ein
Räthsel: die Näthe verborgen, daß das Kleid wie aus einem
Äück gegossen erscheint, die Art der Verschließung versteckt, daß
man die betreffende Trägerin für eingewebt halten möchte; früher
ich denke an die Kostüme des s5., s6. und s7. Jahrhunderts —
wurden die Nähte durch Borten und Stickereien betont, wie eben
auch in der großen Kunst das Ornament der Konstruktion folgen,
sie betonen und eine deutliche Gliederung Hervorrufen soll; früher
der Verschluß durch sichtbare Knöpfe (im vorigen und vorvorigen
Jahrhundert oft Wunder der Kunstblüthe), durch Verschnürung
und Bänder hergestellt: dadurch hatte die Mode eine künstlerische
Stellung eingenommen, und die Moden der Vergangenheit bilden
ein Glied der Kunstgeschichte, eine Ehre, die den unseren wohl
schwerlich je zu Theil werden dürfte — und diese Ehre danken
sie der für sie, wie für alle Zweige kunstgewerblichen Schaffens

gebotenen Konstruktivität — wir finden keine andere Be-
zeichnung, so ernst der Name für ein so heiteres Ding auch sei.

Die Konstruktivität bildet ein wesentliches Ersorderniß der
ästhetischen Wirkung eines Bauwerks, einer kunstgewerblichen
Arbeit: die Konstruktionstheile sind nicht zu verbergen, sondern
zu betonen, denn in Architektur und Kunstgewerbe gilt neben dem
„Erlaubt ist, was gefällt", auch — und vielleicht mehr — das
„Erlaubt ist, was nothwendig ist".

«Munststickerei

in Bezug auf deren Verwendung zum Schmucke der wabnräume.

von Larl L. Giani.

Wenn auch der Antheil relativ gering ist, welcher der Kunst-
stickerei an dem Schmucke moderner Wohnungen zugestanden wird,
so ist doch deren Wichtigkeit in den Reihen der Kunstgewerbe
eine ebenso anerkannte als beachtenswerthe.

Wie alle anderen Kunstgewerbe, ist auch die Kunststickerei
dem Dornröschen gleich aus langem Winterschlafs durch die große
Bewegung erweckt worden, welche Anfang der 50er Jahre dieses
Jahrhunderts von England ihren Ausgang genommen hat.

Wenige nur mehr weilen unter den Lebenden, welchen, wie
Schreiber dieses, es vergönnt gewesen, als Züngling jener Zeit
zu gedenken, sie studirend und in ihr arbeitend durchzuleben und heute
das, wie ihm dünkt, endlich damit nahe gerückte Ziel zu begrüßen.

Wie aus dem Vorhergesagten ersichtlich, hat die Kunststickerei
folgerichtig auch alle Uebergangsphasen durchgemacht und ist
wie s. At. in ihren Uranfängen aus der stillen Klosterzelle und
den dem Dienste des Altars geweihten Arbeiten, alle Stile der
Vergangenheit übend, allmählich in den Schmuck profaner Räume
und Geräthe auf den ebenso bewegten als lähmenden und gefähr-
lichen Alltagsmarkt hinausgetreten.

Auch der Kunststickerei sind durch die moderne Mechanik zahl-
reiche sehr beachtenswerthe Hülfskräfte erwachsen und darf deren
Mitarbeit so lange vollen Anspruch auf Anerkennung verlangen,
als dieselbe nicht zur Banalisirung treibt, ein Uebelstand, den
man nach keiner Richtung hin am wenigsten aber den künstlerischer
Entwickelung und der Handwerksehre gutheißen kann und darf.

Der demokratisirende Geist unserer Zeit hat seine großen
Vorzüge, so lange er nicht das göttliche Feuer künstlerischer
Thätigkeit unter der grauen Asche der hastenden und überstürzten
Alltagsarbeit begräbt, tritt diese einmal an die Hauptstelle; dann
ist auch jede Hoffnung auf gedeihliche Weiterentwickelung vernichtet.

Die Anfangs der 70 er Zahre auf dem Schauplatz erschienene
Stickmaschine System Tornely Bonaz hat der Stickerei bei Soutachir-
und Applikationsarbeiten unschätzbare Hülfe erwiesen; als sie
aber in die Dienste der kaufmännischen Konkurrenz sich stellte und
in der Tamburarbeit, ja sogar in der Flachstickerei eine für den
Laien schwer erkennbare Schöpfung versuchte und durchführte, da
war der erste Schritt zu einer Bewegung gethan, welche die jungen
Keime zu zertreten drohte. Die seither den Markt überschwem-
menden Erzeugnisse dieser, aus dem Rahmen des Handwerks in
den der Zndustrie getretenen Arbeit haben die Welt mit zahllosen
Plagiaten guter Erfindungen bis zum Ueberdruß gesättigt, und
was noch viel bedauerlicher ist, vielfache Zünger ehrlicher Hand-
arbeit auf die schiefe Ebene gedankenlosen Schaffens und grau-
samen selbst und Andere mordenden Lebenskampfes getrieben.

Besonderen Antheil an dieser bedauerlichen Erscheinung hat
die sogenannte Kurbelstickmaschine. Zm Zahre s878 auf der
pariser Weltausstellung beispielsweise haben einige pariser Firmen
ganz wunderbare Arbeiten der Bonaz'schen Maschine vornehmlich
in Stores zur Anschauung gebracht, welche der Handarbeit sich
würdig zur Seite stellten, in den letzten Zähren wurde aber vor-
nehmlich in Deutschland allzuviel und zu arg hierin gesündigt, um
daß ein Warnungs- und Mahnruf nicht am Platze geeignet erschiene.
 
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