TllärzHeft.
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Seite ^5.
Hubert Herkuurer:
englisches sMurchgewerbq?)
Professor Herkomer am Frühstückstisch, der in der freund-
lichen Halle seines neuen Muster-Wohnhauses"") gedeckt war,
bildete eben dieses erst ganz kürzlich vollendete Daheim des
Künstlers natürlich den Hauptgegenstand der Unterhaltung. Und
so kam es, daß ich ihn bat, mir seine Ansichten über die Ausgaben der
dekorativen Kunst mitzutheilen, von denen ich mir einige zu notiren wünschte,
wußte ich doch, daß seine Meinung
hierüber in vieler Hinsicht eine
andere ist, als die, welche man
zumeist äußern hört.
„Ei, du lieber Gott," meinte
er, „da geben Sie mir ja ein um-
fangreiches Thema. Tage lang
könnte ich reden, und Bände
würden Sie vollschreiben müssen,
werm Sie meine Ideen darüber
zu Papier bringen wollten."
Als ich ihn schleunigst in
dieser Hinsicht beruhigt hatte,
forderte er mich auf, in sein Atelier
zu kommen, wo der hohe Gerichts-
herr, den er grade male, auch
einmal den Zuhörer bei einem
Kreuzverhör abgeben könne.
„Vor allen Dingen", begann
Herkomer, flink und geräuschlos
mit seinen pinseln hantirend, „ein
Haus muß eben ein Heim sein".
Und mit dieser Einleitung traf er
gleich den Kernpunkt seiner Be-
trachtungen über Häuserbau und
Wohnungs-Einrichtung, den er
stets mit einer pietätvollen Innig-
keit, fast wie eine religiöse Ueber-
zeugung betont. Dieses Gefühl,
welches bei ihm in seinem deutschen
Blute liegen mag, hat ihm auch
offenbar den in seinem Atelier
angebrachten Spruch diktirt: „Im
Hause liegt das Glück."
Und dasselbe deutsche Motto sollte
gerade zur Zeit meines Besuches
in die riesige Kupferplatte graoirt
werden, welche die Eiugangs-
thür seines Hauses bildete. —
„Sa, und damit ein Haus
ein Heim sei, muß es den Karakter
Dessen, der es bewohnt, zu erkennen geben, es muß darin, womöglich in
jeder Linie, die Persönlichkeit des Besitzers ausgeprägt seiu."
„Das wird freilich noch lange ein frommer Wunsch bleiben", fügte er
lächelnd hinzu, aber ich sehe dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft. Noch
ist ein wirklich edler Dekorationsstil etwas Seltenes, viel seltener als in der
Malerei, und zu lehren ist er viel schwieriger, als das Malen. Das, was
den Kunsttechniker zum Künstler macht, kann nicht in einer großen Schule
gelehrt werden, etwa nach dem System des South-Kensington-Instituts. Das
Kunstgewerbe will in der Werkstatt gelernt sein. Die Schulen in Werkstätten
umzuwandeln, würde nichts helfen. Was ich tadle, ist das Klassensystem.
Wer das Kunstgewerbe lernen will, muß in die Lehre gehen. Wären unsere
*) Aus der Zeitschrift „Die Kunsthalle", Berlin.
*'*) Villa „Lululaund" bei dem Dorfe Bushey, nordwestlich von London.
Künstler dieses Fachgebietes richtig ausgebildet, so wie ich es meine, so
würden wir einen verfall des Kunsthandwerks nicht erlebt haben."
„Viele machen die Maschinen für diesen verfall verantwortlich. Sie
freilich, Herr Professor, Sie wären der Letzte, der dies thäte."
„Ganz recht. Sie wissen, ich schätze die Maschinen überaus hoch und
bin überzeugt, daß sie uns in Zukunft noch viel mehr als jetzt schon von
Nutzen sein werden. Sehen Sie hier dieses kleine Instrument, die kürzlich
patentirte Erfindung eines armen Mannes. Ls ist eine höhere Art Kaleidoskop.
Das kleine Ding zeichnet Ihnen in einer Stunde mehr Mrnamente, als das
menschliche Gehirn in einem Jahrhundert ersinnen könnte. Warum sollte
man den Apparat nicht anwenden,
um sich Zeit und Arbeit zu er-
sparen? In bloßer Arbeit steckt
nichts verdienstliches."
Er legte Palette und Pinsel
nieder, warf etwas Kupserdraht,
einige Gold- und Silberfäden und
ein paar Blumenblätter unter den
Apparat und zeigte uns, welche
mannigfaltigen herrlichen Zeich-
nungen sich daraus ergaben.
„Diese Maschine stilisirt näm-
lich sofort jede Blume und jedes
Blatt, und ich glaube, daß solche
mechanischen Hülfsmittel mehr
und mehr in Gebrauch kommen
werden. Die Seele, der leitende
Gedanke, das künstlerische Urtheil
— das bleibt immer noch des
Künstlers Theil. Ich setze auch
vertrauen in das Publikum. Ich
zweifle nicht an seiner Fähigkeit,
Arbeiten von Meisterhand richtig
zu würdigen. Ich glaube auch,
es ist noch nie eine aussichtsvollere
Periode für das Kunstgewerbe da-
gewesen. Wir haben ja noch die
alten Traditionen. Die Fotografie
versorgt uns bequem mit allen
mustergültigen Werken der Ver-
gangenheit, und die Maschinen
endlich kommen der Hand des
Künstlers zu Hülfe. Sie sehen in
mir nicht nur einen gelegentlichen
Liebhaber der Maschinen, die Arbeit
ersparen; ich kaufe sogar alles
Brauchbare. Ich begreife nicht,
warum solche Nittel, durch die
der Künstler seine Ideen schneller
zum Ausdruck bringen kann, ihm
nicht willkommen sein sollten?
Denn ich bleibe dabei — bloße Arbeit an sich ist kein Verdienst."
„Ist es wahr", fragte ich, „daß Ruskin es ablehntc, Ihr Haus zu besich-
tigen, weil Sie Maschinen, ,diese Erfindungen des Teufelsh angewandt haben?"
„Ja, das ist wahr. Er beharrt bei seiner Anschauung, es sei keine
Kunst, eine Säge durch ein Stück Holz zu führen. Er macht eben leider die
Maschinen für jeden Mißbrauch, der mit ihnen heutzutage leider getrieben
wird, verantwortlich. Und um auf die Zukunft unseres modernen Kunst-
gewcrbcs zurückzukommen, darf ich wiederholt versichern, daß dieses noch
niemals mit so günstigen Umständen zu thnn hatte. Da ist erstens die über-
reiche Auswahl an schönen, Material; sodann haben wir die Lhemie, die
Maschinenlehre und die Metallurgie, die den, Kunsttechniker jetzt zauberische
Wirkungen ermöglichen, von denen sich die alten Meister gewiß nichts träumen
ließen. In der That, der moderne Dekoratör kann — wenn er nur wollte —
Abbildung Nr. 2 ;o. Dainen-Schreibtisch und Lenster-Draperie im Rokokostil.
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Seite ^5.
Hubert Herkuurer:
englisches sMurchgewerbq?)
Professor Herkomer am Frühstückstisch, der in der freund-
lichen Halle seines neuen Muster-Wohnhauses"") gedeckt war,
bildete eben dieses erst ganz kürzlich vollendete Daheim des
Künstlers natürlich den Hauptgegenstand der Unterhaltung. Und
so kam es, daß ich ihn bat, mir seine Ansichten über die Ausgaben der
dekorativen Kunst mitzutheilen, von denen ich mir einige zu notiren wünschte,
wußte ich doch, daß seine Meinung
hierüber in vieler Hinsicht eine
andere ist, als die, welche man
zumeist äußern hört.
„Ei, du lieber Gott," meinte
er, „da geben Sie mir ja ein um-
fangreiches Thema. Tage lang
könnte ich reden, und Bände
würden Sie vollschreiben müssen,
werm Sie meine Ideen darüber
zu Papier bringen wollten."
Als ich ihn schleunigst in
dieser Hinsicht beruhigt hatte,
forderte er mich auf, in sein Atelier
zu kommen, wo der hohe Gerichts-
herr, den er grade male, auch
einmal den Zuhörer bei einem
Kreuzverhör abgeben könne.
„Vor allen Dingen", begann
Herkomer, flink und geräuschlos
mit seinen pinseln hantirend, „ein
Haus muß eben ein Heim sein".
Und mit dieser Einleitung traf er
gleich den Kernpunkt seiner Be-
trachtungen über Häuserbau und
Wohnungs-Einrichtung, den er
stets mit einer pietätvollen Innig-
keit, fast wie eine religiöse Ueber-
zeugung betont. Dieses Gefühl,
welches bei ihm in seinem deutschen
Blute liegen mag, hat ihm auch
offenbar den in seinem Atelier
angebrachten Spruch diktirt: „Im
Hause liegt das Glück."
Und dasselbe deutsche Motto sollte
gerade zur Zeit meines Besuches
in die riesige Kupferplatte graoirt
werden, welche die Eiugangs-
thür seines Hauses bildete. —
„Sa, und damit ein Haus
ein Heim sei, muß es den Karakter
Dessen, der es bewohnt, zu erkennen geben, es muß darin, womöglich in
jeder Linie, die Persönlichkeit des Besitzers ausgeprägt seiu."
„Das wird freilich noch lange ein frommer Wunsch bleiben", fügte er
lächelnd hinzu, aber ich sehe dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft. Noch
ist ein wirklich edler Dekorationsstil etwas Seltenes, viel seltener als in der
Malerei, und zu lehren ist er viel schwieriger, als das Malen. Das, was
den Kunsttechniker zum Künstler macht, kann nicht in einer großen Schule
gelehrt werden, etwa nach dem System des South-Kensington-Instituts. Das
Kunstgewerbe will in der Werkstatt gelernt sein. Die Schulen in Werkstätten
umzuwandeln, würde nichts helfen. Was ich tadle, ist das Klassensystem.
Wer das Kunstgewerbe lernen will, muß in die Lehre gehen. Wären unsere
*) Aus der Zeitschrift „Die Kunsthalle", Berlin.
*'*) Villa „Lululaund" bei dem Dorfe Bushey, nordwestlich von London.
Künstler dieses Fachgebietes richtig ausgebildet, so wie ich es meine, so
würden wir einen verfall des Kunsthandwerks nicht erlebt haben."
„Viele machen die Maschinen für diesen verfall verantwortlich. Sie
freilich, Herr Professor, Sie wären der Letzte, der dies thäte."
„Ganz recht. Sie wissen, ich schätze die Maschinen überaus hoch und
bin überzeugt, daß sie uns in Zukunft noch viel mehr als jetzt schon von
Nutzen sein werden. Sehen Sie hier dieses kleine Instrument, die kürzlich
patentirte Erfindung eines armen Mannes. Ls ist eine höhere Art Kaleidoskop.
Das kleine Ding zeichnet Ihnen in einer Stunde mehr Mrnamente, als das
menschliche Gehirn in einem Jahrhundert ersinnen könnte. Warum sollte
man den Apparat nicht anwenden,
um sich Zeit und Arbeit zu er-
sparen? In bloßer Arbeit steckt
nichts verdienstliches."
Er legte Palette und Pinsel
nieder, warf etwas Kupserdraht,
einige Gold- und Silberfäden und
ein paar Blumenblätter unter den
Apparat und zeigte uns, welche
mannigfaltigen herrlichen Zeich-
nungen sich daraus ergaben.
„Diese Maschine stilisirt näm-
lich sofort jede Blume und jedes
Blatt, und ich glaube, daß solche
mechanischen Hülfsmittel mehr
und mehr in Gebrauch kommen
werden. Die Seele, der leitende
Gedanke, das künstlerische Urtheil
— das bleibt immer noch des
Künstlers Theil. Ich setze auch
vertrauen in das Publikum. Ich
zweifle nicht an seiner Fähigkeit,
Arbeiten von Meisterhand richtig
zu würdigen. Ich glaube auch,
es ist noch nie eine aussichtsvollere
Periode für das Kunstgewerbe da-
gewesen. Wir haben ja noch die
alten Traditionen. Die Fotografie
versorgt uns bequem mit allen
mustergültigen Werken der Ver-
gangenheit, und die Maschinen
endlich kommen der Hand des
Künstlers zu Hülfe. Sie sehen in
mir nicht nur einen gelegentlichen
Liebhaber der Maschinen, die Arbeit
ersparen; ich kaufe sogar alles
Brauchbare. Ich begreife nicht,
warum solche Nittel, durch die
der Künstler seine Ideen schneller
zum Ausdruck bringen kann, ihm
nicht willkommen sein sollten?
Denn ich bleibe dabei — bloße Arbeit an sich ist kein Verdienst."
„Ist es wahr", fragte ich, „daß Ruskin es ablehntc, Ihr Haus zu besich-
tigen, weil Sie Maschinen, ,diese Erfindungen des Teufelsh angewandt haben?"
„Ja, das ist wahr. Er beharrt bei seiner Anschauung, es sei keine
Kunst, eine Säge durch ein Stück Holz zu führen. Er macht eben leider die
Maschinen für jeden Mißbrauch, der mit ihnen heutzutage leider getrieben
wird, verantwortlich. Und um auf die Zukunft unseres modernen Kunst-
gewcrbcs zurückzukommen, darf ich wiederholt versichern, daß dieses noch
niemals mit so günstigen Umständen zu thnn hatte. Da ist erstens die über-
reiche Auswahl an schönen, Material; sodann haben wir die Lhemie, die
Maschinenlehre und die Metallurgie, die den, Kunsttechniker jetzt zauberische
Wirkungen ermöglichen, von denen sich die alten Meister gewiß nichts träumen
ließen. In der That, der moderne Dekoratör kann — wenn er nur wollte —
Abbildung Nr. 2 ;o. Dainen-Schreibtisch und Lenster-Draperie im Rokokostil.