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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Volbehr, Theodor: Das Wort "Geschmackssache"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0139

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Preis vierteljährlich für Deutschland Mk. 5.—, für

Sämmtliche Original-Illustrationen stehen unseren Lesern zur verwerthung frei.

Dir Zeitschrift ist verbreitet in allen Kullurstaaten.

Illustrationen und textliche Beiträge nur an die Schristleitung in Darmstadt erbeten.

Anfangs jeden Monats erscheint ein Heft.

Nur Sonder-Heste sind einzeln a Mk. 2.— erhältlich.

Buchh.-Vertreter: Eduard Schmidt, Leipzig.
Insertions-Bedingungen am Schluß der Zeitschrift.

VII. Iahrg. 1696.

-U Leipzig Darmstadt ^ Wien. M-

Juli-Heft.

as Wort

eschrlrackssache


viv Th. Volk ehr.
Magdeburg.

Ms gibt wenig „ge-
flügelte Worte",
die eine so peinigende
Wirkung ausüben,
wie das vielge-
brauchte „Das ist Ge-
schmackssache!" Da
steht man vor irgend
einer künstlerischen Schöpfung,
die sich strahlend aus der um-
gebenden Wittelmäßigkeit heraus-
hebt, und man spricht in starken
Worten seine Anerkennung, seine
Bewunderung aus; und plötzlich
hört man neben sich das ominöse
„Na, das ist Geschmackssache!"
Vder man hat in lebhaften Aus-
drücken die Geschmacklosigkeit,
die Langweiligkeit eines belie-
bigen Gegenstandes getadelt und
Vignette von h, Säumer. muß als Entgegnung die Worte

hören: „Das ist Geschmackssache,
ich finde ihn schön." Wie gesagt, die Wirkung ist geradezu peinigend;
denn das Wort sagt nicht nur: „ich habe eine andere Meinung
von der Sache", sondern es sagt auch: „schweigen wir von diesem

von

Thema; mein Standpunkt ist wohlerwogen, irgend welcher Ueber-
redung bin ich unzugänglich, also spare Deine Worte". Jeder
Mensch aber, der eine eigene Meinung hat, hat seltsamerweise auch
das Bedürfniß, dieser Meinung Freunde zu erwerben, für sie zu
kämpfen und ihren Sieg herbeizuführen. Muß es da nicht wie ein
Strahl des kältendsten Wassers wirken, wenn in die begeisterte
Propaganda für oder gegen irgend eine Richtung auf dem Gebiete
des Aunsthandwerks das Wort „das ist Geschmackssache" hinein-
geworsen und damit jeder weitere Versuch, zu überzeugen,
unmöglich gemacht wird?

Aber man müßte das Wort trotzdem geduldig hinnehmen,
wenn es Wahrheit enthielte, wenn es in der Thal lediglich eine
Sache des persönlichen Geschmacks wäre, ob etwas als schön
empfunden wird oder als häßlich. Dann lohnte es sich aller-
dings nicht, für die Verbreitung des Schönheitssinnes Lanzen zu
brechen; sie würden zwecklos zersplittern; dann hätte das Baby
dieselbe Berechtigung, ein fertiges Urtheil abzugeben, wie der
gereifte Mann. Das ist schon an sich nicht wahrscheinlich; wir
werden aber durch einen flüchtigen Blick auf den physischen
Geschmack überzeugt werden, daß hier nicht nur eine Unwahr-
scheinlichkeit, sondern geradezu eine Unmöglichkeit vorliegt.

Was nennen wir im physischen Sinne „Geschmack"? Nach
dem stillschweigenden Uebereinkommen der zivilisirten Menschheit
ist der Geschmack derjenige Sinn, der durch gewisse Nerven in
der Mundhöhlenschleimhaut ein Urtheil über Stoffe, die in den
Mund gelangen, abgibt. Solches Urtheil entsteht aber selbstver-
ständlich nur als Resultat von Vergleichungen; es muß also
häufige Gelegenheit zu solchen Vergleichungen gegeben werden:
die Stoffe müssen wiederholt in den Mund gelangen, dann erst
vermag sich der Geschmack ein Urtheil über die Güte der betref-
fenden Dinge zu bilden. Wo diese Wiederholung, diese Uebung
 
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