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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Minkus, Fritz: Die Geschichte des Bettes
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Das Stilisieren der Naturformen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0236

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Seite ^76.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Gktober-Heft.

tiousna, Trauungen, bei denen sich eines der Brautleute durch einen Spezial-
gesandten vertreten läßt; hier galt die Ehe als rechtskräftig, sobald der
Vertreter des abwesenden Theiles neben dem anderen eine Zeitlang im
Angesichte des ganzen Hofes auf dem Ehelager Platz genommen hatte. —
Auf diese Weise wurde noch Maria Louise dem abwesenden Napoleon angetraut.

Das Rokoko ersetzte das paradebett durch die graziösere Chaise-
longue, auf dem die Hausfrau hingestreckt war, wenn sie mit ihren Be-
suchern kausirte und medisirte: das intimere Boudoir hatte den würdevollen
Empfangssaal verdrängt.

Chaise-longue und Sofa herrschten nun in den Gesellschaftsräumen,
das Bett wurde endgültig in den Winkel gestellt, im buchstäblichsten Sinne
des Wortes; man sah es nicht mehr, das Schlafzimmer ward den Blicken
der Gäste entzogen.

Die leidige Unsitte, die sich seit Beginn des Jahrhunderts, speziell
in Deutschland, immer mehr verbreitete, nur die für die Besucher zugäng-
lichen Räume des Hauses einigermaßen repräsentabel einzurichten und die
Einrichtung der eigentlichen Mohnräume in ungemüthlich-nüchterner Weise
gänzlich zu vernachlässigen, eine Unsitte, die in der berüchtigten, heute wohl
für immer ausgerotteten „guten
Stube" des deutschen Mittelstan-
des die Apotheose ihrer Albern-
heit erreichte, ließ auch das Bett
allmählich zu dem engen, sarg-
artigen, höchstens mit ein paar
steifen, weißen Tüllvorhängen
„geschmückten" Schmerzenslager
verkümmern, in dessen ersticken-
den Federbetten unsere Groß-
eltern und Eltern, ja wir selbst
noch — und nicht nur in elenden
Landwirthshäusern — „geruht"
haben und aus welchen man sich
des Morgens mit blauen Flecken
und halbgeräderten Gliedmaßen
erhob. — Nur in Deutschland
hatte sich dieses unbequeme, un-
gesunde Marterbett, das noch
obendrein in finstere, lustlose
Alkoven gestellt zu werden pflegte,
eingebürgert: das praktischere
England und das verwöhntere
Frankreich hatte die breiten,
bequemen Betten vergangener
Zeiten beibehalten, ihnen die
sanitär und dekorativ weitaus
vorzuziehende altherkömmliche
Stellung, die es nur mit dem
Kopfende an die Wand rückte,
belassend.

Und so mußten wir uns
denn, als endlich wieder Sinn
und Liebe für trauliche, behag-
liche Wohnungs-Einrichtung er-
wachte, die Muster unserer neuen
Betten aus Frankreich und Eng-
land holen. Das letztere hat
uns eine echt moderne, gediegene,
bequeme und zugleich schöne Lagerstätte herübergesandt, die nachgerade bei
uns heimisch zu werden beginnt: das Messingbett, das, so neumodisch
es ist, doch schon, wie Alles schon dagewesen, seinen Vorgänger hat: im
bronzenen lsotus des alten Rom und täglich mehr Anklang findet. —

Das WMiNren der Maturformen,

das jetzt hier und da mit besonderem Interesse erörtert wird, weil es in
seiner vollen Wichtigkeit endlich erkannt ist, behandeln höchst interessante
Ausstellungen, die in Dresden, Paris und anderen Drten stattfanden. Es
wurden auch die besten Fachmänner zur Aussprache über diesen Gegenstand
veranlaßt, und es scheint, daß sie zum Ausgangspunkte einer klärenden
Polemik, wenigstens über das Stilisiren als Gegenstand des kunstgewerblichen
Unterrichtes, werden dürften. So spricht sich z. B. der frühere Lehrer an der
Dresdener Kunstgewerbeschule, der Musterzeichner Professor R. Krumbholz
über die Bestrebungen, die er als einer der ersten in Deutschland mit angeregt
hat, wie folgt aus: „Der Bedeutung dieser reformatorischen Bewegung auf
kunstindustriellem Gebiete nach muß es als wünschenswerth erscheinen, daß
sie nicht als bloße Nodesache, sondern der weiteren Ausbildung werth,
sympathisch angesehen und willkommen geheißen werde. Denn, wer wollte

es leugnen, wir haben uns im Hinblick aus unsere Verzierungsfächer nun
lang genug von den Brosamen genährt, die von dem Tische der Alten und
unserer Vorgänger fielen, und sind dadurch zu einem mehr oder weniger
verknöcherten Schematismus gelangt, der nur vom Kopiren, höchstens vom
Komponiren des alten, hergebrachten Verzierungsmaterials lebte, und der
den großen beschämenden Nachtheil für uns hatte, daß unsere reichen Natur-
schätze unbeachtet, folglich unbenutzt blieben, und zu einem Fortschritt, wie
auf allen anderen Gebieten, nicht zu kommen war. Bedenkt man, welchen
Nutzen die Alten schon aus den wenigen damals bekannten und für die
Anschaffungen der Verzierungen geeigneten Pflanzenformen: Wasserrosen,
Akanthusarten, Palmblatt, Lorbeer, Papyrus usw. und ferner: Lpheu, Wein,
Distel, Eiche, Hopfen, Kohl, Ahorn, Ranunkel, Rose, Platane, Kastanie,
Schöllkraut, Haselnuß, Erdbeere, Klee, Feige, Artischocke usw. gezogen haben,
so muß man geradezu staunen darüber, wie es kommen konnte, daß unsere
heutzutage so überaus vermehrte reichere Flora so lange unbeachtet bleiben
und so vernachlässigt werden konnte. Zwei Gründe lassen sich dafür anführen:
der eingefleischte Eklektizismus, der jede frische Regung alsbald zu kreuzigen
bereit war einerseits, und andererseits das mangelnde Schönheitsgefühl für

die Naturformen oder das Un-
vermögen, diese durch das feh-
lende Studium nutzbar zu machen.
Dieses gründliche Studium der
Pflanzensormen ist vor allen
Dingen von Nöthen, um Neues
und verwendbares für unsere
plastischen und flachen verzie-
rungsweisen darin zu sehen und
zu finden, um mehr oder weniger
Stilistisches damit zu schaffen.
Mit Letzterem möchten wir an-
deuten, daß die Grenzen hier
nicht zu eng gezogen werden
dürfen, denn zwischen den streng
architektonisch,ornamentalen For-
men und den Mustern, wie sie
die moderne Industrie verlangt,
bis zum Kleiderstoffmuster liegt
noch ein weites Feld. Für unsere
kunstgewerblichen Schulen ist das
Studium der Pflanzenformen
nichts Neues, wenn auch zuge-
geben werden kann, daß es noch
nicht überall planmäßig und

gründlich genug betrieben wird.
Zuweilen geschieht es leider, daß
bei Neuerungsbestrebungen des
bereits in der Richtung Geschaf-
fenen nicht die schuldige, oder
auch wohl keine Beachtung findet,
oder wohl gar mit Aeußerungen
„hoch zu Roß" bedacht wird.
Mb nun nach einem gründlichen
Studium der Pflanzen durch

Zeichnen und Malen derselben
auch noch die nöthige Zeit zum
Stilisiren derselben verbleiben
wird, muß der Entscheidung der
Zukunft anheimgestellt werden. Eine „Lehre" dafür existirt zur Zeit noch
nicht, d. h. eine systematische; da es nun auch gute Weile haben dürfte, eine
solche zu schaffen und einen regelmäßigen Unterricht darnach einzuführen,
so können irgend welche Befürchtungen deshalb nur als verfrüht erscheinen.
Andeutungen dafür lassen sich ja geben, werden sich auch noch mehr anf-

stellen lassen, aber die Hauptsache wird dabei das Beispiel des Lehrers im

eigenen Schaffen sein und bleiben. Ausgeschlossen dürste damit nicht sein,
daß vorgeschrittene Schüler im Zeichnen und Malen nach der Natur im
letzten Studienjahr wohl auch mit dem Umschaffen der Naturformen zu ver-
zierungen für bestimmte Zwecke beschäftigt werden können; das Weitere
müßte dem eigenen Streben, der künstlerischen Findigkeit des Einzelnen über-
lassen bleiben. Hier wird es aber auch heißen: viele sind berufen, aber
Wenige auserwählt. Ls könnte nur als bedauerlich erachtet werden, wenn
die hier besprochenen Bestrebungen durch vorzeitig verlautbarte Bedenken in
ihrer Entwickelung gestört und so beeinträchtigt würden, denn es kann keinem
Zweifel unterliegen, daß das Studium der Naturformen und die sich daraus
stützenden Ergebnisse der einzig mögliche Weg sind, um durch einen belebenden
Hauch unsere verzierungsweisen der Versumpfung zu entziehen. Werden
diese Bestrebungen ernstlich verfolgt und mit Begeisterung gepflegt, so läßt
sich zur Zeit noch in keiner weise absehen, zu was und wie weit sie führen,
könnten; gut Ding will eben Weile haben. (honn. G-werbebiani



Krone iin mittleren Strafsenats-Sitzungssaal.
Ausführung: Sächsische Bronzewaarenfabrik vormals R. A. Seifert, Wurzen.
 
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