April-Heft.
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Seite 6f.
mitlmgkn in der Wililkil-^dtkorlltilttl.
^ch bitte Sie. sich zunächst mit mir einen Moment nach Paris zu
versetzen. Nehmen wir an. aus der Provinz, aus Brleans oder
Amiens, sei ein Mann in die Metropole gekommen, um vor
einem fachmännisch gebildeten Publikum einen Vortrag über die
neuesten Wendungen des Geschmacks zu halten; dort würde dieser Mann
nur mit einem Achselzucken begrüßt werden.
Daß Sie mich aus einer Provinzialstadt ein-
geladen haben, um vor Ihnen über dies
Thema zu sprechen, und in so großer Zahl
erschienen sind, dafür bin ich Ihnen herzlich
dankbar; das beweist aber auch, dgß die ver-
hältnisse bei uns anders liegen als in Frankreich.
Auch Berlin ist ein bestimmender, ton-
angebender Vrt für das. was wir für schön
halten. Aber wir leben doch insofern in
anderen Verhältnissen als die Franzosen, als
wir außer der Hauptsonne Berlin noch kleine
Nebensonnen haben. Speziell die westliche
Ecke unseres Vaterlandes. Frankfurt a. M. und
seine Umgebung, ist in dieser Beziehung be-
sonders hervorznheben. Denn gerade Frankfurt
erfreut sich eines großen Prozentsatzes ziemlich
wohlhabender Leute, die sich in ihrer Häus-
lichkeit einen gewissen Luxus gestatten können,
und die viel reisen. Am liebsten gehen sie
ins Ausland, und ein Aufenthalt in Paris
und London, wohin sie auch verwandtschaftliche
Verhältnisse ziehen, ist bei ihnen zur Regel
geworden. Daß sie dabei doch gute Deutsche
bleiben, beweisen sie schon in der echt deutschen
Bewunderung des Fremden, welches sie da
kennen lernen. Denn diese Bewunderung geht
nicht so weit, daß sie etwa die schönen Dinge,
die ihnen in den fremden Möbelmagazinen
begegnen, kaufen, um sie nach Deutschland zu
importiren, vielmehr benutzen sie die dort
gesammelte Kenntniß von dem. was das Aus-
land zu liefern vermag, um die einheimischen
Geschäfte zur Aufmerksamkeit auf das Ausland
zu veranlassen, sodaß die großen Magazine
und Werkstätten in Frankfurt a. M.. Mainz,
Mannheim. Stuttgart und Karlsruhe ein ziem-
lich vollständiges Bild des herrschenden, inter-
nationalen Geschmackes geben können. Da-
gegen könnte mir der Vorwurf gemacht werden, daß ich nur von der besitzenden
Masse spreche, da doch auf eine Person, der die Nittel zur Verfügung ständen,
sich das Heim nach gewissen Stilrichtungen einzurichten, 999 kämen, die in
den Magazinen gewöhnlichen Genres kaufen müßten, daß jene Magazine
immer nur die Lieferanten der reichen Leute seien; wichtiger sei es. darauf
zu sehen, was die große Durchschnittsmasse und der Arbeiter kaufe. Doch
ich bin nicht ganz dieser Ansicht; dieser Linwand würde zutreffend sein, wenn
wir einen karakterislischen Typus für die Wohnungen des mittleren Bürger-
standes. des ..kleinen Mannes" hätten.
Die Bestrebungen der Vereine. Möbel für solche Wohnungen zu schaffen,
und die Konkurrenzen dafür in Wien, Altona, Leipzig, Halle und besonders
in Berlin (t88H) trafen nicht das Richtige; die für diese Konkurrenzen aus-
gestellten Wohnungs-Einrichtungen waren geeignet „für pensionirte Geheim-
räthe, nicht für Handwerker", denn der kleine Mann will kein unterscheidendes
Mobiliar, das ihn als solchen kennzeichnet, sondern lieber eine schlechte und
billige Kopie dessen, womit der Reiche sein Zimmer ausstattet. In dieser
beklagenswertsten, aber nicht zu ändernden Erscheinung liegt der Grund des
rapiden Stilwechsels unserer Zeit, daß wir keinen Stil, sondern nur noch
eine Mode haben. — Ein merkwürdiges Beispiel, wie auch gesunde Keime,
wenn sie nicht auf wirksames Bedürfniß treffen, ohne Frucht bleiben und
verkümmern, hat besonders die Halle'sche Konkurrenz um einfache Möbel,
um Bauernmöbel, gegeben. Hier traten schon vielfach Motive von Banern-
mobiliar zu Tage, die damals unbeachtet blieben, heute aber die neueste
Richtung in England bezeichnen.
Ich glaube also bewiesen zu haben, daß wir nicht umhin können, wenn
wir uns über moderne Möbelindustrie unter-
richten wollen, bei den Begüterten anzufragen,
wieviel sie für den Salon und das Speise-
zimmer anlegen dürfen, und daß diese Leute
bei uns vertreten sind, das beweisen eben jene
großen Magazine mit stilgerechten Einrich-
tungen. durch welche jene Begüterten versorgt
werden. Wenn wir diese Magazine betrachten,
so sehen wir wenig Import, denn die Kon-
sumenten verlangen von denselben, daß sie sich
auf der Höhe der ausländischen Geschäfte
halten, und darin liegt der Grund zu der
erfreulichen Thatsache. daß die Werkstätten
jener großen Magazine eben so gut arbeiten,
wie die besten französischen oder englischen
Werkstätten. Was etwa an fremden Erzeug-
nissen zu sehen ist. sind höchstens solche Stücke,
die vom Auslande her wesentlich billiger zu
beziehen sind, oder Spezialitäten, wie Lyoner
Dekorationsstoffe. Gallä'sche Gläser u. dergl.
Und doch ist das, was von heimischen Fabri-
kanten in unseren Magazinen vorhanden ist,
nicht heimisch in der Form, denn abgesehen
von gelegentlichen Stücken in der Art der
Tiroler Bauerngothik oder deutscher Renais-
sance bewegt sich die große Menge im Stil der
späteren französischen Kunstperioden. Rägence
Louis XV.. Louis XVI. und Empire. Neben
diesen französischen Stilperioden begegnen wir
noch den geradlinigen englischen Möbeln nach
Lhippendale, Sheraton, Adams u. a.. welche
oft mit großer Kunst gearbeitet sind.
Aber wo bleibt denn die eigentliche
deutsche Richtung? Sie scheint völlig ver-
loren zu sein. Diese Thatsache ist nicht zu
leugnen, sodaß die patriotische Klage vieler,
und nicht der Schlechtesten, darüber, daß es
uns nicht gelingen wolle, einen national-
deutschen Stil zu schaffen, wohl berechtigt ist,
zumal wir in den siebziger Jahren als Ausdruck unserer patriotischen Gesin-
nung mit der deutschen Renaissance einen so schönen Anfang gemacht hätten.
Aber diese patriotischen Klagen hielten vor der Thatsache nicht Stand. daß
die Stil- und Kunstformen keine politischen Grenzen kennen: die Kunst ist
und bleibt international. Und was den so gerühmten Stil der deutschen
Renaissance anbelangt, so gibt sein erstes Auftreten in Deutschland den
schlagendsten Beweis für diese Behauptung. Gppler in Hannover, einer der
Begründer dieser Richtung damals, fußte bei seinen Schöpfungen mit Vorliebe
auf den Motiven der vlämischen Renaissance, die ihm in vieler Beziehung
vorbildlicher als die deutsche schien. Die gleiche Lehre von der Inter-
nationalität der Kunstformen gibt uns übrigens die Kunstgeschichte. Die
Gothik fand in Frankreich ihre Entstehung und wurde sehr bald von den
Deutschen ausgenommen; aus der oberitalienischen Renaissance entnahmen die
deutschen Künstler ihre Anregung zu den Schöpfungen, die wir als deutsche
Renaissance bewundern. Die Schnelligkeit, mit der sich das Neue sogleich
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Seite 6f.
mitlmgkn in der Wililkil-^dtkorlltilttl.
^ch bitte Sie. sich zunächst mit mir einen Moment nach Paris zu
versetzen. Nehmen wir an. aus der Provinz, aus Brleans oder
Amiens, sei ein Mann in die Metropole gekommen, um vor
einem fachmännisch gebildeten Publikum einen Vortrag über die
neuesten Wendungen des Geschmacks zu halten; dort würde dieser Mann
nur mit einem Achselzucken begrüßt werden.
Daß Sie mich aus einer Provinzialstadt ein-
geladen haben, um vor Ihnen über dies
Thema zu sprechen, und in so großer Zahl
erschienen sind, dafür bin ich Ihnen herzlich
dankbar; das beweist aber auch, dgß die ver-
hältnisse bei uns anders liegen als in Frankreich.
Auch Berlin ist ein bestimmender, ton-
angebender Vrt für das. was wir für schön
halten. Aber wir leben doch insofern in
anderen Verhältnissen als die Franzosen, als
wir außer der Hauptsonne Berlin noch kleine
Nebensonnen haben. Speziell die westliche
Ecke unseres Vaterlandes. Frankfurt a. M. und
seine Umgebung, ist in dieser Beziehung be-
sonders hervorznheben. Denn gerade Frankfurt
erfreut sich eines großen Prozentsatzes ziemlich
wohlhabender Leute, die sich in ihrer Häus-
lichkeit einen gewissen Luxus gestatten können,
und die viel reisen. Am liebsten gehen sie
ins Ausland, und ein Aufenthalt in Paris
und London, wohin sie auch verwandtschaftliche
Verhältnisse ziehen, ist bei ihnen zur Regel
geworden. Daß sie dabei doch gute Deutsche
bleiben, beweisen sie schon in der echt deutschen
Bewunderung des Fremden, welches sie da
kennen lernen. Denn diese Bewunderung geht
nicht so weit, daß sie etwa die schönen Dinge,
die ihnen in den fremden Möbelmagazinen
begegnen, kaufen, um sie nach Deutschland zu
importiren, vielmehr benutzen sie die dort
gesammelte Kenntniß von dem. was das Aus-
land zu liefern vermag, um die einheimischen
Geschäfte zur Aufmerksamkeit auf das Ausland
zu veranlassen, sodaß die großen Magazine
und Werkstätten in Frankfurt a. M.. Mainz,
Mannheim. Stuttgart und Karlsruhe ein ziem-
lich vollständiges Bild des herrschenden, inter-
nationalen Geschmackes geben können. Da-
gegen könnte mir der Vorwurf gemacht werden, daß ich nur von der besitzenden
Masse spreche, da doch auf eine Person, der die Nittel zur Verfügung ständen,
sich das Heim nach gewissen Stilrichtungen einzurichten, 999 kämen, die in
den Magazinen gewöhnlichen Genres kaufen müßten, daß jene Magazine
immer nur die Lieferanten der reichen Leute seien; wichtiger sei es. darauf
zu sehen, was die große Durchschnittsmasse und der Arbeiter kaufe. Doch
ich bin nicht ganz dieser Ansicht; dieser Linwand würde zutreffend sein, wenn
wir einen karakterislischen Typus für die Wohnungen des mittleren Bürger-
standes. des ..kleinen Mannes" hätten.
Die Bestrebungen der Vereine. Möbel für solche Wohnungen zu schaffen,
und die Konkurrenzen dafür in Wien, Altona, Leipzig, Halle und besonders
in Berlin (t88H) trafen nicht das Richtige; die für diese Konkurrenzen aus-
gestellten Wohnungs-Einrichtungen waren geeignet „für pensionirte Geheim-
räthe, nicht für Handwerker", denn der kleine Mann will kein unterscheidendes
Mobiliar, das ihn als solchen kennzeichnet, sondern lieber eine schlechte und
billige Kopie dessen, womit der Reiche sein Zimmer ausstattet. In dieser
beklagenswertsten, aber nicht zu ändernden Erscheinung liegt der Grund des
rapiden Stilwechsels unserer Zeit, daß wir keinen Stil, sondern nur noch
eine Mode haben. — Ein merkwürdiges Beispiel, wie auch gesunde Keime,
wenn sie nicht auf wirksames Bedürfniß treffen, ohne Frucht bleiben und
verkümmern, hat besonders die Halle'sche Konkurrenz um einfache Möbel,
um Bauernmöbel, gegeben. Hier traten schon vielfach Motive von Banern-
mobiliar zu Tage, die damals unbeachtet blieben, heute aber die neueste
Richtung in England bezeichnen.
Ich glaube also bewiesen zu haben, daß wir nicht umhin können, wenn
wir uns über moderne Möbelindustrie unter-
richten wollen, bei den Begüterten anzufragen,
wieviel sie für den Salon und das Speise-
zimmer anlegen dürfen, und daß diese Leute
bei uns vertreten sind, das beweisen eben jene
großen Magazine mit stilgerechten Einrich-
tungen. durch welche jene Begüterten versorgt
werden. Wenn wir diese Magazine betrachten,
so sehen wir wenig Import, denn die Kon-
sumenten verlangen von denselben, daß sie sich
auf der Höhe der ausländischen Geschäfte
halten, und darin liegt der Grund zu der
erfreulichen Thatsache. daß die Werkstätten
jener großen Magazine eben so gut arbeiten,
wie die besten französischen oder englischen
Werkstätten. Was etwa an fremden Erzeug-
nissen zu sehen ist. sind höchstens solche Stücke,
die vom Auslande her wesentlich billiger zu
beziehen sind, oder Spezialitäten, wie Lyoner
Dekorationsstoffe. Gallä'sche Gläser u. dergl.
Und doch ist das, was von heimischen Fabri-
kanten in unseren Magazinen vorhanden ist,
nicht heimisch in der Form, denn abgesehen
von gelegentlichen Stücken in der Art der
Tiroler Bauerngothik oder deutscher Renais-
sance bewegt sich die große Menge im Stil der
späteren französischen Kunstperioden. Rägence
Louis XV.. Louis XVI. und Empire. Neben
diesen französischen Stilperioden begegnen wir
noch den geradlinigen englischen Möbeln nach
Lhippendale, Sheraton, Adams u. a.. welche
oft mit großer Kunst gearbeitet sind.
Aber wo bleibt denn die eigentliche
deutsche Richtung? Sie scheint völlig ver-
loren zu sein. Diese Thatsache ist nicht zu
leugnen, sodaß die patriotische Klage vieler,
und nicht der Schlechtesten, darüber, daß es
uns nicht gelingen wolle, einen national-
deutschen Stil zu schaffen, wohl berechtigt ist,
zumal wir in den siebziger Jahren als Ausdruck unserer patriotischen Gesin-
nung mit der deutschen Renaissance einen so schönen Anfang gemacht hätten.
Aber diese patriotischen Klagen hielten vor der Thatsache nicht Stand. daß
die Stil- und Kunstformen keine politischen Grenzen kennen: die Kunst ist
und bleibt international. Und was den so gerühmten Stil der deutschen
Renaissance anbelangt, so gibt sein erstes Auftreten in Deutschland den
schlagendsten Beweis für diese Behauptung. Gppler in Hannover, einer der
Begründer dieser Richtung damals, fußte bei seinen Schöpfungen mit Vorliebe
auf den Motiven der vlämischen Renaissance, die ihm in vieler Beziehung
vorbildlicher als die deutsche schien. Die gleiche Lehre von der Inter-
nationalität der Kunstformen gibt uns übrigens die Kunstgeschichte. Die
Gothik fand in Frankreich ihre Entstehung und wurde sehr bald von den
Deutschen ausgenommen; aus der oberitalienischen Renaissance entnahmen die
deutschen Künstler ihre Anregung zu den Schöpfungen, die wir als deutsche
Renaissance bewundern. Die Schnelligkeit, mit der sich das Neue sogleich