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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Ueber Gobelins: Nach einem Vortrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0207

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Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

öeptember-^eft.

dubelins-

Nach einem Vortrag.

°°n der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts waren unter dem Druck
des klassizistisch-nüchternen Geschmacks die alten gewirkten wand-
^ teppiche, die wir in Ermangelung eines deutschen Namens
insgesammt als Gobelins bezeichnen, völlig in Mißachtung
gerathen. Manches kostbare Stück ist erst in dieser Zeit zu Grunde gegangen,
das vorher Jahrhunderte überdauert hatte. Die archäologisireude Richtung
unserer Tage hat das wieder gründlich geändert. Man ist zu der alten
Anschauung zurückgekehrt, daß die Gobelins die edelste und prächtigste, aller-
dings auch die kostspieligste Wandbekleidung des vornehmen Innenraumes
bilden. Mas an alten Resten den Motten, Staub und Moder entgangen
war, hat man wieder ans Licht gezogen, mit vieler Kunst und großem Auf-
wand sachgemäß ergänzt, aufge-
frischt und neuerdings verwendet.

Die gesteigerte Werthschätzung hat,
da alte wie moderne echte Gobelins
für den allgemeinen Gebrauch immer
zu theuer bleibe» werden, eine leb-
hafte Imitationsindnstrie hervor-
gerufen, die seit mehreren Jahren
bereits in die Dilettantenkunst ein-
gedrungen ist. Diese modernen,
gemalten, gewebten oder gestickten
Nachahmungen haben mit den echten
Wirkteppichen — abgesehen von der
rein äußerlichen Aehnlichkeit —
nichts gemein. Denn sie benützen
einen maschinell, auf dem Mebstuhl
hergestellten Stofs als Grund für
die Malerei oder Stickerei. Das
eigentliche Kennzeichen und das
wesentliche am echten Gobelin aber
ist, daß er ganz und gar, von An-
fang bis zu Ende durch freie
Handarbeit hergestellt ist.

«Obwohl die Gobelinwirkerei
es vermag — wie es auch im
vorigen und in unserem Jahrhundert
in der Pariser Manufaktur geschehen
ist — die feinsten wie die umfang-
reichsten Werke der Malerei bis zu
täuschender Aehnlichkeit zu wieder-
holen, ist sie doch vom frühesten
Alterthum bis zur Gegenwart bei
einer im Prinzip völlig primitiven
Technik stehen geblieben.

Man kann diese Wirktechnik
als eine verfeinerte Flechtarbeit in
wolle, Seide und Metallfaden be-
zeichnen. Das Gerüst, den Kern
des Teppichs, bilden die Kettfäden.

Sie werden im Hautelisse-Metier
senkrecht zwischen zwei horizontalen
Walzen ausgesxannt. Der Künstler
steht hinter dieser senkrechten
Kettenwand und arbeitet in der
weise, daß er mit der linken Hand

und mit Hülse von Litzenzügen eine Anzahl von Fäden in eine vordere und
Hintere Lage theilt, während seine Rechte einen farbigen Faden zwischen
diesen Kettfäden hin und her sticht, bis eine bestimmte Fläche, der Vorlage
gemäß, ganz mit dieser Farbe gedeckt ist. Dann entnimmt er der gemalten
Vorlage, welche weitere Farbe sich anschließt, läßt das bisherige, an die
Nadel geklemmte Fadeubündel auf der Rückseite hängen und beginnt das
wirken und Flechten mit dem neuen Faden, von unten nach oben fort-
arbeitend, von Neuem. Die allmählichen Uebergänge von Licht und Schatten,
von einer Farbe in die andere werden dadurch erzielt, daß der Wirker die
verschiedenen Farbstächen durch mehr oder minder lange und feine Spitzen
und Zacken in einander greifen läßt. Die Kartons der alten Zeit enthielten
dafür keine in Stichen abzählbaren Angaben, sondern überließen die
schwierige Uebertragung der Malerei irr die textile Technik der speziellen
Schulung des Arbeiters.

Der ganze Teppich setzt sich so aus aneinander grenzenden oder in-
einander übergehenden Farbstächen zusammen. «Ouer durchlaufende Schuß-
fäden, wie sie die Weberei und die Teppichknüpferei zum Binden ihres
Erzeugnisses bedarf, können im Gobelin nicht eingelegt werden; der

Abbildung Nr. H2Z. Stuckwandtheil a. d. mittleren Livilsenats-Sitzungssaal

Arbeiter schafft also mit dem Bilde, das er wirkt, zugleich das Gewebe selbst.
Ls ergibt sich daraus die Nothwendigkeit, senkrechte längere Linien der
Vorlage zu vermeiden oder zu verändern, da an solchen die Kettfäden und
damit das ganze Gewebe auseinander klaffen.

Die gemalte Vorlage, der Karton, den der Wirker nachbildet, ist bei
der Hautelissewirkerei hinter seinem Rücken aufgestellt. Er muß also jedesmal
sich umwcnden, um zu sehen, welche Farbe er braucht und eine wie große
oder kleine Zahl von Kettfäden er damit zu umspinnen hat. Um das
jeweilige Resultat seiner Thätigkeit zu übersehen, muß er seinen Platz ver-
lassen und vor die Kette treten. Die Arbeit ist daher eine überaus langsame
und demgemäß kostspielig. In der pariser Gobelin-Manufaktur, die zweifellos
die geübtesten Künstler besitzt, kann ein Arbeiter im Tag durchschnittlich
28 «Ouadratcentimeter, im Jahr also nicht ganz einen (Quadratmeter vollenden.
Dabei hat die Manufaktur selbst allein an Arbeitslohn für den «Puadrat-
Nieter, ohne Kosten für Material, Betrieb und Vorlagen, über 2000 Franks

zu zahlen. Man kann daraus ent-
nehmen, welche Preise im verkauf für
echte Gobelins sich ergeben müssen.

Neben dieser Technik am
Hautelissestuhl ist in früheren Zeiten,
namentlich in den französischen Werk-
stätten des vorigen Jahrhunderts,
für gröbere Erzeugnisse vielfach die
Basselissewirkerei angewendet wor-
den. Hier ist die Kette wagrecht
gespannt, der Karton liegt unter
ihr, so daß ihn der Wirker durch
die Kette hindurch direkt vor sich
sieht. Außerdem kann er zugleich
mit beide«! Häuden arbeiten, ohne
aber sein Merk vor der Vollendung
übersehen zu können. Die Basselisse-
technik arbeitet rauher, billiger, aber
weniger genau und ist gegenwärtig
außer Gebrauch.

Aus der freihändigen Wirk-
technik ist ersichtlich, daß der Gobelin
nicht auf regelmäßige Wiederholung
eines Musters wie die Weberei an-
gewiesen ist, sondern daß sie freie
Kompositionen figürlicher oder orna-
mentaler Art Herstellen kann. Die
Gobelins stehen daher künstlerisch
in engster Beziehung zur Malerei.
Für die Herstellung der Kartons
bedurfte die Wirkerei der Mitarbeit
des Malers und bei dein hohen
Ansehen der Industrie hat es ihr
daran auch niemals gefehlt, zählt
sie doch die ersten Meister aller
Zeiten, wie Rafael und Rubens zu
ihren Mitarbeitern. Diese enge
Verbindung mit der Malerei hatte
zur Folge, daß der Gobelinwirkerei
kein Gebiet malerischer Darstellung
freind geblieben ist.

wir finden im Laufe ihrer
Jahrhunderte langen Entwickelung
auf den Teppichen figürliche Dar-
stellungen religiösen und geschicht-
lichen Inhalts, genrehafte Szenen aus dein alltäglichen und dem festlichen
Leben, mythologische und allegorische Motive. Dazu kommen Landschaften
und Architekturen, blumige wiesen und das unerschöpfliche Gebiet ornamentaler
Kompositionen. Ls ist eben Alles, was die europäische Malerei seit dem
frühen Mittelalter darstellen konnte, auch in den zeitgenössischen Gobelins
zuin Ausdruck gekommen.

Trotzdem wäre es unrichtig, die Teppichwirkerei als ein bloßes Kopiren,
als eine Malerei in wolle und Seide zu betrachten. Der Gobelin ist nicht
um seiner selbst willen da, sondern er hat zu allen Zeiten als Dekoration
gedient. Man brauchte ihn ebenso uin Innenräume in der Burg, der Kirche
und iin Palast zu schmücken, ihnen bunten Reiz und Wärme zu verleihen,
wie auch als Umrahmung und Hintergrund für allerlei Feste im Freien.
Man spannte die Teppiche aus, um Straßen zu bilden und die Häuser zu
bedecken bei Prozessionen, Triumphzügen und Turnieren; ferner uin pracht-
volle Zelte zu errichten für die Fürsten auf Jagden und Feldzügen, oder um
ein dürftiges Duartier rasch in einen fürstlichen Raum umzugestalten.

Diese Bestimmung, als eine Dekoration zu dienen, die gelegentlich schnell
ihren Platz wechseln muß, die gefaltet und gerafft werden kann, diese Bestim-
 
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