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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Schliepmann, Hans: Das Reichsgerichts-Gebäude in Leipzig und seine Innen-Dekoration, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0186

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Seite i53.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

September-Heft.

eichsgerrchts--Mebäud^ in Merpzig und sein^ DDnnen-^Wekoration.

vo,l Hans Schliepmanii.

^fünfundzwanzig Zahre nach
der Gründung des Deutschen
Reiches haben wir in der Kunst
noch nicht viele Zeugen von dieses
neuen Reiches Herrlichkeit. Unter
den Denkmälern kann eigentlich nur
das aus dem Kyffhäuser als ein
echter, rechter und vollwichtiger
Ausdruck modernen Volksempfin-
dens gelten; das (Loblenzer und
das Denkmal an der j)ortaWest-
phalica werden ihm am nächsten
stehen. Zn der Reichshauptstadt aber
kann allein Wallots Reichs-
tags-Gebäude als wirklicher
Markstein in der ganzen modernen
Kunst-Entwickelung gelten, als ein
Monumentalwerk ersten Ranges der
deutschen Baukunst von heute, das
trotz mancher Hehler das wieder-
gewonnene höchste Gut, deutsche
Einheit, deutsche Größe doch am
machtvollsten zur Erscheinung
bringt. Zwei andere Bauten noch
geben diesen idealen Errungen
schäften lebendigen Ausdruck
Hermann Eggerts Kaiser
palast in Straßburg und Ludwig
Hoffmanns Reichsgerichts-
Gebäude in Leipzig. Jenes
steht in der Schätzung der Gegen-
wart längst fest; das erst unlängst
fertig gewordene Reichsgerichts-
gebäude aber beginnt erst jetzt all-
mählich Macht über die Gemüther
zu gewinnen. Während seiner etwa
zehnjährigen Bauzeit waren nur
wenig Nachrichten über diesen um-
fangreichen Bau in die Meffentlichkeit gedrungen; als aber Ludwig
Hoffmann mit seinem treuen Mitarbeiter Dybwad in dein s88H
ausgeschriebenen und am s s.März s885 entschiedenen Wettbewerb
um den Bauplan den Sieg errungen, begegneten die bis dahin
nur innerhalb der Fachkreise bekannt gewordenen jungen Architekten
fast überall nur geringer Anerkennung; man erklärte ihren Erfolg
in der Fachpresse ziemlich allgemein als einen Sieg des praktischen
Verstandes, nicht des baukünstlerischen Genius, und bedauerte wohl
gar, daß der Reichsgerichtsbau, das äußere Zeichen der in diesen
Tagen zur Wahrheit gewordenen deutschen Rechtseinheit, eher ein
Haus preußischer Geschäftsnüchternheit als monumentaler Bedeu-
tung werden würde.

Der Erfolg hat bewiesen, daß Ludwig Hoffmann sich an
seinem Werke zu einem großen Künstler ausgewachsen hat, daß
dieses Werk zu denen gehört, die nicht durchaus noch heut in
aller Eile besprochen werden müssen, weil ihre Zeit morgen
bereits vorbei ist, sondern die noch nach Jahrzehnten, Jahrhun-
derten vielleicht beachtet und studirt werden werden, weil sie in
weitem Umfange das Können einer ganzen Epoche verkörpern.

Die „Zeitschrift für Znnen-Dekoration" kommt daher auch
nicht zu spät, wenn sie erst jetzt durch einen reichen, der Liebens-
würdigkeit und der nimmer rastenden Umsicht des Erbauers zu
verdankenden Schatz von Abbildungen unterstützt, eine Würdigung

Abbildg. H05. „Die Wahrheit."

Modell

der krönenden Figur auf der Ruppel.
(Bildhauer Otto Lessing.)

dieses Monumentalbaues versucht. Zst er doch wie kaum ein
zweiter geeignet, des ernstesten Studiums werthe Vorbilder in
Fülle zu geben. Denn das ist das Ueberraschendste an diesem
Werke eines verhältnißmäßig jungen Künstlers (Hoffmann ist am
Zs. Juli s852 in Darmstadt geboren): die absolute Reife, Ab-
gerundetheit und Gleichwerthigkeit der künstlerischen Arbeit.

Das sind Eigenschaften, die auch einem großen Künstler
nicht in den Schooß fallen. Sie sind das Ergebniß unverrückbaren
Zielbewußtseins, klarster Selbstkritik und eisernen Fleißes. Und
in der That, diese Eigenschaften besitzt Hoffmann in ganz einzig-
artiger Fülle. Das Wort „Genie ist Fleiß" darf vielleicht nur
noch auf Adolf Menzel in gleichem Umfange wie auf ihn ange-
wendet werden.

Hoffmann ist eminent Willens persönlichkeit. Seinem Wollen,
seinem Ringen verdankt er seine Erfolge, nicht so dem über-
sprudelnden, schier unbewußten Drängen künstlerischer Fantasie.
Wohl besitzt auch er künstlerisches Empfinden, spezifisch architek-
tonische Gestaltungskraft, ohne welche auch der Willensgewaltigste
nicht Baukünstler werden könnte; aber er ist doch mehr ein Künstler
wie Lessing ein Dichter war — und in meinen Augen bleibt
Lessing ein großer Dichter! — nicht wie Michel Angelo, der
aus überströmender Zdeenfülle, wie von einem Dämon geleitet,
schuf, schaffen mußte.

Und auch die Klarheit hat Hoffmann mit Lessing gemein,
das durch keine Selbstzufriedenheit, durch keine Ermüdung und
keine äußeren Modeströmungen beeinflußbare künstlerische Urtheil.
Er weiß nicht nur, was er will, sondern auch stets, was er
wollen darf. Dieser umsichtigen Klugheit ist nicht nur die
künstlerische Reife seines Werkes zu danken, sondern auch dessen
Reicht hum. Denn wäre Hoffmann nicht auch der umsichtigste
Bauleitende, der sorgfältigste Finanzmann gewesen, so hätte der
Bau bei den verhältnißmäßig geringen Mitteln — er kostet noch
nicht den vierten Theil der Bausumme des nicht allzu umfang-
reicheren Reichstagsgebäudes — entfernt nicht die jetzt zu Tage
tretende Monumentalität erhalten können.

Der Vergleich mit dem Reichstagsbau, den ich soeben berührt,
wird sich auch für den Aesthetiker bei der monumentalen Bedeut-
samkeit beider Bauwerke immer wieder ganz von selbst aufdrängen.
Man kann vielleicht auch die Schöpfung Hoffmanns nicht besser
als durch solchen Vergleich karakterisiren, nur muß man dabei
auch den äußeren Umständen gerecht werden.

Zch möchte daher diesen Vergleich schon an dieser Stelle zu
ziehen versuchen, noch ehe ich den Bau im Einzelnen besprochen,
um dem Leser von vornherein den Standpunkt zu geben, aus
welchem — nach meiner allerdings nur rein persönlichen und für
Andere unverbindlichen Meinung — das Reichsgerichtsgebäude
beurtheilt werden müßte.

Von vornherein muß Wallots Aufgabe als die schwierigere
bezeichnet werden. Zu den Mißlichkeiten des Bauplatzes kamen
die größeren des beständigen Einspruches höherer Gewalten. Das
bekannte trübselige Manöverspiel: „Rrinn in die Kartoffeln"
und „Rraus aus den Kartoffeln", das man mit Wallots Kuppel
gespielt hatte, ist Hoffmann erspart geblieben. Zn emsiger Stille,
nicht gestört durch häufige Anzapfungen einer von obenher un-
günstig beeinflußten öffentlichen Meinung, durfte er sein Werk
Schritt für Schritt fördern. Dafür freilich standen ihm, wie schon
angedeutet, auch nur erheblich geringere Mittel zur Verfügung.
Wallot aber empfand auch, daß er sozusagen den Monumentalbau
der Epoche zu erschaffen hatte, während erst die Kunstsinnigen
der Nation mit allem Druck der öffentlichen Meinung die Reichs-
regierung bewegen mußten, an Hoffmann den Auftrag zur Er-
 
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