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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Hövel, Christian: Der Tisch und seine Bauart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7394#0256

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Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

November-Heft.

Stücken. Ist das in der Ordnung? — Nein, die Renaissance,
die doch unser Vorbild ist und es ganz besonders sein sollte in
Bezug auf die Solidität der Arbeit, kannte dergleichen Scheinkram
nicht. Leider kann man hierfür nur den Grund anführen, daß
das Publikum nicht weiß, wie es sein müßte — oder ein tadel-
loses Möbel nicht seinem N)erthe nach bezahlt. Wer sich nicht
ein in jeder Beziehung tadelloses reiches Mobiliar anschaffen
kann, der begnüge sich doch mit einer einfachen tadellosen, im
Verhältniß viel werthvolleren Einrichtung. Mit der Einrichtung
der Wohnungen verhält es sich ganz genau so wie mit dem
Tragen von Schmuckgegenständen: statt sich mit einer Uhrkette usw.
von echtem Silber zu begnügen, muß eine Talmikette das echte
Gold vorlügen — beides traurige, aber treffende Illustrationen
für die leere Hohlheit unserer Zeit.

Unzertrennlich von diesen „Augeltischstollen" findet man die
Spitzquader auf den oberen kantig gebliebenen Flächen derselben,
ein Uebelstand, der dem unversehens damit in Berührung Ram-
menden den Gedanken eingibt, er sei ein Tölpel, oder statt der
spitzen, scharfkantigen Dinger könnte auch etwas Anderes da sein,
was bei einer zufälligen Berührung keinen Schmerz verursachte.
Letzterem muß man ganz und gar beipflichten, denn schön sind
die Spitzquader in dieser Verwendung nicht und praktisch erst
recht nicht. Unsere Möbel-Industrie unterschätzt in der massen-
haften Anbringung der Quader — wie auch, nebenher gesagt,
so mancher anderer kleiner Verzierungen, als runde Anöpfchen,
Rosetten, Schnecken u. s. f. — eines ihrer, richtig und mit Ver-
ständniß angebracht, besten und sehr hübsch wirkenden Verzierungs-
motive. Die Verwendung der Spitzquader, wie auch der kleinen
gedrechselten Anöpfchen, die ja ureigentlich der Architektur und
Metalltechnik angehörten und von dieser auf die Möbel übertragen
wurden und in Hinsicht auf ihre Herkunft auch nur an hervor-
ragenden Stellen verwandt werden sollten, ist eine so allgemeine
geworden, daß man dieselben an allen nur erdenklichen Möbeln
und Gegenständen, auch von anderen Stoffen als Holz, herum-
kraxeln sieht und der schablonenhaft und ohne eigene Gedanken
arbeitende Handwerker sucht stets sein Heil und die Verschönerung
eines Möbels in der nichts weniger als sparsamen und geschmack-
vollen Anbringung derselben an allen nur möglichen und unmög-
lichen Plätzchen. Den Rosetten und Anöpfchen geht es nicht
besser. In einer meiner früheren Stellungen — man gestatte die
Abweichung — machte ich meinen Prinzipal darauf aufmerksam,
daß es nicht gut aussähe, daß auf der sonst ganz hübsch grund-
geschnitzten Füllung eines Bettaufsatzes sich vier kleine Anöpfchen
auf einer Fläche von s5 om Breite senkrecht übereinander
befänden — (dazwischen behauptete auch noch ein Spitzquader
sein Recht!?) — und meinte, man solle die beiden mittleren
Anöpfchen weglassen. „Nur ja nicht!" — die „reiche" Wirkung
der Füllung ginge dadurch ja ganz verloren" — sprach er und
achtete von der Zeit an peinlich darauf, daß ich niemals ein
Anöpfchen „vergaß", was ich übrigens gern that und wo es nur
möglich war. Ein anderes Mal wurde ich beauftragt, ein ein-
faches Möbel reicher zu gestalten und bekam auf die Frage, mit
welchen Mitteln das geschehen solle, die Antwort, „das machen
wir mit Anöpfchen". In dem betreffenden Geschäfte hatten wir
ganze Aisten voll von solchen Anöpfchen und Rosetten in ver-
schiedenen Größen vorräthig; auf sO mehr kam es nicht an, aber
2 weniger war nicht denkbar, und dabei prangte auf dem Firmen-
schild des Geschäftes das bedeutungsvolle Wort „Aunstschreinerei",
was in Anbetracht solcher Aunsterzeugnisse zutreffender „Aunst-
scheinerei" oder „Anopfschreinerei" geheißen hätte. Da verstanden
die Schreiner der Renaissance ihr Geschäft doch besser. Sie
erkannten die schöne Wirkung eines am rechten Platze sitzenden
Spitzquaders und Rosettchens und machten dieselben vielfach, und
ganz richtig so, aus kostbarerem, andersfarbigem Holz, was wieder
bedeutend zu einer schöneren Wirkung beitrug. Der Grund für

diese und ähnliche Erscheinungen liegt aber nicht nur und immer
in der Unwissenheit der Handwerker, auch das Publikum trägt
mit Schuld daran. In vielen Fällen will das Publikum nicht
soviel zahlen um eine geschmackvolle Arbeit Herstellen zu können,
trotzdem aber muß das Möbel reich sein. Da bleibt dem Hand-
werker nichts Anderes übrig, als zu solchen Mitteln, die ihn
nicht viel kosten, aber doch „in die Augen fallen", seine Zuflucht
zu nehmen. Andernfalls sollte das verständige Publikum sich
gegen solche knopfreiche und ähnliche Möbel energisch verwahren.
— Doch nach dieser Abschweifung wieder zu unserem Tisch. —
Warum macht man nicht statt der Spitzquader eine andere
Verzierung hin, vielleicht einige Hohlkehlen mit Spitze dazwischen
oder Aonsolen. Außer einer passenden Flächenverzierung dürfte
in ästhetischer wie praktischer Beziehung nichts so gut angebracht
sein, wie Aonsolen. Dieselben hindern durchaus nicht, wie Mancher
denkt, weil dieselben ja naturgemäß zurückgehen von der Blatt-
kante, während die schauderhaften Spitzquader oft ebensoweit
vorspringen wie das Tischblatt selbst. Eine einfach nur aus-
gesägte Aonsole ohne irgend eine Verzierung ist, künstlerisch
betrachtet, zehnmal mehr werth, wie der mit vielen Aäntchen
hergestellte Spitzquader, dabei wird eine solche Aonsole an Arbeits-
unkosten kaum so theuer wie ein Spitzquader. Ueber die Zarge
resp. Traverse, die obere Verbindung zwischen den Stollen, ist
eigentlich nichts Besonderes zu sagen. Bei etwas verzierten Stollen
kann die Zarge ganz glatt bleiben, ohne der guten Wirkung zu
schaden. Soll die Zarge aber reicher gestaltet sein, so stehen eine
ganze Menge Verzierungsarten zur Verfügung, und ich habe
hierin nur wenig Überschreitungen des Schönen wahrgenommen.
Mit besonderer Vorliebe wird die sogenannte Wulstenzarge an-
gewandt, die entweder rundum fortlaufen oder über den Stollen
durch Aonsolen unterbrochen werden kann, wobei sich die zwischen
zwei Eckkonsolen entstehenden Ecken sehr hübsch durch ein dem
Wulst aufliegendes Blatt ausfüllen lassen. Eine sonst ganz glatte
Zarge kann durch einfache Schweifung der Zargenstücke, durch
Anbringung von kleinen Aonsolen zwischen Stollen und Zarge
oder durch profilleisten recht hübsch belebt werden. Die untere
Verbindung zwischen den Stollen wird auf mancherlei Art her-
gestellt. Am beliebtesten sind die Verbindungen, die von jedem
Stollen aus nach der Mitte der Tischbreite gehen und sich hier
mit einander verbinden. So schön und praktisch

eine solche Verbindung ist, wird sie doch oft durch

auf die Verbindungspunkte aufgesetzte gedrechselte Anöpfe ver-
unstaltet, oft auch wird die Tischmitte noch durch solche Anöpfe
„ausgezeichnet". Die Anbringung der Anöpfe ist wieder mißver-
standen. Mir kommt dies ebenso vor, als wollte man eine
weibliche Ideal-Figur unter den Tisch postiren um die Tischplatte
zu tragen, — für unser ästhetisches Gefühl wäre das unerträglich,
während man einen Mohren dahin setzen könnte ohne Anstoß
daran zu nehmen. Ein Anopf soll in unserem Falle doch eine
Vase vorstellen, gehört daher nicht unter den Tisch; sollen die
Areuzungspunkte der Verbindungen gekennzeichnet werden, so
nehme man eine passend große Rosette zur Flächenbelebung, wo-
durch gleicherzeit eine größere Festigkeit, eine Art Nietverbindung
angedeutet wird. Die rechtwinkelige Verbindung zwischen allen
Tischstollen wird vielfach gemieden unter der Angabe, man hätte
an einem solchen Tisch nicht genügend Platz für die Füße; dem
ist leicht abgeholfen; wenn man auf den Tischstollen Aonsolen
anbringt, wodurch das eigentliche Tischgestell mehr zurücktreten
muß. Eine andere Verbindung gibt es noch, die eigentlich nur
eine einfachere Art der erstbeschriebenen ist, indem die Aopfstollen
mit einander verbunden und diese Verbindungen in der Mitte,
der Längenachse des Tisches nach, wieder mit einander verbunden
werden. Bei einer solchen Verbindung ist es gut, wenn das
Tischblatt an jedem Aopfende etwas mehr übersieht wie an den
Langseiten, damit man genügend Platz für die Füße habe. Aber
 
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