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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 7.1896

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Schliepmann, Hans: Das jetzige Ausstellungswesen und das Kunstgewerbe!
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Seite 2s^.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Dezenrber-Heft.

bezahlte „Mehrwerthe". Hier also wäre allerdings durch Arbeit,
durch geistige Waffen eine Eroberung des Weltmarktes möglich.
Dies ist aber — und damit komme ich zu dem zweiten wesent-
lichen Punkte — nur so möglich, daß die Intelligenz, der Geschmack
sich von dem Durchschnittsniveau loslösen, daß sie also hervor-
ragende Eigenart zeigen. Beim Künstler ist das Persönlichkeit,
bei den Erzeugnissen eines ganzen Volkes -—Nationalkarakter!
Wohl kann gelegentlich eine Mode über internationale Ver-
schwommenheit hinwegtäuschen; die zunehmende Versimpelung
und Entnervung unserer Geldkreise leistet diesem Blendwerk Vor-
schub. Auf die Dauer aber haben immer nur diejenigen Völker
einen Sieg des Geschmackes errungen, die fest in nationalen An-
schauungen wurzelten. Wie Italien im s6., Frankreich im
s8. Jahrhundert, wie Japan seit der Wiener Weltausstellung,
wie England seit Ehicago herrschten, so wird immer nur die
Nation dauernd Bewunderung und Absatz ihrer Erzeugnisse finden,
deren Selbständigkeit auf dem Gebiete des Geschmackes, vereint
mit ebenbürtiger Technik (was eigentlich Pleonasmus ist, denn
ohne vollendete Technik gibt es nur Similigeschmack) allen Nach-
fühlenden Bewunderung abzwingt.

Damit sind wir auf unserem Sondergebiete, dem Kunst-
gewerbe, angelangt. In krämerhafter Kurzsichtigkeit hat der
Deutsche sich zwar augenblicklich durch eine unfeine Schmieg-
samkeit den Weltmarkt erworben. Er schafft polternde Klaviere
für den dickohrigen Briten, schreiende Baumwollstoffe für die
Südseeinsulaner, er knixt und dienert vor jedem Geschmack und
macht's noch ein wenig billiger als alle übrigen Mitbewerber,
unbesorgt, ob die ihn deshalb verächtlich finden! Gbenein hat
schon der Abnehmer im Inland als guter deutscher Michel eine
prügelwerthe Ehrfurcht vor allem Fremden und gelangt deshalb
nie zu einem Herrenbewußtsein in Geschmackssachen. Die wirklich
guten Kunstgewerbsmeister wissen von dieser löschpapiernen Ge-
schmacksbildung zu singen! Sonst siehe auch das Tohuwabohu
der Stile in der Berliner Ausstellung. Diese Art, den Welt-
markt zu erobern, heißt vom Kapital zehren, denn sie muß auf
ein ganz klägliches Unterbieten hinauskommen, daneben zu einer
Verwaschenheit führen, daß kein Käufer mehr nach dem Erzeuger,
sondern nur noch nach dem Preise fragt, so daß die Kundschaft
jeden Augenblick in die Hände jedes den Arbeiter noch schlechter
entlohnenden Volkes gleiten kann.

Wir Deutschen haben also mehr als alle anderen Kultur-
völker — denn keines, leider Gottes, hat so wenig nationales
Selbstbewußtsein und Ehrgefühl! -—Veranlassung, unsere Eigenart
herauszuarbeiten, denn Karakter und Nationalität sind, wie wir
gesehen, sogar in Geld darstellbare Werthe.

Was also soll uns die Theilnahme an einer Weltaus-
stellung, vor Allem für das Kunstgewerbe? Eine Welt-
ausstellung, bei der bereits die platzzutheilung nahe am —
Bauernfang steht, die im Nebrigen alle weiter oben auseinander-
gesetzten Fehler in erhöhtem Maße zeigt?

Die Industrie ist in ihren besten Vertretern längst aus-
stellungsmüde; manche von diesen sind nicht einmal durch
reiche staatliche Entschädigungsanerbietungen zu bewegen gewesen,
in Ehicago auszustellen.

Offiziöse oder ununterrichtete Federn möchten jetzt zwar einen
geschäftlichen Erfolg für die deutsche Industrie von der Aus-
stellung in Ehicago ableiten. Unser Erfolg aber war ein ganz
und gar — platonischer, moralischer, sonst nichts! Amerika
hat von uns gelernt; unser Ansehen hat allerdings gewonnen;
die nationale Strömung im wirthschaftlichen Leben aber, die
immer mehr zur Herrschaft gelangt — siehe Mac Kinleys
Präsidentschafts-Kandidatur!—wird uns neue Absatzquellen nur
in einem Maße gewinnen lassen, das zu den aufgewandten Kosten
in gar keinem Verhältniß steht. Allerdings, diesen moralischen
Erfolg waren wir uns schuldig, nachdem die Beschickung der

„^Vorlck's kuir" einmal beschlossen war. Und dieser Erfolg kann
uns wenigstens zu einem helfen: zu stolzem Weiterstreben auf
nationaler Grundlage! — Aber mit diesem Erfolge hätte
sich das ganze deutsche Kunstgcwerbe vollständig begnügt. Man
frage nur die besten Meister! Die deutschen Staatslenker aber
glauben noch immer, wie die Fritz Kühncmann und Konsorten,
an die Kulturmission der abgeblühten Ausstellungsidce. Neben
all den kleinstaatlichen oder städtischen Ausstellungen, die uns
noch bis sßOO beglücken werden, muß die Industrie bereits wieder
ariden großen Rummel in Paris denken. Wir haben zugesagt,
darum werden wir auch beschicken müssen, freilich! Aber mit
welchen Empfindungen!

Diese Zusage, dieses Entgegenkommen und erfolglose Liebcs-
werben um eine mindestens unberechenbare, uns abgeneigte,
seit dem Zarenbesuch vollends aufgeblasene Nation mit einer
tollhäuslerischen Presse steht auf demselben Blatte wie die Er-
werbung von Helgoland auf Kosten von Sansibar! Es ist
nimmermehr ein Zeichen von geistiger Stärke, gesellschaftlichen
Bräuchen sich „schneidig" zu unterziehen, auch da, wo sie Miß-
bräuche geworden sind. Und zu solchem Mißbrauch sind die
internationalen Weltausstellungen herabgesunken. Und gerade im
internationalen Verkehr, wo Höflichkeit, Verwandtschaft, ja
Ehristenthum zu bloßen Phrasen gegen die nackten Macht- und
Vortheilsfragen herabsinken — siehe Türkei! — würde hier Ab-
lehnung nationales Selbstgefühl bedeutet haben. Aber — der
Fehler ist gemacht; es bleibt nichts Anderes übrig, als ihn zu
— bezahlen, indem wir eine allerglänzendste Mustersammlung
unserer Erzeugnisse nach Paris senden.

Wie aber mit den weiteren Ausstellungen? Trägt dieser
Baum gar keine Früchte mehr? — Trotz aller Reisenden und
Wanderlager, die zum Theil die Aufgabe der Ausstellungen
übernommen haben, kanneine vernünftige Veranstaltung doch
noch immer wieder von Nutzen sein. Die Forderungen aber, die
zu stellen sind, gehen aus dem Gesagten hervor:

Man gebe der Industrie vor Allem Zeit!

Alle zehn Jahre genügt eine Prüfung der^Kräfte;
die Zwischenplänkeleien lasse man in sich selbst vergehen,
indem alle leistungsfähigen Firmen unerbittlich fern bleiben.

Statt der internationalen Ausstellungen, bei denen Licht und
Luft von vornherein ungerecht vertheilt sind, zum Vortheil der
Veranstalter, schaffe man nationale Ausstellungen, damit wir
unsere eigene Stärke erkennen lernen.

Und damit wir sonst etwas lernen, schaffe man Fsch-
Ausstellungen, die übersehbar bleiben, nicht erdrücken,
nicht zerstreuen.

Der „Rummel rund herum" muß dann fallen. Damit
freilich auch die geschäftliche Ausbeutung der Idee.

Km solche Ausstellungen zu ermöglichen, wird also der
Staat in weitestem Maße helfen müssen.

Das Eintreten des Staates aber wird sofort weitere Gesun-
dungserscheinungen zur Folge haben, denn für eine industrielle
Ausschlachtung der Ausstellungsidee würde unser, Gottlob noch
unbestechliches Beamtenthum nicht mehr zu haben sein. Es
würde also nicht durch Hochtreiben der platzmiethen an bevor-
zugten Stellen usw. der Kn Übersichtlichkeit Vorschub geleistet
werden, indem reklamebedürftige Firmen aus ihren Gruppen
heraustreten und sich bald hier, bald dort für ihr fettes Geld
eindrängen. Vielmehr müßtet

die Kebersichtlichkeit und der Zusammenhang der Gruppen
in strengster Form gewahrt werden.

Km diese Kebersichtlichkeit weiter noch zu fördern, und damit
nicht unter den Massen minderwerthiger Erzeugnisse die guten
Waaren verschwinden, damit wir vor allen Dingen nicht die
Schande unserer Industrie auch noch öffentlich prostituiren, bedürfte
es einer sorgfältigen Vorprüfung durch Berufene, etwa durch
 
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