Teile 86.
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Zuni-Heft.
Line diese, der Andere jene Vorstellung von derselben hat, und
daß Viele sie nur bis zu einer gewissen Grenze gelten lassen
wollen. An der Hand des in diesem Hefte vorliegenden Zllustra-
tionsmaterials, das der allerjüngsten Zeit entstammt, will ich
versuchen, das herauszuheben, was mir für eine deutsche Kunst-
auffasfung karakteristisch zu sein scheint und sehen, wieweit sich dieses
mit dem vorwaltenden englischen Geschmack berührt. Ueber die
deutsche Kunstauffassung selbst kann ich mich am besten verständlich
machen, wenn ich zeige, wie diese im Schaffen einzelner Persön-
lichkeiten zum Ausdruck gekommen ist. Ich wähle drei, die
durch ihr Wirken den Lesern der „Zeitschrift für Znnen-Dekoration"
bekannt sind: Meister Götz in Karlsruhe, Wallot insofern, als
feine überlegene Persönlichkeit
auch in der Möbel-Zndustrie von
Einfluß wird — eine dankbare
Aufgabe würde es sein, dem
Wallotismus hier nachzugehen
—und der jugendliche Hermann
Werle, der durch die epoche-
machende Herausgabe seines
prächtigen Werkes „Das vor-
nehme deutsche Haus" (Vorwort
und Zllustr.-Text von Alexander
Koch) mit einem Schlage in den
Vordergrund gerückt ist als die
Persönlichkeit, die fremde Ein-
flüsse am unbefangensten ausge-
nommen und bis jetzt am natio-
nalsten hat ausreifen lassen.
Vergegenwärtigen wir uns
einmal das Wirken dieser drei
fest umrissenen Persönlichkeiten,
die jede in ihrer Weise bestimmte
karakteristische Tendenzen des
deutschen Hormgefühls vertreten,
so wird man das verstehen, was
ich deutsche Kunstauffassung
nannte: der formen- und erfin-
dungsreiche, sich in alle Einzel-
heiten liebevoll vertiefende, das
Anmuthige der deutschen Re-
naissance bevorzugende Her-
mann Götz als Repräsentant
üppigster Hormenfreude, der zu-
gleich am meisten das Historische
der heimischen Ueberlieserung
berücksichtigt. Dann der strengere,
wuchtigere, mit feinstem archi-
tektonischen Gefühl begabte
Wallot, dessen gemessene
Sprache konstruktiver Keberzeu-
gung sich so glücklich mit ornamentaler Denkungsweise paart, und
als Jüngster Hermann Werle, der aus der Gothik heraus
das Malerisch-Einsache entwickelt, das man uns in englischer
Ausgabe ausschwatzen wollte. Gb letzteres von dem Anglicismus
beeinflußt ist, kann hier unerörtert bleiben, da seiner Kunst der
Ueberschuß des Reinpersönlichen in keiner Weise abzusprechen ist.
Als der englische Geschmack zu uns herüberkam, rühmte
man vor Allem seine konstruktive Wahrheit, seine ornamentale
Bedürfnißlosigkeit und seine für den Möbelstil so geeignete Leich-
tigkeit, Vorzüge, die wir voll und ganz anerkennen dürfen. Zu
seiner Entwickelung trug aber etwas bei, was seine Hormengebung
wesentlich beeinflußte: das ist die Materialfrage. England erzeugt
keine Hölzer oder wenigstens so wenig, daß es für die Möbel-
produktion nicht in Betracht kommt. Es bezieht dank seiner
mehrhundertjährigen Handelsbestrebungen schon seit den Tagen
Tromwells fremde Holzarten, die bei einer satten, farbigen
Tönung, bei einer zum Theil schönen, hervortretenden Haserung,
doch wiederum Biegsamkeit und innere Hestigung genug besitzen,
um theils unter gewissem Druck, theils unter äußerer Bearbeitung
die einmal erhaltene Horm dauernd zu bewahren. Kommt hier
nun die kunstgeschichtliche Entwickelung hinzu, so erscheint der
„englische Geschmack" als das eigenste Produkt des Volkes und
seiner Geschichte. Hür Deutschland mit seiner Vorliebe für das
Hremde lag die Gefahr nahe, bei den Vorzügen des Anglikanismus
zugleich seine spezifisch „englische" Horm ungeprüft mit auszu-
nehmen und in der That konnten wir eine Zeit lang das Schlimmste
befürchten. Zum Glück aber
hatten wir bereits soviel traurige
Erfahrungen hinter uns, daß
diese blinde Schwärmerei bald
aufhörte oder wenigstens bald
aufzuhören beginnt.
Wollen wir nur exotische
Holzarten benutzen, dann könnten
wir stellenweise, d.h. da wo eine
gewisse ornamentale Prädispo-
sition vorliegt, in den Groß-
städten zumeist, vielleicht zu einer
ähnlichen Richtung ganz von
selbst kommen. Hürs Erste aber
sind unsere heimischen Hölzer
noch nicht ganz verdrängt und
an ihnen beginnen jetzt die alten
Techniken wieder aufzuleben, die
man in England nicht oder nur
vereinzelt findet: Kerbschnitt,
Bemalung, Verbindung mit Be-
schlägen und Bevorzugung einer
matten Hlächenbehandlung. Es
wäre also ein überflüssiges Be-
ginnen, diese zum Theil in der
Hauskunst groß gewordenen
Techniken mit ihrer eigenartigen
Hormbildung über Bord zu
werfen, um uns das Hremde,
mag es auch von einem stamm-
verwandten Volke kommen, auf-
zudringen.
Es ist das zum Glück aber
umsoweniger zu befürchten, als
sich in Deutschland eine reiche,
provinzielle Entwickelung des
Möbels herausgebildet hat, die
eng mit volksthümlichen An-
schauungen verknüpft ist: die
wuchtige, friesische Renaissance, die Kerbschnitz-Arbeiten Schleswig-
Holsteins, die Gothik Tirols, die etwas barocke Renaissance Süd-
deutschlands und die manchmal räthselhaften, vielfach aber
Romanismus verrathenden Bauernmöbel in verschiedenen Theilen
des Reiches. Sie alle, die sich nicht in ein Prokrustesbett der
historischen Stile zwängen lassen, streben neuerdings in der Kunst-
produktion mächtig empor. Sie sind aber in einer Weiterentwicke-
lung begriffen, die sich den englischen Stilbegriffen, nicht
dem englischen Kunstgeschmack nähern. Hier können wir uns
die Einwirkung des letzteren nicht nur gefallen lassen, sondern
warm begrüßen. Zn den Abbildungen des vorliegenden Heftes
finden wir eine Reihe von Bearbeitungs-Techniken dargestellt,
denen das Bestreben deutlich anzusehen ist, das Einfache und
Bewegliche des Möbelstiles, wie es dem Anglicismus eigen ist,
Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.
Zuni-Heft.
Line diese, der Andere jene Vorstellung von derselben hat, und
daß Viele sie nur bis zu einer gewissen Grenze gelten lassen
wollen. An der Hand des in diesem Hefte vorliegenden Zllustra-
tionsmaterials, das der allerjüngsten Zeit entstammt, will ich
versuchen, das herauszuheben, was mir für eine deutsche Kunst-
auffasfung karakteristisch zu sein scheint und sehen, wieweit sich dieses
mit dem vorwaltenden englischen Geschmack berührt. Ueber die
deutsche Kunstauffassung selbst kann ich mich am besten verständlich
machen, wenn ich zeige, wie diese im Schaffen einzelner Persön-
lichkeiten zum Ausdruck gekommen ist. Ich wähle drei, die
durch ihr Wirken den Lesern der „Zeitschrift für Znnen-Dekoration"
bekannt sind: Meister Götz in Karlsruhe, Wallot insofern, als
feine überlegene Persönlichkeit
auch in der Möbel-Zndustrie von
Einfluß wird — eine dankbare
Aufgabe würde es sein, dem
Wallotismus hier nachzugehen
—und der jugendliche Hermann
Werle, der durch die epoche-
machende Herausgabe seines
prächtigen Werkes „Das vor-
nehme deutsche Haus" (Vorwort
und Zllustr.-Text von Alexander
Koch) mit einem Schlage in den
Vordergrund gerückt ist als die
Persönlichkeit, die fremde Ein-
flüsse am unbefangensten ausge-
nommen und bis jetzt am natio-
nalsten hat ausreifen lassen.
Vergegenwärtigen wir uns
einmal das Wirken dieser drei
fest umrissenen Persönlichkeiten,
die jede in ihrer Weise bestimmte
karakteristische Tendenzen des
deutschen Hormgefühls vertreten,
so wird man das verstehen, was
ich deutsche Kunstauffassung
nannte: der formen- und erfin-
dungsreiche, sich in alle Einzel-
heiten liebevoll vertiefende, das
Anmuthige der deutschen Re-
naissance bevorzugende Her-
mann Götz als Repräsentant
üppigster Hormenfreude, der zu-
gleich am meisten das Historische
der heimischen Ueberlieserung
berücksichtigt. Dann der strengere,
wuchtigere, mit feinstem archi-
tektonischen Gefühl begabte
Wallot, dessen gemessene
Sprache konstruktiver Keberzeu-
gung sich so glücklich mit ornamentaler Denkungsweise paart, und
als Jüngster Hermann Werle, der aus der Gothik heraus
das Malerisch-Einsache entwickelt, das man uns in englischer
Ausgabe ausschwatzen wollte. Gb letzteres von dem Anglicismus
beeinflußt ist, kann hier unerörtert bleiben, da seiner Kunst der
Ueberschuß des Reinpersönlichen in keiner Weise abzusprechen ist.
Als der englische Geschmack zu uns herüberkam, rühmte
man vor Allem seine konstruktive Wahrheit, seine ornamentale
Bedürfnißlosigkeit und seine für den Möbelstil so geeignete Leich-
tigkeit, Vorzüge, die wir voll und ganz anerkennen dürfen. Zu
seiner Entwickelung trug aber etwas bei, was seine Hormengebung
wesentlich beeinflußte: das ist die Materialfrage. England erzeugt
keine Hölzer oder wenigstens so wenig, daß es für die Möbel-
produktion nicht in Betracht kommt. Es bezieht dank seiner
mehrhundertjährigen Handelsbestrebungen schon seit den Tagen
Tromwells fremde Holzarten, die bei einer satten, farbigen
Tönung, bei einer zum Theil schönen, hervortretenden Haserung,
doch wiederum Biegsamkeit und innere Hestigung genug besitzen,
um theils unter gewissem Druck, theils unter äußerer Bearbeitung
die einmal erhaltene Horm dauernd zu bewahren. Kommt hier
nun die kunstgeschichtliche Entwickelung hinzu, so erscheint der
„englische Geschmack" als das eigenste Produkt des Volkes und
seiner Geschichte. Hür Deutschland mit seiner Vorliebe für das
Hremde lag die Gefahr nahe, bei den Vorzügen des Anglikanismus
zugleich seine spezifisch „englische" Horm ungeprüft mit auszu-
nehmen und in der That konnten wir eine Zeit lang das Schlimmste
befürchten. Zum Glück aber
hatten wir bereits soviel traurige
Erfahrungen hinter uns, daß
diese blinde Schwärmerei bald
aufhörte oder wenigstens bald
aufzuhören beginnt.
Wollen wir nur exotische
Holzarten benutzen, dann könnten
wir stellenweise, d.h. da wo eine
gewisse ornamentale Prädispo-
sition vorliegt, in den Groß-
städten zumeist, vielleicht zu einer
ähnlichen Richtung ganz von
selbst kommen. Hürs Erste aber
sind unsere heimischen Hölzer
noch nicht ganz verdrängt und
an ihnen beginnen jetzt die alten
Techniken wieder aufzuleben, die
man in England nicht oder nur
vereinzelt findet: Kerbschnitt,
Bemalung, Verbindung mit Be-
schlägen und Bevorzugung einer
matten Hlächenbehandlung. Es
wäre also ein überflüssiges Be-
ginnen, diese zum Theil in der
Hauskunst groß gewordenen
Techniken mit ihrer eigenartigen
Hormbildung über Bord zu
werfen, um uns das Hremde,
mag es auch von einem stamm-
verwandten Volke kommen, auf-
zudringen.
Es ist das zum Glück aber
umsoweniger zu befürchten, als
sich in Deutschland eine reiche,
provinzielle Entwickelung des
Möbels herausgebildet hat, die
eng mit volksthümlichen An-
schauungen verknüpft ist: die
wuchtige, friesische Renaissance, die Kerbschnitz-Arbeiten Schleswig-
Holsteins, die Gothik Tirols, die etwas barocke Renaissance Süd-
deutschlands und die manchmal räthselhaften, vielfach aber
Romanismus verrathenden Bauernmöbel in verschiedenen Theilen
des Reiches. Sie alle, die sich nicht in ein Prokrustesbett der
historischen Stile zwängen lassen, streben neuerdings in der Kunst-
produktion mächtig empor. Sie sind aber in einer Weiterentwicke-
lung begriffen, die sich den englischen Stilbegriffen, nicht
dem englischen Kunstgeschmack nähern. Hier können wir uns
die Einwirkung des letzteren nicht nur gefallen lassen, sondern
warm begrüßen. Zn den Abbildungen des vorliegenden Heftes
finden wir eine Reihe von Bearbeitungs-Techniken dargestellt,
denen das Bestreben deutlich anzusehen ist, das Einfache und
Bewegliche des Möbelstiles, wie es dem Anglicismus eigen ist,