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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 5 (Mai 1931)
DOI Artikel:
Richter, Klaus: Das Bild als Dokument des Theaters
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0142

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Bauen im Freien

Aus der Frziehungsanslall
des Lehrers Lad. Svarc in Prag

lerei nannten — wenn aber die europäische Malerei
unseres Mittelalters einen solchen visionären Grad
gleichzeitig von Realität und überirdischer Gehoben-
heit erreichte, so verdankt sie das — wie bei ihrem
Porträt! — der dokumentarischen Treue, mit
der sie in ihren Bildern die Realitäten wiedergibt, die
das religiöse Theater mit seiner innigen und lebens-
nahen Symbolik in die Welt der anschaulichsten Vor-
stellungen setzte.
Bezeichnend ist es, daß die Kraft des religiösen
Bildes mit dem Versiegen der theaterschaffenden Kraft
der Kirche dahin ist. Was dann kommt, sind nur noch
künstliche Wiederbelebungsversuche toter Welten.
Nur ganz selten gelingt es noch später einer genialen
„inneren Schau", den grandiosen Wirklichkeitsschöp-
fungen nahe zu kommen, zu denen die höchst sicht-
bare und darum malbare theatralische Symbolik den
Malern die unmittelbare reale Vorstellungswelt lieferte.
Porträt und Theater sind die sichtbaren und mal-
baren Gegenstände der abendländischen Malerei. So
lange sie auch die lebendigen Aufgaben waren, gibt
es in der Malerei keine Streitfrage über das, was wir
„dokumentarische Treue" nannten und was eine selbst-
verständliche Forderung an jede lebendige geistige
Leistung in bezug auf ihren Gegenstand sein sollte.
Erst als der eine Zweig abstarb,, als die Mysterien-
spiele mit der symbolischen Kraft der religiösen Idee
aus dem Leben verschwanden und nur noch als Petre-
fakt ein verschollenes oder lukratives Dasein führten,
mußten historische Gelehrsamkeit, allegorische Spitz-
findigkeit und ästhetische Absichten das einzige er-
setzen, dessen die Malerei zu ihrem Dasein und ihrer
Rechtfertigung nun einmal bedarf — nämlich den rea-
len sichtbaren und malbaren Gegenstand. Erst dann —
dann aber auch ohne Rettung wurde die große bunte
Vorstellungswelt der Malerei des Mittelalters blutleer
und blaß, soweit sie sich nicht in die Teilgebiete Ihres
früheren religiösen Gesamtbildes rettete wie etwa in
das Stilleben, die Landschaft — oder gar dekorative
und schließlich formale Spielerei. Es scheint uns kein
Zweifel, daß wir bis auf das Porträt und diese wenigen
Spezialaufgaben heute nicht etwa eine von ihrem
Vorwurf entfesselte und entknebelte Malerei vor uns
Ijaben, sondern eine entwurzelte und entleerte Kunst-
übung.

Das Porträt ist die letzte Schlagader der europäi-
schen Malerei. Versiegt auch dieser Zustrom der
Kräfte, so werden wir eines Tages statt der Kunst
Dekoration und Propaganda in Händen halten.
Haben wir nicht schon einen Ersatz für die Kunst in
der Photographie?! Ja und Neinl Die Photographie
hat neben ihren eigenen Aufgaben fraglos bereits
den größten Teil der Aufgaben der Malerei über-
nommen. Viele sind der Ansicht — und darunter sind
und waren eine Reihe von Malern — daß die Photo-
graphie in vollkommenem und ausreichendem Maße
einen Ersatz für die Kunst schaffen kann. Und dazu
kommt doch noch das, was die Malerei ja auch unse-
rer Meinung nach in breiten Gebieten verloren hat:
die dokumentarische Treue?l Kann eine moderne Wis-
senschaft überhaupt auf die Photographie noch ver-
zichten?! Bestimmt muß die Naturwissenschaft auf den
Teil der dokumentarischen Treue, den die Photo-
graphie zweifellos besitzt — nämlich die optische
Treue — den größten Wert legen.
Auf allen anderen Gebieten liegt die Sache über-
raschender Weise ganz anders. Wer jemals mit un-
bestochenen Augen versucht hat, sich ein Bild eines
Schauspielers oder eines szenischen Vorgangs durch
Bildmaterial lebendig zu machen, der weiß, daß keine
Photographie auch nur annähernd das wiedergibt,
das man zur Gedächtnis- oder Vorstellungsanregung
braucht. Ist es nicht merkwürdig und doch allbekannt,
daß Photos von Matkowski — im Privatleben oder in
Maske — uns nichts als einen frisierten Beau darstel-
len, der eine geradezu fatale Ähnlichkeit mit den
Komparsen der damaligen Lohengrin-Aufführungen hat.
Ist es nicht merkwürdig, daß das Jubiläumsbuch der
Reinhardtischen Regiekunst ein Szenenphoto mit Kainz
bringen kann, das uns an die infamen Bildnisphotos
der neunziger Jahre mit Kerbschnittrahmen und Bir-
kengeländer erinnert. Und — es ist eben nicht merk-
würdig, daß dasselbe Buch, das man der optischen
Treue zuliebe fast nur mit Szenen und Schauspieler-
photos ausgestattet hat, uns schon heute nichts von
dem Zauber Reinhardtschen Theaters vermittelt oder
ins Gedächtnis zurückruft. Wir sehen cachierte oder
dekorierte Bäume — gute und schlechte Schauspieler-
masken — Theater- und Straßenkostüme — fast zufäl-
lig erscheinende oder gestellte Szenen und kahle Be-

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