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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1899)
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Vom Deutschen in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0057

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Der Romane hat den Beschauer im Auge, für ihn macht er das Kunst-
werk. Der Deutsche aber hat sich im Auge. Und den Beschauer nicht?
Doch, den Beschauer auch, aber auf andre Weise. Der Romane will ihm
einen Kunstgenuß bereiten, der Deutsche will ihm etwas mitteilen. Für
den Romanen ist das Kunstwerk der Endzweck, für den Deutfchen ist es
nur Mittel zum Zweck, um etwas, das er erschaut und empfunden hat,
den Andern auch fchaun und empfinden zu laffen. Musik als Ausdruck,
Malerei als Ausdruck, Dichtung als Ausdruck, keines als nur äußerliche
Lust, alles als Gabe von Herz zu Herz, das ist deutsch. Betrachtet
man das Kunstwerk als Ding für fich, wird man da erst fragen, ob das
ein Mangel fei? Wie oiele haben wir denn, in allerlei Gestalt, die ge-
rundet, die geschlosfen, die eine Einheit find in fich? Wie vieles blieb
Abficht, wie vieles Entwurf, viel vieles Bruchftück! Wir wiffen das,
haben wir denn z. B. nicht immer die füdlichen Madonnen schöner ge-
funden? Aber ein Raffael fand die nordischen frömmer. Und es ist
wohl die Frage, ob sie so „fromm" werden konnten, wenn Gefchmack
und Kunstverftand gegen die Bedürfniffe des Gemüts an Siegen reicher
gestritten hätten.

Jn den Mängeln einerfeits, die das Gesagte andeutet, in dem
ernften Vorzuge anderseits, von dem es fpricht, wurzeln die meisten
Eigenheiten unferer Kunft. Da wollen wir den Techniken Früchte ab-
zwingen, die fie nun einmal nicht tragen können. Was sich im Raume
nach allen drei Seiten ausleben kann, der Maler will's auf eine Fläche
bringen, auf der sich's dann verdeckt und zerdrückt. Was sich in Be-
wegungen kundgibt, in Gebärden etwa, er will's mit der Linie geben,
die doch starr bleibt. Wie die Nachtigall singt, wie der Sturm brauft,
die Mufik foll es zeigen, nicht „ftilisiert" nur, nein, fo ähnlich wie nur
möglich dem, was das Ohr erlauscht hat. Was im Leben auf Tage,
Monde, Jahre verteilt geschieht, der Dramatiker will es faffen genau
mit den Worten, die er im Nachhall feiner Lebenserfahrung in fich hört,
— im Raum eines Abends. Was mit Märchenformen fchnell hinträumte
durch feine Phantafie, der Lyriker will es einfangen in den Kästg feines
Gedichtleins, daß es draus hervorschwebe, sobald du ihn öffnest . . .

„Alfo haben wir Deutfchen nichts Befferes zu thun, als unsre Be-
fonderheiten als Künstler niederzukämpfen und Kunst der Art zu treiben,
wie sie zu wirklich oollkommenen Kunstwerken führen kann. Das heißt:
Kunft auf antikische und romanische Weise."

Ja, diese Schlußsolgerung ift thatfächlich fo und fo oft gezogen
worden, nicht gerade mit eben den angeführten Worten, aber mit Thaten,
und mit begeisterten Worten ist fie verteidigt worden. Man konnte sich's
eben nicht verhehlen, feit unferer Herrlichen Dürers Zeiten, daß das füd-
liche Kunftwerk als folches beffer gelungen war, daß es mehr Ange-
mesfenheit an die Technik, daß es mehr „Stil" hatte, als das nordische.
So pries man es denn und ftrebte ihm nach mit fleißigstem Bemühen.
Aber feltsam: nur die, so zwar korrekt waren, aber nicht viel mehr,
kamen zu braven Ergebnisfen dabei, während ja mehr als brave nach
ihrem Naturell ohnehin nicht zu erwarten waren. Den Ganzen da-
gegen, den Großen, zerbrach unverfehens der deutsche Geist von innen
heraus immer wieder die „klafsische" Form, — seit unfres Herrlichen Dürers
Zeiten. Eines Riesengenies wie Goethe bedurft' es, um Süd und Norden

2. Vktoberheft ^889
 
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